Lebensmittelkennzeichnung

Umstrittene Regeln aus der EU

Heftarchiv Gesellschaft
pr
Seit Januar 2007 gelten EU-weite neue gesetzliche Vorgaben für nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmitteln. Die Verordnung, die in allen EU-Staaten gleichermaßen gilt, regelt zum Beispiel, wann ein Produkt mit „fettarm“, „ballaststoffreich“ oder aber mit Aussagen wie „Calcium kann das Osteoporoserisiko senken“ beworben werden darf. Die Begutachtung der Aussagen entpuppt sich jedoch als schwieriger und langwieriger als gedacht. Die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA muss rund 4000 Werbebotschaften auf ihren wissenschaftlichen Aussagewert hin überprüfen. Interessengruppen und Europaabgeordnete kritisieren das Verfahren.

Dass zuckerfreier Kaugummi gut für die Zahnpflege ist, ist für Zahnärzte und Verbraucher eigentlich nichts Neues. Künftig aber dürfen die Hersteller hierfür nur noch mit dem Segen der obersten Lebensmittelhüter der Europäischen Union werben.

Eine im Januar 2007 in Kraft getretene EU-Verordnung schreibt nämlich vor, dass alle gesundheitsbezogenen Aussagen (engl.: health claims) über Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel auf den Prüfstand müssen. Dies gilt zum Beispiel für Werbebotschaften wie „unterstützt die natürlichen Abwehrkräfte“, „wirkt entzündungshemmend“ oder „stärkt die Knochendichte“.

Die im italienischen Parma ansässige Europäische Lebensmittelbehörde EFSA erarbeitet derzeit eine entsprechende Positivliste. Mit Aussagen, die sich wissenschaftlich nicht belegen lassen, soll die Nahrungsmittelindustrie künftig nicht mehr werben dürfen. Gleiches gilt für nährwertbezogene Aussagen wie „fettarm“, „ballaststoffreich“, oder „reich an Vitamin C“, für die bereits eine europaweite Liste existiert.

Nährwertprofile

Die Industrie soll eine gesundheitsbezogene Aussage zudem nur verwenden dürfen, wenn das Lebensmittel einem sogenannten Nährwertprofil entspricht. Die Profile sollen vorgeben, welche Standards hinsichtlich des Gehalts an Zucker, Salz und Fett die einzelnen Produkte oder Produktgruppen erfüllen müssen. Wie die jeweiligen Standards aussehen, steht noch nicht fest. Grundgedanke der europäischen Verordnung ist, die Verbraucher vor falschen oder übertriebenen Versprechungen beim Kauf vermeintlich gesunder Lebensmittel zu schützen.

Bei den Nährwertprofilen ist die Europäische Kommission allerdings bereits nach zahlreichen Protesten aus der Wirtschaft und von Europaabgeordneten zurückgerudert. So soll es zum Beispiel für Grundnahrungsmittel und regionale Lebensmittelspezialitäten, wie bestimmte Brotsorten, Obst, Gemüse, Fleisch, Fisch, Milch und Eier keine Nährwertprofile geben. Auch sollen zum Beispiel Hustenbonbons weiterhin als „gesund für den Rachen“ beworben werden dürfen, ohne dass die Hersteller dazu verpflichtet werden, auf den „ungesund“ hohen Zuckergehalt der Bonbons hinzuweisen.

Ob dies die einzigen Zugeständnisse sind, die die Kommission machen muss, bleibt abzuwarten. Denn das Thema Nährwertprofile wird im Europäischen Parlament (EP) auch im Zuge der Beratungen über eine neue Richtlinie zur Lebensmittelkennzeichnung behandelt. Sie soll festlegen, welche Inhaltsstoffe auf der Verpackung angegeben werden müssen. Eine erste Lesung im Plenum soll im Mai 2010 erfolgen. Bislang sind rund 1 300 Änderungsanträge zum Vorschlag der EU-Kommission eingegangen – darunter der Vorschlag, die Nährwertprofile zu kippen.

Verzögerungen

Verzögerungen gibt es auch bei der Positivliste für die health claims. Sie sollte eigentlich bis Ende Januar 2010 vorliegen. Es zeichnet sich aber ab, dass dieser Zeitplan nicht einzuhalten ist. Die Lebensmittelindustrie hatte zunächst rund 44 000 Aussagen zur Bewertung eingereicht. Nach einer Vorauswahl durch die Europäische Kommission blieben 4 185 claims übrig. Doch die EFSA hat davon bislang erst 523 begutachten können.

Einem Drittel der Werbebotschaften erteilte die Behörde grünes Licht, darunter Angaben, die auf den Nutzen von zuckerfreiem Kaugummi für die Zähne hinweisen. Ausreichend wissenschaftliche Belege fanden die europäischen Lebensmittelhüter zudem für health claims betreffend Vitamine und Mineralstoffe sowie für Aussagen über den Nutzen diätetischer Ballaststoffe und Fettsäuren zum Aufrechterhalten eines angemessenen Cholesterinspiegels.

Doch scheinen die Hersteller häufig mehr zu versprechen, als sie halten können. „Bei fast der Hälfte der negativen Bewertungen war die Substanz, auf die sich eine bestimmte Angabe bezog, nur unzureichend beschrieben, was beispielsweise bei ’probiotischen’ und pflanzlichen Stoffen der Fall ist“, so Professor Albert Flynn, Vorsitzender des zuständigen EFSA-Gremiums.

Als wissenschaftlich nicht hinreichend gesicherte Aussage wertete die Behörde zum Beispiel, dass Fluorid in Lebensbeziehungsweise Nahrungsergänzungsmitteln der Erhaltung der Knochen dienen soll. Zweifel hat die EFSA auch an der angeblich entzündungshemmenden Wirkung von Gamma-Linolensäure in Lebensmitteln oder der positiven Wirkung von pantothensäurehaltigen Produkten für den Erhalt von Knochen, Zähnen, Haaren und der Haut.

Ins Gegenteil verkehrt

Die Lebensmittelwirtschaft sieht die neuen Regelungen ohnehin kritisch. Der bisherige ordnungspolitische und gesetzgeberische Ansatz sei ohne Not ins Gegenteil verkehrt worden, moniert der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL). „Galt bisher, dass erlaubt ist, was nicht verboten ist, so wird in Zukunft gelten, dass verboten ist, was nicht erlaubt ist.“

Experten fürchten zudem, dass selbst wissenschaftlich getestete Aussagen, wie „zahnfreundlich“ im Zusammenhang mit dem Zahnmännchen-Siegel der Ablehnungspolitik der EFSA zum Opfer fallen könnten. Das Zahnmännchen stelle in der Ernährungsberatung eine einfache Orientierungshilfe dar, mit der Patienten leicht Produkte erkennen können, die weder Karies noch Erosionen verursachen, betont Professor Matthias Hannig von der Universität Homburg.

Experten hadern

Professor Andreas Hahn vom Institut für Lebensmittelwissenschaft an der Universität Hannover kritisiert zudem die „überzogenen und wenig transparenten Kriterien“, nach denen die EFSA unzählige health claims ablehnt.

Auch Hersteller von pflanzlichen Arzneimitteln sowie Gesundheitsexperten aus dem EP hadern mit den Bewertungsregeln. Ihnen allerdings erscheinen die Maßstäbe mitunter zu wenig restriktiv.

Dr. Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der christdemokratischen Fraktion im EP, mahnt, dass nicht ausgeschlossen ist, dass diätetische Lebensmittel (Nahrungsergänzungsmittel) mit gesundheitsbezogenen Aussagen beworben werden können, die gewöhnlich nur im Zusammenhang mit Arzneimitteln erscheinen. Dies gelte es zu verhindern, um die Verbraucher vor Irreführungen zu schützen.

Liese fordert ferner, eine europaweite Bevölkerungsumfrage zu den health claims durchzuführen, um das Verständnis der Verbraucher zu erkunden und dem Verbraucherschutz umfassend Rechnung zu tragen.

Petra SpielbergChristian-Gau-Straße 2450933 Köln

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.