Symposien im Bundeswehrzentralkrankenhaus

Wenn die Zahnhälse frei liegen

Am 24. und 25. April 2009 lockten das 17. Symposium Parodontologie am Bundeswehrzentralkrankenhaus und die 15. Frühjahrstagung der „Neuen Arbeitsgruppe Parodontologie e.V.“ (NAgP) erneut weit über 250 Teilnehmer an das Bundeswehrzentralkrankenhaus nach Koblenz.

Schon seit Langem ist diese zivil-militärische Fortbildungsveranstaltung kein kleines Treffen von eingefleischten Parodontologen mehr, sondern eine Tagung, die ein praxisrelevantes Thema für alle Zahnärzte von parodontologischer Seite umfangreich mit Referenten aus ganz Deutschland bearbeitet. Immer mehr unserer Patienten beklagen sich über Dentinhypersensibilität: Wer kennt nicht dieses kurze, scharfe, störende, aber aushaltbare Schmerzgefühl, wenn eiskaltes Wasser morgens die Zähne vor der Zahnbürste erwischt oder man bei Minustemperaturen mit offenem Mund zu joggen beginnen möchte?

Dieses Problem gab es sicherlich schon zu allen Zeiten, wenn Menschen exzessiv ihre Zähne von Zahnbelag befreiten, um durch frischen Atem attraktiv und gesund zu wirken. Heutzutage ist es allerdings Zahnärzten möglich, Parodontitis und Karies frühzeitig zu entdecken, zu behandeln und Nachsorge anzubieten, die auch von den Patienten angenommen wird. Dies hat einerseits den Effekt, dass spätere hohe prothetische und implantologische Kosten vermieden und keine Zähne gezogen werden. Andererseits werden wir immer häufiger mit Rezessionen, keilförmigen Defekten, Erosionen und Attritionen oder Abfraktionen an diesen Zähnen rechnen und auch hierfür Behandlungskonzepte entwickeln müssen.

Bindegewebstransplant – Schleimhauttransplantat

Unter der Leitung von Dr. Beate Schacher aus der Poliklinik für Parodontologie der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität (Ärztl. Direktor Prof. Dr. P. Eickholz) startete der Vorkongresskurs zum Thema BGT (Bindegewebstransplant) und FST (Freies Schleimhauttransplantat).

Rund 50 Zahnärzte aus dem militärischen und zivilen Bereich hörten den einleitenden Vortrag zur Indikation von FST und BGT. Das operative Vorgehen Schritt für Schritt gezeigt, bildete den Kern der Fortbildung. Als Schlussbetrachtung der theoretischen Einführung demonstrierte Dr. Schacher klinische Erfolge und Misserfolge aus der parodontologischen Abteilung in Frankfurt. Das Fazit hier: deutlich stabilere und ästhetisch günstigere Ergebnisse auf Seiten des BGT.

Anschließend hieß es für alle Teilnehmer ran an die Schweinekiefer. Alle zuvor gesehenen Operationstechniken konnten nun von jedem Teilnehmer selbst und gegebenenfalls auch mehrmals mit der Unterstützung von Prof. Eickholz, Dr. Streletz, Dr. Eger und der Referentin umgesetzt werden.

Am nächsten Morgen eröffnete Oberstarzt Dr. Thomas Eger aus dem Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz militärisch pünktlich das 17. Symposium Parodontologie. Oberstarzt Dr. Gerd Schindler, Referatsleiter Zahnmedizin aus dem Bundesministerium der Verteidigung, würdigte in seinem Grußwort den Stellenwert der Parodontologen als „Internisten unter den Zahnärzten“, so dass ein lebenslanger Erhalt der Dentition auch unter schwierigen Rahmenbedingungen möglich geworden ist. Dr. Margit Brecht-Hemeyer, Vorsitzende der Bezirkszahnärztekammer Koblenz, lobte das angenehme und kollegiale Flair in der „eingeschworenen“ Gemeinschaft der Parodontologen zum Nutzen der allgemeinen Kollegenschaft. Prof. Dr. Dr. Anton Sculean, Universität Bern, sprach als Vorsitzender die Grußworte im Namen der „Neuen Arbeitsgruppe Parodontologie“ (NAgP) aus, die die lange Tradition der wichtigen zivilmilitärischen Zusammenarbeit in allen Nationen hervorhob.

Ursache der Rezessionen und Dentinhypersensibilität

Oberstarzt Eger bearbeitete zum Einstieg in die Thematik im ersten Referat die fachlichen Grundlagen. Die Definition der Rezession als entzündungsfreier Rückgang der Gingiva wurde vorangestellt. Die Einteilung der Rezessionen in die Miller-Klassifikation sei die Grundlage der weiteren Therapiewahl. Die Ursachen für Rezessionen seien als multifaktoriell zu betrachten: So seien idiopathische Faktoren wie eine kieferorthopädische Behandlung, Habits wie Bruxismus oder Pressen und traumatische Einflüsse wie Verletzungen bekannt. Andererseits komme der Rolle der Gene, bezüglich Zahnform, aber auch Gingivadicke und -breite besonderes Gewicht zu. Ursachen keilförmiger Defekte und Erosionen seien physikalischer, chemischer, mechanischer oder traumatischer Natur. Häufig verstärkten und bedingten sie sich gegenseitig. Persistierende Säureangriffe durch Ernährungsgewohnheiten in Kombination mit falscher Putztechnik und Bruxismus verursachten freiliegendes Dentin und Erosionen, die später Plaqueakkumulationsstellen darstellen könnten.

Therapieoption oder Mogelpackung

Prof. Dr. Nicole Arweiler, Universität Freiburg, schloss mit Ihrem Vortrag zu medikamentösen und konservierenden Therapiemöglichkeiten von Dentinhypersensibilität und Erosionen an ihren Vorredner an. Ihr Konzept stützt sich im Wesentlichen auf drei Säulen: Durch eine Verhaltenstherapie in Form von Aufklärungsgesprächen und Ernährungsberatung könne der Patient zur Erosionsprävention geführt werden. So sei Reizkarenz, wie der Verzicht auf Konsum erosiver Getränke und Speisen, ein Schlüssel zum Erfolg. Wichtig für eine Abrasionsprävention ist die Umstellung der Putztechnik sowie die Einhaltung einer Putzkarenz von mehr als einer halben Stunde nach dem Konsum säurehaltiger Speisen und Getränke. Funktionsanalyse und Schienentherapie kämen zahnärztlicherseits als Attritionsprävention hinzu.

Als zweite Säule stellte die Referentin aktuelle Ergebnisse aus der lokalen medikamentösen Therapie vor. Neue und vielerorts umworbene Produkte mit Hydroxylapatitzusätzen entbehrten bislang noch wissenschaftlicher Evidenz. Lacke auf Chlorhexidin-Basis eigneten sich nur zur Schaffung von Plaquefreiheit. Die klassischen Wirkstoffe wie Fluorid, Strontium, Kaliumnitrat oder Kaliumchlorid in Form von Gelen, Lacken, Pasten oder „Mousse“ für die häusliche und professionelle Verwendung sowie Desensitizer auf Oxalat- und Methacrylatbasis unterschieden sich untereinander nicht wesentlich in ihrer Wirksamkeit. Ein Raunen ging durch den Saal als die Referentin Studienergebnisse vorstellte, die kaum Vorteile der lokalen, medikamentösen Therapie im Vergleich zu einer Placebogruppe ergaben. Das Arzt-Patienten-Verhältnis spielt also eine große Rolle beim Therapieerfolg. Als letzte Säule wurde die klassische konservative Füllungstherapie des Zahnhalses dargestellt.

Rezessionsdeckungein Kind der Moderne

Prof. Dr. Holger Jentsch, Universität Leipzig, betrachtete die historische Entwicklung von chirurgischen Therapieverfahren zur Rezessionsdeckung. So veranschaulichte er, dass die Lösung grundlegender zahnmedizinischer Probleme vor allem von Zahnverlust und Karies die Menschheit Jahrtausende so gebannt hat, dass die Geschichte der Entwicklung von Rezessionsdeckungsverfahren erst in der Moderne geschrieben wurde. Der Stellenwert von Ästhetik in der modernen Zahnmedizin und das Problem hypersensibler Bereiche hätten erst im letzten Jahrhundert die Erfordernis zur chirurgischen Intervention geschaffen. Entlang der Zeitachse wurde die erste echte Rezessionsdeckung für 1949 berichtet. Diverse Verschiebelappenverfahren wurden in den 60er-Jahren publiziert, das FST in Kombination mit der koronalen Verschiebelappentechnik wurde 1975 durch Bernimoulin beschrieben. Die 80er-Jahre waren der Beginn der BGT- und der Envelope-Technik. Die 90er-Jahre sind charakterisiert durch den Einsatz regenerativer Materialien und Techniken.

Lebenszeit eines BGT

Dr. Katrin Himmer, Universität Frankfurt am Main, stellte zu diesem Thema Ergebnisse verschiedener Studien vor. Aktuelle Metaanalysen zeigten, dass das BGT bei der Reduktion der Rezession signifikant besser geeignet sei als die gesteuerte Geweberegeneration (GTR). Bei der Reduktion der Rezession durch einen koronalen Verschiebelappen erhöhten Schmelz-Matrix-Proteine aber zusätzlich die Langzeitstabilität. Langzeitergebnisse nach BGT/Envelope-Technik zeigten nach 6-22 Jahren Beobachtungszeit noch 82 Prozent Wurzeldeckung. In einer laufenden Studie zeigten erste Auswertungen nach zehn Jahren noch eine durchschnittlich 50-prozentige Wurzeldeckung. Ein interessanter Aspekt sei dabei das sehr individuelle Empfinden der Patienten nach Rezessionsdeckung: So würden partielle Rezessionsdeckungen durch den einen Patienten besser beurteilt als eine komplette Rezessionsdeckung durch den anderen.

Beide Verfahren bald obsolet

Prof. Dr. Dr. Anton Sculean stellte anhand vieler klinischer Beispiele die Methodik der Rezessionsdeckung mit regenerativen Techniken vor. So sei allen eine nur begrenzte Knochenneubildung gemein. Es überwiege eine reparative Heilung. Als Fazit lieferten Schmelz-Matrix-Proteine zur Anregung der Zementneubildung in Kombination mit einem koronalen Verschiebelappen sehr gute Ergebnisse. Bei dünnem Gewebe empfehle sich zusätzlich ein BGT. Der Referent sieht aus seiner Warte das absehbare „Ende“ für GTR und FST bei Rezessionsdeckungen kommen. Einen gelungenen Abschluss des Tages bildeten nützliche Organisations- und Abrechnungshinweise zur plastischen Parodontalchirurgie von Dr. Eva Streletz, Heusenstamm. Sie ermahnte, die wichtige Rolle der professionelle Zahnreinigung und einsatzvorbereitende Prophylaxe bei den Soldaten für den Zahnerhalt zu lehren. Sie sei die schärfste Waffe im Kampf gegen Karies und Parodontopathien.

Oberstabsärztin Sabine MüllerBundeswehrzentralkrankenhaus KoblenzVIIA/FZZ- FachzahnärztlicheAmbulanz ParodontologieRübenacherstraße 17056072 Koblenz

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