Kinderzahnhilfe Brasilien (KIBRA)

Merkel würdigt soziales Engagement

Heftarchiv Gesellschaft
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KIBRA wurde im Bundeskanzleramt im Rahmen des „startsocial“ Wettbewerbs ausgezeichnet. Die Idee der individualisierten zahnärztlichen Gruppenprophylaxe als Eintritt in eine bezahlbare zahnärztliche Versorgung für Kinder und Jugendliche in Entwicklungs- und Schwellenländern überzeugte die Jury. In ihrer Laudatio erklärte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, Schirmherrin von startsocial: „Menschen, die anpacken, werden von der Gesellschaft gebraucht.“

Was sich im ersten Moment wie ein Widerspruch anhört, wurde von ZA Norbert Lehmann aus Karlsruhe bei humanitären zahnärztlichen Einsätzen in Brasilien geboren: die Idee einer individualisierten Gruppenbeziehungsweise Massenprophylaxe. In den Jahren 2006 und 2007 behandelte er dort Kinder aus brasilianischen Armenvierteln (Favelas). Dabei machte er die Erfahrung, dass es in Brasilien genügend hervorragend ausgebildete Zahnärzte gibt, aber auch Millionen von Armen, die sich eine zahnärztliche Behandlung finanziell nicht leisten können. Die Folge: Die Zahngesundheit der Kinder aus den Favelas ist äußerst unbefriedigend. Die Frage für Lehmann war: Wie kann man beide zusammenbringen? Den Zahnarzt, der von seiner Arbeit leben können will und soll, und den armen Patienten, der die Leistungen bezahlen muss. Die Prämisse: Der Lösungsweg sollte dem Anspruch der Nachhaltigkeit genügen. Gesucht wurde eine Methode, die eine Ergebnis- und Kostenkontrolle ermöglichte. Dafür kam nur eine Kombination aus Prophylaxe und zahnärztlicher Behandlung in Frage. Lehmann: „Ohne eine vorgeschaltete individuell kontrollierte Gruppen- beziehungsweise Massenprophylaxe würden sich die Kosten niemals so senken lassen, dass das System für die Armen bezahlbar wird.“

Für die Praxis stellte sich die Frage: Wie kann man sicherstellen, dass „der kleine José“ aus einem beliebigen Armenviertel regelmäßig zu den Prophylaxemaßnahmen – wie etwa Putztraining, Plaquekontrolle, Fluoridierung – oder zu zahnärztlichen Behandlungsmaßnahmen erscheint, und damit das Kariesrisiko und die Kosten des Systems statistisch signifikant senken.

In der Favela ist eine Kommunikation per Handy oder E-Mail nicht möglich. Ist jemand im Besitz eines Mobiltelefons, hat er meist keinen Kredit auf dem Chip, um telefonieren zu können. Die Menschen wohnen aber so dicht beieinander, dass jeder seine Nachbarn kennt. Daher läuft Kommunikation in der Favela so: Einer schreit eine Information durch die verwinkelten Gassen und alle, ob es sie betrifft oder nicht, haben die Neuigkeit mitbekommen.

Recall via Mütterteam

So war die Idee der „Mütterteams“ geboren (Grafik). Die Mütterteams bestehen aus jeweils fünf Müttern. Jede Mutter ist für die Teilnahme einer bestimmten Anzahl von Kindern an den Maßnahmen verantwortlich. Damit war der erste funktionierende Kommunikationskreis gebildet. Ist der Projektpartner eine Schule oder eine andere Bildungseinrichtung, übernimmt das Lehrpersonal die Funktion der Mütter. Mütter und Lehrerinnen werden zweimal jährlich in Workshops durch die KIBRA-Zahnärzte geschult. Dadurch wird die Compliance deutlich erhöht.

Kontrolle via Datenbank

Ein zweiter Kreis steuert und kontrolliert das System und korrespondiert mit dem Lehrpersonal und den Mütterteams. Dafür hat Lehmann zusammen mit dem Karlsruher IT-Spezialisten Reinhard Vollmannshauser eine Internetbasierte Datenbank entwickelt (Grafik). Mit dieser können alle relevanten Daten von jedem Ort der Welt abgerufen werden. So werden die Maßnahmen aus allen KIBRA-Projekten in Brasilien von Karlsruhe aus kontrolliert und gesteuert.

In der Praxis läuft es so: Zu Beginn eines Projekts werden die Daten aller Kinder mit DMF-T-Index und individuellem Kariesrisiko in die Datenbank aufgenommen. Auf dieser Grundlage wird jedes Kind einem bestimmten Prophylaxeschema zugeordnet. So nehmen Hochrisikopatienten an einem anderen Prophylaxeprogramm teil als Kinder, die kein erhöhtes Risikoprofil haben. Ein Beispiel: Kommt ein Kind nicht zu einem vereinbarten Fluoridierungstermin, fällt dies am Bildschirm in Karlsruhe auf. Von dort geht die Nachricht an die Zahnarzthelferin vor Ort, die wiederum die verantwortliche Mutter oder Lehrerin informiert. Jährlich wird der Status durch eine klinische Untersuchung neu aufgenommen. Mit den Daten lässt sich exakt berechnen, wie sich der Anfangsbefund verändert hat.

Der Anfangsbefund aller bisherigen KIBRA- Projekte lag statistisch bei 70:30 – 70 Prozent der Kinder hatten beim ersten Status Karies und 30 Prozent waren kariesfrei. Innerhalb von zwei Jahren soll dieser Befund in 30:70 gedreht, stabil gehalten und möglichst noch verbessert werden. Bereits ab dem Verhältnis 30:70 ist eine komplette zahnärztliche Versorgung (Prophylaxe und Behandlung) der Kinder für zwei Brasilianische Real (circa 0,70 Euro) pro Kind und Monat durchführbar - ein Betrag, der auch von der armen Bevölkerung aus den Favelas aufgebracht werden kann. Geplant ist, dass alle Projekte nach einer Initialphase von zwei Jahren von den Eltern der Kinder selbst finanziert werden sollen.

Im Mai 2010 hat KIBRA eine Goldsammelaktion für ein Projekt in Benevides gestartet. Ab Herbst 2010 will KIBRA dort 2 000 Kinder zahnärztlich versorgen. Sie alle leben auf einer Müllkippe.

Die Zahnärztekammer Rio de Janeiro hat KIBRA als erste und einzige Organisation ermächtigt, Prophylaxehelferinnen auszubilden. KIBRA wird zusammen mit VOT (Franziskaner-Orden) ab dem Frühjahr 2011 eine Ausbildungsstätte eröffnen, in der junge Frauen aus den Favelas diesen Beruf erlernen können.

Dr. Norbert LehmannLange Str. 8476199 Karlsruhe

Spendenkonto:DFB-Stiftung Egidius BraunBLZ: 37060193, Pax BankKonto: 1015297014, Stichwort: KIBRA

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