Neuer Gesundheitsbericht

Reine Männersache

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Heftarchiv Gesellschaft
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Er qualmt, trinkt und arbeitet zu viel – typisch Mann! Kein Wunder, dass er krank wird, oder? Nein, sagen die Autoren des Ersten Deutschen Männer-gesundheitsberichts. Richtig ist: Wir wissen zu wenig über Männer und ihre Gesundheit. Männer vernachlässigen sich nämlich nicht nur selbst, sie werden auch vernachlässigt. Und das muss sich ändern.

2001 erschien der erste Frauengesundheitsbericht in Deutschland, jetzt, neun Jahre später, liegt der „Erste Deutsche Männergesundheitsbericht“ vor, herausgegeben von der Stiftung Männergesundheit und der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit e. V. Von Experten wurde diese Ausarbeitung lang erwartet, weil sie den Weg zeigt, den die Männergesundheitsforschung in den vergangenen Jahren zurückgelegt hat, und zugleich einen Ausblick auf das gibt, was vor ihr liegt. Ein Meilenstein.

Das Werkzeug pflegen

„Ein Mann, der zu beschäftigt ist, sich um seine Gesundheit zu kümmern, ist wie ein Handwerker, der keine Zeit hat, seine Werkzeuge zu pflegen“, sagt ein spanisches Sprichwort. Tja, deutsche Männer haben wenig Zeit: Im Beruf stark eingespannt ernähren sie sich ungesund, rauchen zu viel, trinken exzessiv und sterben am Ende früher. Prävention? Davon halten sie eher wenig, stattdessen gehen sie oft an ihre Grenzen – körperlich wie physisch. Diese Tendenz zur Selbstzerstörung kommt freilich nicht von ungefähr. „Wann ist ein Mann ein Mann?“, fragte Herbert Grönemeyer 1984. Eine Frage, die wir auch 26 Jahre später noch nicht abschließend beantworten können. Außen hart, innen weich? Stark und sensibel zugleich? Fest steht: Die gängigen Klischees sind bis heute fest in den Köpfen verankert. Heulen, jammern und sich pflegen? Geht gar nicht, weil unsexy. Der echte Mann ist hart im Nehmen. Wenn also das starke Geschlecht Raubbau an seiner Gesundheit betreibt, gilt auch das als männlich. Eine sehr begrenzte Sicht, sicher. Aber mal ehrlich: Wer will schon eine Memme, ein Warmduscher oder gar ein Vorwärtsparker sein?

Die Haltung der Gesellschaft, Männer müssten immer leistungsfähig sein, deckt sich eins zu eins mit der landläufigen Meinung der Medizin, Männer bedürften keiner besonderen Aufmerksamkeit. Letztlich waren Männer in der Gesundheitsforschung bislang kein großes Thema. Aber Autounfälle, Zigaretten, Alkohol, gefährliche Hobbys und Gewalt schaden nicht eben nur den Mitmenschen, sondern sind auch für einen Großteil der Todesfälle verantwortlich. Die Denke, Mann ist doch selber schuld, wenn er früher stirbt, greift den Autoren zu kurz. Auch hier sei die Männergesundheitsforschung stärker als bisher gefragt, die Ursachen des gewagten Verhaltens aufzudecken, sagen sie. Immer volles Risiko, immer Vollgas – diese Haltung kann auch eine Form von Lebensbewältigung und Selbstmedikation sein, formuliert es beispielsweise eine neue These. Überdies sei es weniger das Verhalten, das die Männer krank macht als die Verhältnisse. Genau: Risiko Job. Noch heute betreffen 92 Prozent der Arbeitsunfälle Männer. Teilzeit, Sabbatical und Elternzeit – für sie eher exotische Modelle.

Blinde Medizin

Die vorrangige Orientierung Richtung Beruf haben Männer auch verinnerlicht. Das Modell des männlichen Haupternährers belastet sie zusätzlich, indem sie versuchen, den tradierten Männlichkeitsbildern zu entsprechen – was ihr Gesundheitsrisiko nochmals erhöht. Allerdings scheint die Medizin immer noch zu blind für männerspezifische Themen: Lässt sie doch die Geschlechtsspezifik weiterhin häufig außer acht.

Nehmen wir die somatische Medizin – auch sie differenziert nicht nach Geschlecht, obwohl die Kranken zumeist Männer sind. Dabei lässt sich die körperliche Spezifik nicht allein auf die primären Geschlechtsorgane reduzieren. Erektile Dysfunktionen, koronare Herzkrankheiten, Diabetes mellitus, metabolisches Syndrom, Hypogonadismus, psychische Krankheiten – sie spielen in vielerlei Hinsicht zusammen und erfordern eine ganzheitliche Sichtweise. Dass hier der Männerarzt fehlt, ist für die Forscher nur allzu offensichtlich.

Was für die körperlichen Krankheiten gilt, trifft um so mehr auf die seelischen zu: Psychische Erkrankungen sind chronisch unterdiagnostiziert. So entwickelt sich in Fachkreisen erst allmählich ein Verständnis für spezifische Ausprägungen männlicher Depressionen. Anders als betroffene Frauen versuchen depressive Männer ihre Krankheit häufig mittels Gewalt, Alkoholismus und Suizid zu bewältigen. Daraus folgt aber, dass diese Symptome auch als psychische Störungen erkannt werden müssen. Noch fehlt es jedoch an Gewaltforschung, die psychische Ursachen einschließt, es fehlt an einer geschlechtsspezifischen Symptomforschung zu Angststörungen, und es fehlen valide Daten zu Persönlichkeitsstörungen. Zwar stellt die Medizin dort, wo die Jungen wahrgenommen werden, zunehmend Probleme fest, die damit verbundenen seelischen Nöte werden aber ignoriert. Beispiel Adipositas: Übergewicht stellt bei Jungen ein größeres Problem dar als bei Mädchen. Doch obschon letztere von den Präventionsangeboten profitieren, während erstere kaum erreicht werden, wird die Vorsorge nicht geschlechtsspezifisch ausgerichtet. Wer als Kind dick ist, kämpft bekanntlich auch später mit den Pfunden. Und leidet unter dem Gewicht: In einer Studie zur sozialen Bedeutung und Stigmatisierung von Adipositas bei Kindern erhielten dicke Jungen die schlechtesten Sympathiewerte, außerdem wird ihnen signifikant häufiger als übergewichtigen Mädchen geringe Intelligenz und Faulheit zugeschrieben. Jungenspezifische Konzepte sind gefordert. Wird nicht umgedacht, schreiben sich die negativen Etikettierungen von „richtigem“ und „falschem“ Verhalten fort, obwohl sich dahinter eigentlich Krankheiten verstecken. Fazit: Die Geschlechterblindheit, die die Frauengesundheitsforschung in den 70ern beklagte, betrifft auch die Männer – nur langsam verändert sich die Sicht auf sie und ihre Gesundheit. 

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