Gastkommentar

Leere Versprechen

Jeder Steuer-Euro in den Gesundheitsfonds ist ein Schritt auf dem Weg in die EinheitsBürgerversicherung.
Andreas Mihm
FAZ-Korrespondent Berlin

Wie bei einem guten Wein, so entfaltet sich die volle Schönheit auch der Gesundheitsreform erst mit der Zeit. Feinschmecker sollten deshalb aufpassen. Denn gerade in diesen Tagen, in denen die Experten von Regierung und Kassen die Finanzlage noch einmal durchgerechnet haben, zeigt sich, welch wundersame Folgen die Einführung des Gesundheitsfonds hat. Mitten in der Wirtschaftskrise, in der die Arbeitslosigkeit rapide steigt und die Zahl der Kurzarbeiter Schwindel erregende Zuwächse verzeichnet, die Einnahmen aus Beiträgen der Kassenmitglieder also sinken statt wie geplant zu steigen, da muss keine Kasse ihre Beitragssätze anheben oder ihre Leistungen reduzieren. Im Gegenteil. Die Beitragssätze sinken zur Jahresmitte sogar. So schön kann Gesundheitspolitik in der Krise ein! Aber wie beim Wein kommt es auch in der Gesundheitspolitik auf die Dosierung an. Übermäßiger Genuss führt unweigerlich zu Folgeschäden, bestenfalls zu einem Kater. Für die Steuerbürger heißt das, dass sie noch viele Jahre lang für die Milliarden-Kredite, die der Bund jetzt aufnimmt, um den Gesundheitsfonds ausreichend mit Geld auszustatten, zur Kasse gebeten werden – neben den Raten für Zins und Tilgung, die für die Konjunkturprogramm-Darlehen fällig werden, mit denen Autos abgewrackt, Kinderboni ausgeschüttet oder Breitbandnetze in die Uckermark gelegt werden.

Ganz nebenbei wird auf dem Weg zu einem immer stärker staatsgelenkten und steuerfinanzierten Gesundheitssystem ein Stück linker Umverteilungspolitik Wirklichkeit: Steuern zahlen alle nach der Höhe ihres Einkommens, in die gesetzliche Krankenversicherung aber nur deren Mitglieder bis zu einer bestimmten Einkommenshöhe. Jeder Steuer-Euro in den Fonds ist deshalb auch ein Schritt auf dem Weg in die Einheits-Bürgerversicherung. Formell muss der Gesundheitsfonds die Gelder, die er jetzt zur Deckung seiner Ausgaben geliehen bekommt, zwar irgendwann einmal zurückzahlen. Doch die Wahrscheinlichkeit dafür ist als sehr gering zu veranschlagen. Für die Kosten wird wohl die Allgemeinheit aufkommen.

Ob die Versicherten über die im Fonds angelegten kassenindividuellen Zusatzbeiträge künftig stärker zur Kasse gebeten werden, wird mit der Bundestagswahl im September entschieden. Die aktuellen Regelungen sind so widersprüchlich, dass ein kostendeckender Zusatzbeitrag ab dem kommenden Jahr kaum erhoben werden kann. Eine schwarzgelbe Regierung dürfte die Zusatzbeiträge „gängig“ machen und ausdehnen – auch mit dem Hinweis, dass die Leute ja dann mehr Geld in der Tasche haben, weil die Steuer auf Beiträge zur (privaten wie gesetzlichen) Krankenversicherung dann entfällt. Rote Regierungskombinationen werden versuchen, die private Versicherung zu rasieren und ein Einheitsmodell zu kreieren.

Die Vorbereitungen dafür sind getroffen, die Wahlprogramme geschrieben, der Wahlkampf hat begonnen. Nicht anders sind die Winkelzüge und Rochaden zu bewerten, die (nicht nur, aber vor allem) die bayerische Staatsregierung unter Ministerpräsident Horst Seehofer, einem der besten Kenner des deutschen Gesundheitssystems, in den vergangene Wochen hingelegt hat. Was da nicht alles behauptet, gefordert oder dem Bundesrat an Gesetzesanträgen vorgelegt wurde: Das Monopol der Hausärzte bei Vertragsverhandlungen mit den Kassen wieder zu kassieren, den Versandhandel für Arzneimittel zu unterbinden, die Honorarreform der Ärzte rückabzuwickeln, ihre Honorierung auf eine Gebührenordnung umzustellen, den Fonds einzustellen und so weiter und so weiter. Geschehen davon ist nichts, der Bundesrat hat keinen einzigen Antrag angenommen, manche Regierung hat sich allerdings von ihren eigenen Vorschlägen distanziert. Geblieben sind allein leere Versprechungen.

Im Wahljahr vor allem Budenzauber, manchmal nur zu ertragen mit einem Glas guten Weins.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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