Xeroderma pigmentosum

Leben nicht nur im Mondschein

Menschen, die an Xeroderma pigmentosum (XP) leiden, können sich nicht gefahrlos im Tageslicht bewegen. Ein Gendefekt verhindert, dass die von UV-Strahlen verursachten Schäden in der DNA ihrer Hautzellen repariert werden. XP-Patienten haben aus diesem Grund ein bis zu tausendfach erhöhtes Hautkrebsrisiko. Soziale Isolation und eine verkürzte Lebensdauer können die Folge sein – müssen es aber nicht.

„Eigentlich waren wir eine ganz normale deutsche Durchschnittsfamilie. Bis zu dem Tag, an dem mir eine kleine Warze auf dem Nasenrücken von meinem Sohn aufgefallen ist.“ So beginnt Moni Prenting die Geschichte ihres 14-jährigen Sohnes Markus auf der Internetseite der Selbsthilfegruppe "XP-Freu(n)de". Bei Untersuchungen stellt sich heraus, dass es sich bei der Warze um einen Stachelzellkrebs handelt. Der damals ein Jahr alte Junge muss sofort operiert werden. Drei Monate später steht die Diagnose fest: Markus hat XP. In Deutschland leben nur etwa 50 Menschen mit dieser Krankheit.

Eine Haut wie Pergament

XP wurde zum ersten Mal im Jahr 1870 von dem Wiener Dermatologen Moriz K. Kaposi beschrieben. Weil sich die Haut der Betroffenen wie Papier anfühlte, nannte er die Krankheit Pergamenthaut und gab ihr die Fachbezeichnung „Xeroderma“ – das griechische Wort „Xeros“ heißt übersetzt dürr und trocken. Kaposi stellte fest, dass Augen, Nase und Mund seiner Patienten stark angegriffen waren und sie schon im frühen Kindesalter Karzinome entwickelten. Seitdem haben Forscher herausgefunden, dass XP ein autosomal-rezessiv vererbter Gendefekt ist, das heißt, die Krankheit kommt dann zum Ausbruch, wenn sich auf beiden Chromosomen die gleiche Veränderung in einem bestimmten Gen findet – also jeweils eine Mutation vom Vater und eine von der Mutter weitergegeben wird.

Bei XP hat das diese Folgen: Trifft die ultraviolette Strahlung des Sonnenlichts auf die Haut der Betroffenen, verursacht das irreparable Schäden am Erbgut der Hautzellen. Bei gesunden Menschen übernehmen spezielle Enzyme die Reparatur der Schäden, bei XP-Patienten hingegen verhindert das ein Defekt in der so genannten Nukleotidexzisionsreparatur. „Dieser Reparaturmechanismus behebt große DNS-Läsionen, die durch eine Vielzahl von Noxen wie ultraviolettes Licht, Alkylantien und Crosslinker hervorgerufen werden“, erklärt Prof. Dr. Mark Berneburg, Oberarzt an der Universitäts-Hautklinik in Tübingen und in Deutschland Spezialist für die Krankheit.

Es gibt unterschiedliche Schweregrade von XP, da je nach Art des Gendefekts andere Reparaturproteine funktionsuntüchtig sind. Insgesamt sind acht Komplementationsgruppen des Gendefekts bekannt: XP-A bis XP-G und eine XP-Variante. In etwa 20 Prozent der Fälle treten zusammen mit XP neurologische Defizite in Form motorischer Störungen und Reflexabschwächungen bis hin zu Ataxie und Spastik auf.

XP-A nimmt einen besonders schweren klinischen Verlauf mit multiplen Tumoren, neurologischen Symptomen und stark reduzierter Lebenserwartung. Die Subformen XP-B und -C kommen extrem selten vor. Laut Berneburg sind erst zwei Fälle beschrieben. Auch sie nehmen einen vergleichsweise schweren Verlauf. Die Komplementationsgruppen D bis G hingegen charakterisiert ein milder Verlauf, bei XP-D treten allerdings häufiger Hauttumoren auf als in den Gruppen E bis G.

Eine Heilung der Krankheit ist bisher nicht möglich. Wie bei vielen Erbkrankheiten, existieren auch in der XP-Forschung erste Ansätze einer Gentherapie. Aber: Solche Verfahren sind sehr aufwendig. Die XP-Forschung steht noch ganz am Anfang, so dass in den nächsten Jahren nicht mit einem Durchbruch zu rechnen ist.

XP zählt zu den seltenen Erkrankungen, den so genannten „Orphan Diseases“. Als selten gelten Krankheiten, wenn nicht mehr als fünf von 10 000 Menschen von ihnen betroffen sind. Das Problem: Erbleiden mit geringer Inzidenz werden "in der täglichen Praxis häufig nicht mit in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einbezogen", weiß Mark Berneburg. „Gerade am Anfang kann die Krankheit deshalb sehr leicht übersehen werden“. Weil die Krankheit oft zu spät erkannt wird, haben viele XP-Patienten einen langen Weg durch die medizinischen Instanzen hinter sich. Bevor die richtige Diagnose gestellt wird, ist ihr Gesicht wegen der vielen Tumoroperationen und Hauttransplantationen schon stark entstellt.

Erfahren Betroffene früh von ihrer Krankheit, können sie lernen, sich effektiv zu schützen und den Schaden zu reduzieren. Hinweise auf XP sind bei Kindern überstarke Sonnenbrände schon nach kurzen Aufenthalten in der Sonne und eine frühe Sommersprossenbildung bei Babys.

„Zahnärzte könnten die Krankheit an Läsionen der Unterlippe, der Schleimhäute oder der Gesichtshaut erkennen. Wenn sie da Auffälligkeiten feststellen, sollten sie den Patienten an den Hautarzt überweisen“, rät Berneburg.

Für die Diagnose kommt die Unscheduled DNA Synthesis (UDS) zur Anwendung, mit der die Reparaturkapazität der Zellen bestimmt wird. „Dazu werden Fibroblasten aus Hautproben angezüchtet und mit unterschiedlichen Dosen von UVC-Licht exponiert“, erklärt Mark Berneburg. „Zur Reparatur wird den Zellen anschließend radioaktiv markiertes Tritium angeboten und der radioaktive Einbau in die DNS durch Szintillationsmessung bestimmt. Da die DNS-Polymerase im letzten Reparaturschritt die entstandene Lücke in der DNS auffüllt, entspricht der radioaktive Einbau auch der Reparaturkapazität der untersuchten Zellen“. Liegt die UDS unter 40 Prozent, handelt es sich um XP.

Die Spanne der Lebenserwartungen liegt bei XP-Patienten weit auseinander. Mark Berneburg: „Es gibt Patienten, die 60 Jahre alt werden, wir haben auch eine 80-jährige Patientin. Andere leiden dagegen mit sechs Jahren schon an multiplen Hauttumoren und versterben vor ihrem zehnten Geburtstag“. Das Lebensalter von Menschen mit XP hängt vom Schweregrad Ihrer Erkrankung ab, wie regelmäßig sie zu den Vorsorgeuntersuchungen erscheinen – und wie konsequent sie sich schützen. Dazu gehört neben einer die Haut vollständig bedeckenden, UV-dichten Kleidung und einem Kopfschutz das Auftragen einer Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor. Mittlerweile gibt es Cremes, die Enzyme enthalten, die die Schäden im Erbmaterial reparieren. Auch ihren Wohn- und Arbeitsraum sollten XP-Betroffene in die Prophylaxe miteinbeziehen und Fensterscheiben in Haus, Schule oder Büro mit einer UV-abweisenden Folie versehen. Die konsequente Befolgung dieser Vorsichtsmaßnahmen kann sich positiv auf die Lebenserwartung auswirken. Dennoch: XP ist mit Tumoroperationen und -therapien, einem hohen Versorgungsaufwand, Kontrolluntersuchungen und Prophylaxe verbunden. Das behindert den persönlichen Freiraum der Betroffenen. Die individuellen Reaktionen darauf fallen unterschiedlich aus.

Im Licht der Öffentlichkeit

In den Medien werden Menschen mit XP meist als Mondscheinkinder bezeichnet. Der Name zeichnet ein in vielen Aspekten zutreffendes, aber letztendlich zu einseitiges Bild der Krankheit. Er erweckt den Eindruck, dass die Betroffenen zu einem Leben in Dunkelheit gezwungen sind. Lange Zeit entsprach das auch der Empfehlung der Mediziner. Moni Prenting erinnert sich an die Zeit, nachdem bei ihrem Sohn XP diagnostiziert wurde: „Die Schulmediziner lasen uns cool aus einer Broschüre vor, wie wir uns ab sofort zu verhalten hätten: Gehen Sie mit ihrem Kind tagsüber nicht mehr nach draußen. Ändern Sie ihren Tag-Nacht-Rhythmus: Schlafen sie tagsüber und werden sie zu Nachtaktiven. Geben Sie Ihre Tagesjobs auf und arbeiten Sie ab sofort nur noch nachts. XP-Menschen sind sehr einsame Menschen, finden sie sich damit ab. XP-Kranke haben nur eine geringe Lebenserwartung“. Die Prentings fügten sich und krempelten ihr Leben um. Ein Elternteil blieb nachts wach und ging mit Markus zum Spielen raus.

Irgendwann aber war Schluss mit der Isolation, so die Mutter. Die Familie suchte „sehr zum Erstaunen der Schulmediziner“ nach einem alternativen Weg, um aus ihrem „Nachtkind ein Tagkind“ zu machen. Die Prentings informierten sich und fanden heraus, dass es eine UV-Schutzfolie für Fenster gibt. So konnte Markus einen normalen Kindergarten und die Grundschule besuchen. Jetzt geht er zur Realschule. Weil er die richtige Kleidung trägt, kann er am Nachmittag mit seinen Freunden draußen spielen und ist als Hockeytorwart in einem Verein aktiv.

„XP-Kranke haben eine annähernd normale Lebenserwartung. Es dreht sich halt alles nur um Schutz. Je mehr sie sich schützen, umso weniger Tumore können sich entwickeln und umso länger werden sie leben“, wissen die Eltern heute. Dafür gehen die Prentings auch Konflikte mit der Krankenkasse ein, wenn es zum Beispiel darum geht, wer die UV-abweisende Schutzfolie oder hochwertige Sonnencremes bezahlt. Heute hat sich die Situation mit der Kasse entspannt. „Wir haben irgendwann das persönliche Gespräch gesucht, sind hingefahren und haben uns mit den Verantwortlichen ausgetauscht. Wir konnten einen Kompromiss aushandeln. Auch von anderen Betroffenen hören wir, dass sich die Situation langsam verbessert.“

Auch Jalal El Sayed, 1983 im Libanon geboren, musste lange mit seiner Krankenkasse diskutieren, bis sie sich an den Kosten für die Sonnencreme beteiligte. Bei ihm wurde XP im Alter von drei Jahren diagnostiziert. Danach, berichtet er auf der „XP-Freu(n)de“-Homepage, „kam die Sache für mich erst richtig ins Laufen. Es folgte eine OP nach der anderen. Im ganzen Gesicht wurden Hautverpflanzungen vorgenommen“. Als kleines Kind sei er mehr im Krankenhaus gewesen als zuhause.

Wie er mit seiner Krankheit in der Öffentlichkeit umgehen will, hat Jalal erst nach und nach für sich entschieden. In der Schule kämpfte er wegen seines Aussehens zunächst mit seinem Außenseiterstatus. Es sei viel getuschelt worden, erinnert er sich. „Als ob man eine ansteckende Krankheit hat. Aber ich hab mich darum nicht gekümmert, auch wenn es manchmal wehtat. Mit der Zeit habe ich mir ein dickes Fell zugelegt“. Aber: Nachdem seine Mitschüler mitbekommen hätten, „wie ich so drauf bin, hat es nachgelassen und es ging weiter als ob nix vorgefallen wäre“.

Heute geht Jalal selbstbewusst mit seiner Krankheit um und hat keine Scheu, sie zum Thema zu machen und sich im Licht der Öffentlichkeit zu zeigen. Sein Standpunkt: „Warum soll ich mich zurückziehen? Warum nicht kämpfen und die Menschen auf meine Krankheit aufmerksam machen?“

Mittendrin sein, statt zuzugucken

Trotzdem: Soziale Isolation ist und bleibt eine mögliche Folge von XP, wie auch Prof. Mark Berneburg bestätigt. „Die Krankheit ist für die Patienten und ihre Familien eine große Belastung. Jeder hat die individuelle Freiheit zu entscheiden, wie er damit umgeht.“ Manche zögen sich komplett zurück, nähmen am Leben draußen nicht teil. Andere wiederum würden die Risiken vollkommen ignorieren und sogar ungeschützt in die Sonne gehen, weil sie sich nicht einschränken lassen wollen.

Sich unter gesunden Menschen zu bewegen, ist oft nicht einfach für XP-ler. Markus Prenting etwa wird wegen seines Aussehens und der Schutzkleidung, vor allem wegen des Kopfschutzes, oft gehänselt. Dem Wunsch nach Normalität steht das im Weg. Fotografin Christina Lux hat sich mit vielen Betroffenen über dieses Problem unterhalten und die verschiedenen Aspekte der Krankheit in einem Bildband festgehalten. Christina Lux hat im Zuge ihrer Recherchen auch Jalal kennengelernt. „Trotz der 150 Operationen, die er schon hinter sich hat, will er sich nicht zu sehr von der Krankheit einschränken lassen – zudem weiß er, dass es keinen absoluten Schutz gegen das UV-Licht gibt.

Es gibt natürlich auch viele Betroffene, die sich sehr schützen“, weiß Christina Lux. Besonders bei den Kindern sei das so, weil ihre Eltern darauf achten. Mit ihren Fotoarbeiten will sie vermitteln und erklären, was ein Leben mit XP ausmacht: „Dazu gehört eine besondere Wahrnehmung des Sonnenlichtes ebenso wie die Erfahrung von Ausgrenzung und Einsamkeit, der Kampf um Freiheiten und eine andere Perspektive auf das Leben.“

Susanne TheisenFreie Journalistin in KölnSusanneTheisen@gmx.net

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