Der Stellenwert von Zahnseide

Ein Plädoyer für den zahnmedizinischen Sachverstand

Heftarchiv Zahnmedizin
Ulrich Schiffner

Nachstehender Kommentar erläutert weitere Hintergründe:

Ein aktueller Beitrag der Zeitschrift „feminin&fit“ berichtet unter der Überschrift „Zahnseide – der große Pflegeflop“ über angebliche Ineffektivität der Zahnseide-Anwendung [3]. Die Botschaft ist falsch und kommt durch eine Aneinanderreihung stets weiter simplifizierender und verfälschender Zitationen zustande. An der zahnmedizinisch indizierten Zahnseidenempfehlung, verbunden mit Motivationsmaßnahmen und Demonstrationen, ändert sich nichts!

Im Einzelnen: Ausgangspunkt ist eine systematische Literaturumschau über die in kontrollierten klinischen Studien durch Fädeln erzielte Karieshemmung, die über die Evidenz der durch Zahnseide-Anwendung bewirkten Karieshemmung Auskunft geben soll [4].

Das unter dem erstrebenswerten Ziel abgesicherter wissenschaftlicher Evidenz in den vergangenen Jahren zunehmend angewendete Instrument der systematischen Literaturumschau, verbunden mit statistischen Metaanalysen, ist geeignet, ob seiner „Modernität“ den Blick auf die Schwächen und Risiken dieses Instrumentes zu verstellen. Es muss herausgestellt werden, dass nach Formulierung der Fragestellung und der zu deren Beantwortung angewendeten Suchkriterien ein formalistischer Prozess abläuft, an dessen Ende ein auf diese Frage und Suchstrategie bezogenes Ergebnis steht. Nicht in die Fragestellung einbezogene Parameter (wie nicht-randomisierte Studien) oder durch die Suchkriterien ausgeschlossene Fakten werden nicht erfasst. Am Ende steht also ein zwar abgesichertes, aber nur in einem sehr engen Korridor zutreffendes Ergebnis.

Im vorliegenden Fall [4] fand eine Literatursuche in englischsprachigen Datenbanken statt. Die Suche ergab zunächst 143 klinische Studien zur Zahnseide-Anwendung. Aufgrund der zuvor definierten Einschlusskriterien wurden davon 94 Studien sofort wieder verworfen, da der Zahnseideneffekt von anderen Effekten überlagert sein konnte. Von den verbliebenen 49 Studien wiesen 44 keine geeigneten Kontrollgruppen (Gruppen ohne Zahnseide-Anwendung) auf oder waren als vorläufiger Bericht deklariert. Das besagt nicht, dass die jeweils erzielten Ergebnisse unzutreffend gewesen wären, dennoch wurden sie der Suchstrategie folgend nicht weiter berücksichtigt.

Zu den letzten fünf Studien wurde eine weitere, die durch die elektronische Recherche nicht erfasst worden war, aufgrund der fachlichen Kenntnisse der Autoren hinzugezogen. Die gesamte Analyse beruht also auf sechs Studien. Diese wurden an 808 Kindern im Alter von vier bis 13 Jahren durchgeführt.

Zwei der Studien, bei denen den Kindern durch die Untersucher schultäglich die Zähne gefädelt wurden, finden Karieshemmungsraten von bis zu 40 Prozent. Die übrigen Studien, bei denen die Probanden ihre Zähne eigenständig fädelten, finden keine Karieshemmung. Die Autoren heben auf die alltägliche Situation ab und stellen die Unzulänglichkeit der seltenen oder unüberwachten Zahnseide-Anwendung in den Vordergrund. Der präventivzahnmedizinische Sachverstand hingegen würde bestätigt finden, dass das Fädeln prinzipiell das Potenzial zur Approximalkarieshemmung hat, und nach Möglichkeiten suchen, die Akzeptanz der regelmäßigen Anwendung zu fördern [9].

Mit dem Ergebnis der Literaturübersicht [4] beginnt jetzt eine Zitationsfolge, die an das Kinderspiel „Stille Post“ erinnert. In einer Mitteilung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen IQWIG [5] heißt es mit Bezug auf die Literaturübersicht: „Zur Wirksamkeit von Zahnseide bei Erwachsenen und zur Vorbeugung anderer Probleme, wie Zahnfleischerkrankungen, fanden sich keine Studien.“ Das trifft formal zwar zu, doch wurden den Einschlussbedingungen der Literatursuche folgend gar keine Studien mit Erwachsenen identifiziert, und Aussagen über „Zahnfleischerkrankungen“ wurden überhaupt nicht gesucht!

Insofern erfolgt an dieser Stelle eine fälschliche Interpretation der zugrunde liegenden Publikation. Diese Interpretation ist jedoch Kernaussage des jetzt in der Laienpresse erschienenen Artikels und seiner Weiterverbreitung unter der Überschrift „Zahnseide verhindert keine Zahnfleischerkrankungen“. Es sei wiederholt, dass dies überhaupt nicht beurteilt worden ist. Zudem ist es falsch. So findet eine weitere Übersichtsarbeit eine Vielzahl von Studien, bei denen es unter Zahnseide-Anwendung zu signifikanten Reduktionen von Plaque, Gingivablutungen und Taschentiefen gekommen ist [8].

Eine weitere systematische Literaturübersicht kommt zwar zu differenzierteren Resultaten und sieht die positive Effekte der Zahnseide-Anwendung zeigenden Studien in der Minderheit [2]. Die Schlussfolgerung lautet aber: „The dental professional should determine, on an individual patient basis, whether high-quality flossing is an achievable goal.” Nicht mehr und nicht weniger. An dieser Stelle kommt glücklicherweise wieder der zahnmedizinische Sachverstand ins Spiel.

Dieser Sachverstand weiß, dass es mitunter Alternativen zur Zahnseide gibt, die effektiver sind [8] und vom Patienten besser akzeptiert werden [6]. Er weiß aber auch um die Indikationen bei engen Zahnzwischenräumen und die individuelle Auswahl der Patienten [2, 7]. Von professioneller Seite ist dabei eine Information hinsichtlich der sachgemäßen Handhabung und dem Nutzen der Zahnseide unbedingt erforderlich. Die Anwendung von Zahnseide muss professionell demonstriert und trainiert werden, nicht zuletzt auch, um bei unsachgemäßem Gebrauch drohende Verletzungen der Interdentalpapille zu vermeiden.

Zusammengefasst ändert sich also nichts an der zahnmedizinisch begründeten und angeleiteten individuellen Empfehlung zum Zahnseidengebrauch, die von Stellungnahmen namhafter wissenschaftlicher Fachgesellschaften wie der DGZMK (Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde) oder der American Dental Association (ADA) unterstützt wird [1, 10].

Prof. Dr. Ulrich SchiffnerUniversitätsklinikum Hamburg-EppendorfZentrum für Zahn-, Mund- undKieferheilkundePoliklinik für Zahnerhaltung und PräventiveZahnheilkundeMartinistr. 5220246 Hamburgschiffner@uke.de

Literatur

1. American Dental Association (ADA): Cleaning your teeth and gums (oral hygiene). URL:http://www.ada.org/public/topics/cleaning.asp.

2. Berchier, C.E., Slot, D.E, Haps, S., van der Weijden, G.A.: The efficacy of dental floss in addition to a toothbrush on plaque and parameters of gingival inflammation: a systematic review. Int J Dent Hyg 6, 265-279 (2008)

3. feminin & fit: Zahnseide – der große Pflegeflop. Heft 2/2009

4. Hujoel, P.P., Cunha-Cruz, J., Banting, D.W., Loesche, W.J.: Dental flossing and interproximal caries: a systematic review. J Dent Res 85, 298-305 (2006),

5. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG): Karies: Kann Zahnseide bei Kindern vorbeugen? URL:http://www.gesundheitsinformation.de/karies-kann-zahnseide-bei-kindern-vorbeugen. 82.374.html

6. Noorlin, I., Watts, T.L.: A comparison of the efficacy and ease of use of dental floss and interproximal brushes in a randomised split mouth trial incorporating an assessment of subgingival plaque. Oral Health Prev Dent 5, 13-18 (2007)

7. Sicilia, A., Arregui, I., Gallego, M., Cabezas, B., Cuesta, S.: Home oral hygiene revisited. Options and evidence. Oral Health Prev Dent 1, 407-422 (2003)

8. Slot, D.E., Dörfer, C.E., van der Weijden, G.A.: The efficacy of interdental brushes on plaque and parameters of periodontal inflammation: a systematic review. Int J Dent Hyg 6, 253-64 (2008)

9. Sniehotta, F.F., Araújo Soares, V., Dombrowski, S.U.: Randomized controlled trial of a one-minute intervention changing oral selfcare behavior. J Dent Res 86, 641-645 (2007)

10. Staehle, H. J., Schiffner, U., Dörfer, C. E.: Häusliche mechanische Zahn- und Mundpflege. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Dtsch Zahnärztl Z 62, 616–620 (2007)

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