Neues zur eGK

Schlechte Karten

Angekündigt hatte sie Ulla Schmidt schon 2006. Doch noch drei Jahre später gleicht das nach ihren Worten „größte IT-Projekt der Welt“ einer Großbaustelle. Bis weit ins nächste Jahrzehnt werden sich Ärzte, Politiker und Industrie wohl mit der elektronischen Gesundheitskarte auseinandersetzen müssen. Allein der Aufbau der Infrastruktur ist aufwendig, kostspielig und nicht immer praxistauglich.

Es knirscht und hakt weiter im eGK-Getriebe, wenngleich das BMG nach wie vor alles daran setzt, das Projekt vorwärts zu treiben. Beim Online-Rollout zum Beispiel. Er ist jetzt beschlossene Sache. Am 15. Dezember traf die Gesellschafterversammlung der gematik die folgenreiche Entscheidung – gegen die Stimmen von KZBV, BZÄK und Bundesärztekammer. Online-Roll - out bedeutet nicht anderes als die Anbindung der Arzt- und Zahnarztpraxen an ein geschütztes Netzwerk über Internet – mit dem Ziel, dass die Versichertenstammdaten dort künftig online geprüft und aktualisiert werden. Sicher, das ist ein Kassenjob, der in der Praxis nichts zu suchen hat. Nichtsdestotrotz sollen diese Prozesse jetzt dorthin verlagert werden. Außerdem sollen Mediziner elektronische Arztbriefe per Mail verschicken können.

Für die Ärzte ist das ein echter Mehrwert – sind sie doch dann in der Lage, Einweisungs- und Entlassungsbriefe elektronisch abzubilden. Im zahnärztlichen Bereich handelt es sich dagegen um Einzelfälle – die Online-Anbindung nutzt weder den Patienten noch den Zahnärzten. Im Gegenteil: Sie kostet, und zwar nicht zu knapp. Davon abgesehen gilt dieser Schritt auf Seiten der Mediziner fast durch die Bank als völlig übereilt. Auch die KZBV und die BZÄK üben massive Kritik an dem Online-Beschluss.

Völlig überstürzte Aktion

„Mit solchen überstürzten Aktionen lässt sich keine vernünftige Telematikinfrastruktur für das Gesundheitswesen aufbauen“ stellt der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Günther E. Buchholz fest. Grundsätzlich stehen die Zahnärzte dem Projekt sowieso kritisch gegenüber, erläutert Buchholz: „Man kann nicht den Dachdecker holen, wenn das Fundament für das Haus noch gar nicht steht.“ Derselben Meinung ist Jürgen Herbert, im Vorstand der BZÄK zuständig für die Telematik: „Die Ergebnisse der Feldtests für die weiteren geplanten Anwendungen sind teils vernichtend – siehe e-Rezept und Notfalldaten. Es gibt zahlreiche technische Probleme und offene Fragen, die jetzt zu klären sind – andernfalls kumulieren die Fehler in der nächsten Phase.“

Vorrangig ist freilich eine andere Frage: die der Freiwilligkeit. Wörtlich steht in dem Beschluss: „Der Start der Online-Anbindung ist freiwillig.“ Für die Zahnärzte und das Gros der Ärzteschaft ist der Satz eindeutig: Die Online-Anbindung ist insgesamt als freiwillige Entscheidung der Mediziner zu verstehen. Die Kostenträger legen die Formulierung allerdings so aus, dass lediglich der Start innerhalb eines Zeitfensters freiwillig sein soll, die Mediziner jedoch über kurz oder lang online arbeiten müssen.

Wer sich weigert, hätte schlechte Karten: Geht es nach dem GKV-Spitzenverbandes, sind dann zum Beispiel bestimmte nicht frei auslesbare Patientendaten auf der eGK für den Arzt nicht mehr verfügbar.

Zwang durch die Hintertür

„Der Plan der Kassen, die Komponenten zum Auslesen dieser abrechnungsrelevanten Daten nur im Fall der Online-Anbindung zu bezahlen, gleicht damit einer Verpflichtung durch die Hintertür“, kritisiert Buchholz. Maßgeblich für die Zahnärzte sei jedoch, dass sie weiterhin autonom entscheiden können, ob – und wenn ja – wann sie ihre Praxen online anbinden wollen. „Freiwilligkeit“, betont Buchholz, „ist deswegen ein entscheidender Faktor für das Gelingen der Einführung von Online-Funktionen der Karte. Wer hier Druck aufbaut, riskiert einen Rohrkrepierer für das Gesamtprojekt eGK.“ Ähnlich äußerte sich auch die Bundesärztekammer. „Solange fachliche wie grundsätzliche Fragen noch ungeklärt sind, können wir dem Online-Rollout nicht zustimmen“, erklärte Prof. Dr. Christoph Fuchs, Hauptgeschäftsführer der BÄK. Vor allem, weil immer noch keine Evaluierung der teilweise ernüchternden Testergebnisse stattgefunden hätte.

Befremdlich wirkt vor diesem Hintergrund das Votum der KBV, die Planung für den Online-Rollout mitzutragen – trotz der reihenweise gefassten Beschlüsse der Ärzteschaft gegen die eGK. Zumal es technisch durchaus machbar wäre, die betreffenden Daten auch offline auszulesen. Das Paradebeispiel dafür haben die Hersteller längst geliefert: die mobilen Geräte. Mit ihnen arbeitet der Arzt selbstredend offline – denn wer hat schon beim Hausbesuch einen Konnektor unterm Arm? Da drängt sich für den Behandler doch die Frage auf, wieso man mit stationären Geräten nicht genauso verfährt.

Wissen statt würfeln

Probleme in der Praxis zählen auch zur Tagesordnung in Nordrhein. Dort laufen bekanntlich die Vorbereitungen für den geplanten Basis-Rollout der eGK. Zur Erinnerung: Hier geht es nur um das Auslesen der Versichertenstammdaten analog zur KVK.

Während für die Ärzte die Pauschalen für den Kauf des Kartenterminals und die Anpassung des PVS bereits stehen, hat die KZBV die Finanzierungsvereinbarung für die Zahnärzte zwar unterschrieben, die Pauschalen aber noch nicht vereinbart. Aus gutem Grund: Obwohl mittlerweile sechs stationäre Kartenlesegeräte zertifiziert sind, gibt es immer noch kein einziges mobiles Gerät mit einer Zulassung, das auch die kommenden Anwendungen unterstützt. Der GKV-Spitzenverband will die Pauschalen für die stationären Geräte nur festmachen, wenn zeitgleich auch für die mobilen Geräte eine entsprechende Regelung getroffen wird. Voraussetzung für ein solches Übereinkommen ist aber für die KZBV, dass mindestens ein solches Gerät am Markt ist. „Wir werden keine Zahl auswürfeln bevor wir nicht wissen, was ein Mobilgerät de facto kostet“, bestätigt Buchholz.

Eigentlich sollte die Ausstattung der Praxen Anfang Februar beginnen – so sieht es zumindest der Zeitplan der gematik vor. Ohne eine konkrete Finanzierungszusage der Kostenträger liegt das Prozedere hingegen zunächst auf Eis. „Letztlich werden die Zahnärzte um den Austausch ihrer alten Lesegeräte aber nicht herumkommen, weil sie damit die eGK nicht auslesen können“, erklärt Buchholz. „Daher gilt es jetzt, alles zu unternehmen, um ein möglichst praktikables Verfahren in den Praxen durchzusetzen und bestehende Probleme zu minimieren.“

Im dritten Quartal steht voraussichtlich die Ausgabe der eGK an. Vorgesehen ist, dass erstmal 15 Prozent der Versicherten eine eGK erhalten, und die Praxen nur die Versichertenstammdaten auslesen. Aber auch hier steckt der Teufel schon im Groben: Schließlich gibt es immer noch keine zertifizierte Karten auf dem Markt, die alle Sicherheitsauflagen erfüllen. In den sieben Testregionen ist bisher eine frühere Kartengeneration im Einsatz – eine mit einem kürzeren Schlüssel. Warum man sich nicht die Zeit nimmt, auch die für den Rollout vorgesehenen Karten zu testen, weiß vermutlich nur das BMG.

Problem Zwiebelschale

Wie es dann weitergeht? Das „Zwiebelschalenmodell“ sieht vor, in Nordrhein mit dem Basis-Rollout zu starten, um darauf in den anderen Regionen staffelartig nachzuziehen. Dabei hält die gematik auf Druck des BMG an ihrem Zeitplan fest: Zwar hat man die Staffeln weitgehend zusammengeschoben, doch will man mit der Ausgabe eGK nicht warten, bis die Praxen bundesweit mit neuen Lesegeräten ausgestattet sind. Wo es diese noch nicht gibt, ist die eGK indessen als Versicherungsnachweis per Vereinbarung von GKV-Spitzenverband und KZBV ungültig. Vorschlag der gematik: Die Versicherten sollen bis Ende 2009 parallel zur eGK ihre alte KVK mitführen. Aber welcher Patient denkt daran? Alldieweil im Ruhrgebiet viele Leute pendeln und ihnen die Teilung in die Bezirke Nordrhein und Westfalen-Lippe gar nicht bewusst ist. Probleme in der Praxis sind damit programmiert. Legt der Patient nur die eGK vor, gibt es keinerlei Ersatzverfahren – gültig ist nur die alte KVK oder das Papier. Fazit: Der Zahnarzt muss privat liquidieren. Nordrhein ist in diesem Fall gar nicht unbedingt leidtragend – die Praxen dort verfügen ja über Lesegeräte, die beide Karten handeln können. Gebeutelt ist besonders Westfalen-Lippe. Geht ein Patient aus Essen mit seiner eGK zu seinem Arzt nach Bochum, ist Schicht im Schacht: Der Mediziner wohnt vielleicht um die Ecke, kann aber mit seiner Software in Westfalen-Lippe nur die KVK auslesen. Macht der Essener Urlaub in Bayern, hat er im Krankheitsfall dasselbe Problem – der Freistaat ist nämlich Teil der letzten Staffel und gültig ist dort bis dahin nur die KVK.

Alles eine Kostenfrage

Dass gematik, GKV-Spitzenverband und selbst die KBV trotzdem nicht warten wollen, bis alle Praxen die eGK auslesen können, scheint bar jeder Vernunft. Würde man mit der Ausgabe der eGK in Nordrhein nur ein Quartal warten, wäre die Problematik passé. Und last but not least sparen die Kassen ohne die quartalsweise Staffelung Zeit und Geld. Bei jedem Wechsel oder Umzug müssen sie ihren Mitgliedern in Nordrhein stets zwei neue Karten ausstellen – neben der eGK wird also immer noch zusätzlich eine neue KVK benötigt.

Wenig Grund zur Freude herrscht auch bei den Beteiligten in den sieben Testregionen. 188 Ärzte, 115 Apotheken und elf Krankenhäuser sind in Wolfsburg, Trier, Heilbronn, Bochum/Essen, Flensburg, Löbau/Zittau und Ingolstadt in die Tests zur eGK eingebunden. „Die Durchführung der Feldtests Release 1 hat die in den Testregionen bestehende indifferente Stimmung der Leistungserbringer zur Thematik der Einführung der EGK nicht wesentlich verändern können“, so die kühle Zwischenbilanz der gematik.

Mittlerweile funktioniert das Auslesen der Versichertenstammdaten aus der eGK technisch zwar mehr oder weniger reibungslos – alle anderen getesteten Funktionen sowie das Kartenhandling lassen indes noch zu wünschen übrig. Probleme macht beispielsweise die sogenannte Initialisierung der PIN: Dabei wird die Geheimzahl des Versicherten am Anfang einmalig scharf gestellt – wofür die einzelnen Kartenherausgeber unterschiedliche Verfahren entwickelt haben. Deutlichen Verbesserungsbedarf sehen die Ärzte auch bei der PIN-Eingabe. Zum einen funktioniert die Nummer häufig überhaupt nicht, zum anderen haben sie Ältere oftmals schlicht vergessen. Dieser Mehraufwand erschwert die Arbeit der Mediziner. Schlecht auch das Zusammenspiel zwischen PVS-Herstellern und gematik. Nehmen wir etwa die Stapelsignatur. Die PIN-Eingabe für mehrere Rezepte wurde zum Teil erst sehr spät beziehungsweise gar nicht umgesetzt, so dass die betroffenen Ärzte jedes Rezept einzeln signieren mussten. Alles in allem betrafen rund zwei Drittel aller an die gematik gemeldeten Fehler die Praxis-EDV.

Ebenfalls ein Ärgernis: das Lichtbild. Während die Praxen sich von den Patienten den Ausweis zeigen lassen müssen, pappen die Kassen einfach ein Bild auf die Karte. Sie führen nämlich kein echtes Identifizierungsverfahren durch, sondern nur minimale Plausibilitätskontrollen. Das heißt, sie vergleichen das Foto nicht mit dem Personalausweis, sondern nur mit Micky Maus oder der Queen. Missbrauch wird also auch weiterhin ermöglicht und nicht im Vorfeld ausgeschlossen. Zurzeit sind die Kassen freilich noch mit dem Einsammeln der Fotos beschäftigt. Und diese Aufgabe verläuft schleppend. Einige wollen ihre Mitglieder jetzt zweimal anmahnen. Ist dann immer noch kein Foto eingeschickt, behält der Versicherte vorerst seine KVK.

Halbe Geheimnisträger

Gefahr droht den Ärzten derweil durch das neue BKA-Gesetz. Per Bundestagsbeschluss durchgesetzt, erlaubt es ab jetzt Online-Durchsuchungen in den Praxen. „Mit dem BKA-Gesetz können Zahnarztcomputer bei Verdacht per Internet durchforstet werden“, bestätigt Buchholz. „Das erodiert das Arztgeheimnis und belastet die Arzt-Patienten-Beziehung.“ Ein Grund mehr, die Online-Anbindung der Zahnarztpraxen abzulehnen. Auch wenn es bei diesen Durchsuchungen richterliche Kontrollmechanismen gebe, zeigten die Fälle von gesetzeswidrigen Datenzugriffen oder -weitergaben in der Vergangenheit eines: Die letzte Sicherheit vor Missbrauch gibt es nicht. Zu Schaden kommt am Ende der Patient, denn er hat mit dem vermeintlichen Verdachtsmoment gar nichts zu tun. Der Bundestrojaner macht bei der Bespitzelung keine Unterschiede – es trifft Unschuldige.

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