Wissenschaftliches Symposium des BZÄK-Consiliums in Berlin

Wettbewerb versus Regulierung

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Es gibt zwar neue Wettbewerbs-Instrumente im Gesundheitswesen, aber keinerlei Ambitionen des Gesetzgebers, die alte, überregulierte Systematik zu verlassen. Für das Consilium externer Wissenschaftler der Bundeszahnärztekammer ist das Anlass zur kritischen Analyse: Auf einem Symposium am 18. Juli 2008 in Berlin hat der Beirat aufgezeigt, wo die Systemati „hakt“ und gleichzeitig Vorschläge zur notwendigen Umgestaltung des Gesundheitswesens unterbreitet.

Vereinheitlichende Tendenzen wie die Einführung des Basistarifs, aber auch der Funktions- und Strukturwandel in den Selbstverwaltungsorganisationen sind Beispiele, wie der Gesetzgeber neue Normen setzt und institutionalisiert, die alte Systematik der GKV-Sachleistungsversicherung aber beibehält. Friktionen sind hier implizit. Was das seit 2001 arbeitende Consilium unabhängiger Wissenschaftler zur aktuellen Lage des Gesundheitswesens kritisch anmerkt, haben die Profes. Winfried Boecken (Recht, Konstanz), Johann Eekhoff (Wirtschaft, Köln), Wilfried Wagner (Zahnmedizin, Mainz), Eberhard Wille (Volkswirtschaft, Mannheim) und Koordinator Burkhard Tiemann (Recht, Köln) im jetzt erschienenen 2. Band der Diskussionsdokumente „Gesundheitswesen zwischen Wettbewerb und Regulierung“ (Hrsg.: Bundeszahnärztekammer, Quintessenz-Verlag, Berlin 2008, ISBN: 978-3-938947-8) herausgearbeitet. Die wirtschaftlichen und rechtlichen Ausführungen wurden auf dem Berliner Symposium vor rund 150 Interessierten Fachleuten aus Politik, Standespolitik und Zahnmedizin ausführlich dargestellt. Tiemann: „Diese Beiträge sind Impulsgeber für die künftige Gestaltung des Gesundheitswesens“.

Verfassungsrechtliche Vorbehalte gegen die im Entwurf der neuen GOZ vorgesehenen Öffnungsklausel – sie plant, dass PKVen oder Beihilfeträger von der GOZ abweichende Gruppenverträge mit Zahnärzten vereinbaren können – sieht Sozialrechtler Winfried Boecken: „Diese Öffnung der GOZ steht im diametralen Gegensatz zum Verbraucherschutz.“ Einzig legitimes Interesse wäre eine dadurch erzielbare Kostenreduzierung. Diese widerspreche aber der laut Zahnheilkunde-Gesetz untersagten Unterschreitung festgesetzter GOZ-Mindestgrenzen. Boecken warnte hier vor Gefahren für den Interessensausgleich zwischen Zahnärzten und Patienten. Die Kostenträger seien, so der Jurist, qua Gesetz eben „nicht die Interessenswahrer der Patienten“. Das mit der neuen GOZ zur Verabschiedung anstehende Verordnungsrecht berge, so Boecken zur aktuellen Entwicklung, „verfassungsrechtliche Probleme“.

EU-kompatibles Berufsrecht

Unproblematischer sei mit Blick auf die im europäischen Recht implizierte Wettbewerbslage hingegen das gültige zahnärztliche Berufsrecht. Die auf Basis berufständischer Argumentation und des Gemeinwohlinteresses praktizierte Verkammerungspflicht des Berufsstandes sei keine Diskriminierung, werde aber auf EU-Ebene verschiedentlich als Verstoß gegen das Beschränkungsverbot erachtet. Für ausländische Interessenten reiche als rechtskompatible Lösung aber die Eintragung der grenzüberschreitenden Tätigkeit.

Analog zu EU-rechtlichen Entscheidungen bei Rechtsanwälten seien auch Zahnärztekammern Zusammenschlüsse von Unternehmen. Damit seien auch in diesem Bereich die Wettbewerbsrechte anwendbar. Hier zeige das Beispiel der inzwischen praktizierten Liberalisierung des „Wettbewerbsverbotes“ durch inzwischen akzeptierte sachliche Werbung, dass Rücksicht auf die gängigen Regelungen genommen werde.

Ein Plädoyer für „mehr Wettbewerb“ hielt Ökonom Johann Eekhoff. Rationierungen wie auch Pflichtversicherungen seien Hindernisse auf dem Weg zur Europäischen Harmonisierung. Nationale Alleingänge wie die, preisgünstige hochwertige Gesundheitsleistungen ohne ausreichenden Wettbewerb und risikoadäquate Versicherungsprämien ohne eine vergleichbare Umverteilung der Finanzen anzubieten, seien hier nachteilig. Hinzu kämen Leistungsunterschiede der Gesundheitssysteme auf Grund bestehender Wohlstandsgefälle. Hier seien wanderungsneutrale Regelungen erforderlich, beispielsweise Ausgleichszahlungen zwischen abgebenden und aufnehmenden Umlagesystemen. Besser sei allerdings eine Umstellung auf kapitaldeckende Verfahren mit individualisierten Altersrückstellungen, die Risiken neutralisieren. Für Europa sei das noch Utopie, aber in einzelnen Staaten, so Eekhoff, durchaus vorstellbar.

Der Wirtschaftsfachmann empfahl, die Prinzipien der Gesundheitsleistung und Umverteilung voneinander zu trennen. Sie seien Voraussetzung für versicherungstechnisch korrekte Prämien, für die dringend erforderliche Kapitaldeckung, aber auch für funktionierenden Wettbewerb und Effizienz in der Gesundheitsversorgung.

Die Bereitschaft zur Innovationsfähigkeit bei der künftigen Entwicklung von Kollektivverträgen in der korporativen Selbstverwaltung forderte Volkswirt Eberhard Wille. Die korporativen Selbstverwaltungsorganisationen der Zahnärzteschaft seien zwischengeschaltete Entscheidungseinheiten, deren künfige Erfolge davon abhingen, ob sie sich im Umfeld von Wettbewerb, Selektiv- und Kollektivverträgen flexibel behaupten könnten: „Der Zug in Sachen Selektivverträgen ist längst angefahren. Hier gilt es künftig, sich einzuordnen.“ Nach wie vor seien, so Wille, Kollektivverträge möglich. Selektivverträge als neues Wettbewerbsinstrument hätten den Nachteil hoher Transaktionskosten. Hier bestehe auch die Gefahr künftiger Monopolisierungstendenzen. Die Zukunftsfähigkeit der einzelnen Organisationen werde daran zu messen sein, wie innovativ und flexibel man sich auf die angestrebten Versorgungsformen einstellen werde.

Freiberufsprofil neu überdenken

Als überordnende Klammer künftiger Gestaltungsmodelle sieht Verwaltungs- und Sozialrechtler Burkhard Tiemann das zahnärztliche Selbstverständnis der Freiberuflichkeit. Für den Berufsstand seien Selbständigkeit und Unabhängigkeit nach wie vor einer der höchsten Werte beruflicher Zufriedenheit. Tiemann warnte vor einer fortschreitenden Versozialrechtlichung bei gleichzeitiger Aufforderung, mehr freien Markt zu schaffen. Leider habe das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber viel zu große Möglichkeiten gelassen, die Lasten und Risiken des Gesundheitswesens auf die Leistungserbringer überzuwälzen. Mit Blick auf die zusätzlichen Angebote, die Anstellungsmöglichkeiten und die Bildung von Praxisketten, aber auch die Möglichkeit von Selektivverträgen stelle sich die Frage, ob sich einzelne Arztgruppen nicht mittelfristig überschätzen und auf Dauer mit den neuen Lösungen zurechtkommen.

Tiemann konstatierte, dass die auch künftig zunehmende Technisierung der Arbeit und die damit verbundene hohe Verantwortung und zunehmende Anforderung an die Selbständigkeit auch zu dem Wunsch nach mehr Teilzeitlösungen und anderen Angestelltenmodellen führen werde. Alle diese Änderungen führten dazu, so Tiemann, dasss das Profil des Freiberuflers neu zu überdenken sei.

Grundsatz müsse aber bleiben, dass Leistungserbringer im Kern ihrer fachlichen Tätigkeit freiberuflich handeln könnten. Tiemann warnte davor, „die Kultur der Selbständigkeit zu gefährden“. Bedacht werden müsse vor allem, dass die Aufgabe der freien Heilberufe sich oft der rein ökonomischen Betrachtungsweise entzögen.

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