8. Berliner Gespräche zum Gesundheitsrecht

Gesundheitspolitik nach der Wahl

Heftarchiv Gesellschaft
sg
Was muss sich im deutschen Gesundheitswesen nach der Bundestagswahl ändern? Eine zündende Frage für Podium und Publikum gleichermaßen, die das Deutsche Institut für Gesundheitsrecht (DIGR) auf seiner Tagung am 08.05.2009 in Berlin den Diskutanten stellte. Aufhänger hierfür war der Gesundheitsfonds; auf dem Podium saßen Vertreter (fast) aller politischen Parteien.

So viel sei vorweg genommen: Am Ende konstatierte der Tagungsmoderator und Direktor des DIGR, Prof. Dr. Helge Sodann, seine Genugtuung darüber, dass es den Wählern wieder möglich sei, parteipolitische Unterschiede in den Zielen für gesundheitspolitische Konzepte auszumachen. Angesichts der vielen ‚Baustellen’ im System seien diese auch notwendig, um aus der reinen Kostendämpfungspolitik der vergangenen Jahrzehnte herauszukommen. Als aktuelles Baustellen-Beispiel wurde der Gesundheitsfonds herangezogen. Bereits 2009 und damit im ersten Jahr seiner Einführung mit steuerlichen Zuwendungen unterstützt, dürften die Auswirkungen der Wirtschaftskrise das Ihrige dazu beitragen, um seine Finanzlage im nächsten Jahr noch desolater aussehen zu lassen.

Für die CDU machte Jens Spahn keinen Hehl daraus, dass er kein großer Freund des Fonds sei. „Eine Konvergenzphase wäre gut gewesen“, bilanzierte er und stellte eine Weiterentwicklung des Fonds in Richtung Kopfpauschale in Aussicht. Die CDU wolle den Einstieg in die lohnunabhängige Finanzierung des GKV-Systems, dies sei auch öffentlich bekannt und sei in der Partei auch schon vor Längerem beschlossen worden. Insgesamt plädierte er für eine Veränderung des GKV-Systems in evolutionären, denn in revolutionären Schritten, allerdings unter Beibehaltung einer Form von Deckelungsmaßnahmen im Gesundheitswesen auf der Ausgabenseite – ohne sie gehe es nicht.

Mechthild Rawert, SPD, äußerte ihre Zweifel an einer möglichen Rücknahme des Fonds. Rawert: „Niemand glaubt daran, dass er wieder abgeschafft wird.“ Indes möchte auch die SPD den Fonds weiterentwickeln, und zwar in Richtung einer – von Rawert nicht näher definierten – Bürgerversicherung. „Da ist gerade viel im Fluss, ich bitte um Rücksicht, wenn ich keine konkreteren Angaben machen kann.“ Sie sprach sich für eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung für chronisch Kranke ebenso aus wie für einen Mindestlohn für alle Gesundheitsbereiche. Der Morbi-RSA würde weiterentwickelt werden, ein Patientenrechtegesetz würde beschlossen und die Thematisierung der versicherungsfremden Leistungen angegangen werden.

Für Heinz Lanfermann, FDP, ist die nächste Bundestagswahl richtungsentscheidend, was die Gestaltung des Gesundheitswesens anbelangt. Die FDP wolle keine Einheitsversicherung, sondern Beitragsautonomie der Krankenkassen, daher müsse der Gesundheitsfonds auch rückgängig gemacht werden. Das GKV-System solle über einen Mix aus Arbeitnehmerbeitrag und Prämiensystem finanziert werden, die lohnabhängige Finanzierung des GKV-Systems habe sich überlebt. Lanfermann versprach Steuerklauseln für Geringverdiener, mehr Wahlfreiheit für Versicherte durch Grundversorgung plus Zusatzangebote und die Übernahme des Kostenerstattungsprinzips als Regelfall. „Deswegen braucht kein Versicherter in Vorleistung zu gehen“, versuchte Lanfermann Skeptiker zu überzeugen.

Frank Spieth, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, sieht auch nach der Bundestagswahl einen Fortbestand der Großen Koalition, wobei es seiner Partei vorrangig darum gehe, Privatisierungs- und Kommerzialisierungstendenzen im Gesundheitswesen zu stoppen. „Mittel, die solidarisch eingenommen werden, dürfen nicht der Profitsucht von Privatinteressen anheim fallen“, sagte Spieth. Als weitere Schlagwörter der gesundheitspolitischen Vorstellungen seiner Partei nannte er: Ausbau des Fonds zu einer Bürgerversicherung ohne Beitragsbemessungsgrenze, Zuzahlungsreduktion, Erhöhung der Versichertensouveränität durch stärkere Patientenbeteiligungen und Beschränkung der PKV auf Zusatzversicherungen unter Beibehaltung der Altersrückstellungen.

Eher rhetorisch gemeint war die Frage nach der Zukunftsfähigkeit des Fonds, die der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK), Prof. Dr. Herbert Rebscher, zuvor in einem Vortrag aufwarf. Man dürfe sich keine Illusionen machen hinsichtlich einer Rücknahme des Fonds. Rebscher: „Die Schlachten sind geschlagen.“ Dennoch sei er ein Unglück für die Strukturen der GKV. Denn den im Wettbewerb stehenden Kassen die Finanzierungsautonomie zu nehmen und damit jede eigenverantwortliche Flexibilität aus dem System zu eliminieren, sei ebenso falsch wie über Jahrzehnte bewährte Vertragssysteme über Nacht zu vereinheitlichen und regionale Verhandlungspreise durch deutschlandweite Einheitspreise übergangslos zu ersetzen. Rebscher: „Jede staatliche Beitragsfestsetzung wird somit zum Politikum ersten Ranges.“ Derzeit befänden sich die Krankenkassen, abhängig von den Fondszuweisungen, in einer Art Schockstarre und reagierten allenfalls mit Marketingmaßnahmen. Die könnten indes kaum darüber hinweg täuschen, dass aktuell keine Kasse die eigene finanzielle Situation sicher beurteilen kann.

Derzeit sei Planung weder mittelnoch langfristig möglich, Prämienvermeidung gelte als oberstes Gebot. Rebscher: „Es herrscht großer Druck bei den Kassen. Man verfährt nach dem Motto: Wer hält es am längsten aus ohne Zusatzprämie.“ Verantwortliche Reformpolitik seitens der Politik, so der DAK-Vorstand, sehe anders aus. Sie benötige als Mindestbedingung eine Konvergenzphase, in der Neues erprobt werden könne. Daher empfahl er, nach der Bundestagswahl die Karten neu zu mischen und den Fonds nochmals zu diskutieren.

Rechtsanwalt Dr. Jan Byok von Bird&Bird, Düsseldorf, erörterte rechtliche und politische Aspekte von Arzneimittelrabattverträgen und machte den Tagungsteilnehmern, darunter auch der Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Dietmar Oesterreich, klar, dass es der Gesetzgeber in den vergangen Jahren verpasst habe, nähere Vorgaben zur rechtlichen Ausgestaltung zu machen. Die Folge seien bislang ungelöste Rechtsunsicherheiten, deshalb müssten die gesetzlichen Rahmenbedingungen im Sozial- und Vergaberecht überdacht werden. Das Grundsatzproblem hierbei sei die Frage: Ist das Kartellrecht auf Arzneimittelrabatte anwendbar oder schließen sozialrechtliche Vorgaben dies aus? Allerdings seien Rabattverträge für Krankenkassen wohl ein geeignetes Mittel für Kosteneinsparungen, so dass Byok deren weitere Existenz auch nach der Bundestagswahl prognostizierte.

Die Grünen-Politikerin Birgitt Bender musste der DIGR-Veranstaltung wegen des zeitgleich stattfindenden Grünen-Parteitages absagen.

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