Gastkommentar

Rösler auf Abwegen

Gesundheitsminister Rösler attackiert die Pharmaindustrie. Doch auf der Ausgabenseite lassen sich die Finanzprobleme nicht lösen, meint Dr. Dorothea Siems, Politikkorrespondentin der Welt in Berlin.

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler wandelt auf den Spuren seiner Vorgänger. Wie schon Norbert Blüm (CDU), Horst Seehofer (CSU), Andrea Fischer (Grüne) und Ulla Schmidt (SPD) legt sich auch der erste FDP-Politiker in diesem Amt mit der Pharmabranche an und verlangt von ihr ein Sonderopfer. Nicht mit mehr Marktwirtschaft, wie man es von einem Liberalen erwartet hätte, sondern mit dem alten Instrumentarium an staat- lichen Regulierungsmaßnahmen will Rösler die Kosten in den Griff bekommen.

Diese Kostendämpfung prägt seit Jahrzehnten die Gesundheitspolitik. Die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung wurden so aber immer nur kurzfristig stabilisiert. An dem Trend steigender Gesundheitsausgaben änderte sich nichts. Im System gibt es drei entscheidende Kostentreiber: den medizinischen Fortschritt, die steigende Lebenserwartung und die mit dem Wohlstand gestiegenen Ansprüche der Menschen. Es ist Illusion zu glauben, die Finanzierungsprobleme ließen sich auf der Ausgabenseite lösen. Zwar wird der Staat in einem Markt, auf dem Wettbewerbsregeln nur eingeschränkt gelten, die Regelungen immer wieder neu justieren müssen. Doch das ersetzt keine Reform.

Meist wird völlig übersehen, dass die Medizinbranche einer der wenigen Wachstumsmärkte ist, die wir in Deutschland haben. Schon heute ist jeder neunte Arbeitnehmer im Gesundheitswesen beschäftigt. Experten schätzen, dass die Zahl der Jobs in diesem Wirtschaftszweig künftig um 100 000 pro Jahr steigen wird. Auch in der schwersten Rezession seit 80 Jahren hat sich die Medizinbranche überdies als Fels in der Bandung erwiesen. Es ist deshalb Zeit, den Gesundheitsmarkt unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Wenn die Automobilindustrie oder die Reisebranche steigende Umsatzzahlen melden, applaudieren Bürger und Politiker. Klettern dagegen die Ausgaben der Krankenkassen, hört man nur Klagelieder. Dabei ist den Menschen naturgemäß nichts so teuer wie ihre Gesundheit. Viele von ihnen sind durchaus bereit, erhebliche Beträge aus eigener Tasche für Alternativmedizin, Wellness oder Medikamente zu zahlen. Dieser privat bezahlte Gesundheitsmarkt wächst stetig, ohne dass sich die Politiker daran stören. Steigende Krankenkassenbeiträge sind dagegen ein Übel, weil sie die Lohnkosten in die Höhe treiben. Budgetierung, Ausgabendeckelung und andere Maßnahmen zur Kostendämpfung zielen darauf ab, das Wachstum zu bekämpfen. Viel sinnvoller aber wäre es, das System auf eine andere finanzielle Basis zu stellen, die Dynamik gestattet, ohne dass dies negative wirtschaftliche Folgen hat. Nachhaltig wird eine Reform der gesetzlichen Krankenkasse deshalb nur sein, wenn sie auf der Finanzierungsseite ansetzt.

Röslers Großvorhaben, die Beiträge schrittweise in ein Prämienmodell zu überführen und damit vom Faktor Arbeit abzukoppeln, geht deshalb in die richtige Richtung. Eine Pauschale zahlt der Einzelne unabhängig von seinem Einkommen, sie verteuert somit auch nicht die Arbeit. Eine Alternative wäre eine höhere Eigenbeteiligung der Versicherten. Eine weitere Möglichkeit ist die von Ärztepräsident Hoppe ins Spiel gebrachte Priorisierung von Leistungen, was letztlich auf eine Ausgrenzung von Kassenleistungen hinausläuft. Keine dieser drei Varianten ist populär. Doch muss die Politik endlich aufhören, den Menschen weismachen zu wollen, der gewohnte Leistungsumfang werde in Zukunft allein mit einkommensabhängigen Kassenbeiträgen finanzierbar sein.

Damit die Früchte des medizinischen Fortschritts weiterhin auch Kassenpatienten zur Verfügung stehen, muss das System Dynamik zulassen. Sicherlich ist es politisch keine leichte Aufgabe, den Wählern klarzumachen, dass eine alternde Gesellschaft mehr Geld für Gesundheit ausgeben muss, wenn sie ein gutes Versorgungsniveau aufrecht- erhalten will. Auch Rösler drückt sich bisher um diese Wahrheit herum.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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