20. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin

Alterszahnheilkunde ist das Thema der Zukunft

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Als vor genau 20 Jahren die Deutsche Gesellschaft für Alterszahnheilkunde von nur sieben Mitgliedern ins Leben gerufen wurde, hätte man nie gedacht, dass zum 20-jährigen Geburtstag in Kiel eine Jubiläumsveranstaltung mit 120 Teilnehmern stattfinden wird. Sie kamen aus allen Bereichen der Bundesrepublik und sind nicht nur Zahnärztinnen und Zahnärzte, sondern auch Soziologen und Personen, die in Pflege und Seniorenheimen ihre tägliche Aufgabe haben und hier mit der Oralen Gesundheit von betagten Menschen zu tun haben.

Unter dem Thema „AlterszahnMedizin zwischen Demenz und Drittem Frühling“ begrüßte die Vorsitzende Professor Dr. Ina Nitschke, Leipzig und Bern, zusammen mit Dr. K.-Ulrich Rubehn, Präsident der Zahnärztekammer die Teilnehmer. Der Tagungsleiter Prof. Dr. Hans-Jürgen Wenz, Kiel, hatte ein spannendes Programm zusammengestellt, das federführend von Vizepräsident Dr. Michael Brandt von Seiten der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein organisatorisch begleitet wurde.

Definition des Alterns hat sich verändert

Das Altern hat sich in den letzten Jahren von seiner Definition stark verändert. Während früher das Altern des Menschen an den Leistungen schwieriger Situationen gemessen wurde, geht es heute vorwiegend darum, wie fit und ansehnlich der Körper des betroffenen noch ist. Der „fitte Alte“ kommt wesentlich besser an, als der, der seine Gebrechen offen zeigt, sich altersgemäß kleidet und verhält und nicht dem „jugendlichen Körperwahn“ verfällt, wie Professor Dr. Klaus Schroeter, Kiel, in seinem Beitrag deutlich machte. Der ausführliche Vortrag wird in einer der kommenden zm-Ausgaben erscheinen. Schroeter geht auch darauf ein, dass Grundvoraussetzung eines jugendlich orientierten Alterns auch ein ausreichendes Budget ist. Nur der gut situierte Senior kann sich mit Fitnessprogrammen, Kosmetik, Wellness, Kleidung, Frisur und vielem mehr „ansprechend erhalten“. Der Rentner, der finanziell stark limitiert ist, hat bereits Probleme, ein ausreichendes Sportgerät zu erwerben oder gar eine regelmäßige Haarfärbung, Fitnesscenterbeiträge und vieles mehr zu bezahlen. Während früher die Weitergabe von Wissen und Erfahrung ein Profit für die Jugend darstellte, ist das heute eher ein Verlust, die Öffentlichkeit sieht Altern als defizitären Prozess.

Damit scheint das Bild vom Altern heute eine Anodoxie, also eine fehlerhafte Darstellung zu sein, so drückte Schroeter es aus. Der Referent zog den Schluss aus seinen Überlegungen und die Antwort auf die Fragestellung seines Referats: „Erfolgreiches Altern ist eine Fiktion und wird damit quasi ein Fakt“.

Personalmangel beheben

LUCAS, die Longitudinale-Urbane-Cohorten-Alters-Studie, wurde durch das Referententeam Prof. Dr. Wolfgang von Renteln-Kruse und Franz Pröfeler, beide Hamburg, vorgestellt. Das durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt eruierte alle medizinischen Merkmale und damit auch Defizite des alternden Patienten. Die zahnmedizinischen Aspekte wurden allerdings von LUCAS nicht berücksichtigt, erklärten die Referenten.

Die Befragungen machten deutlich, dass sich über 60 Prozent der Patienten keine Sorge um ihre Zähne und ihr Zahnfleisch machen, da andere körperliche Probleme in den Vordergrund rücken. Trotzdem, so Renteln-Kruse, käme der Zahnarzt bei der Häufigkeit aller ärztlichen Konsultationen gleich an erster Stelle. Einmal pro anno sei die Norm. Ihr Fazit: Eine Präventivgesellschaft sollte regelmäßige, präventive Hausbesuche fördern. Ebenso sollte, da ja eine Pflegesituation unabdingbar eintreffen wird, mehr Personal zur Verfügung stehen.

Ein Bonusheft, das für die Einlieferung ins Pflegeheim den Zahnstatus dokumentiert, wäre sinnvoll.

Das ist ein wirklich geriatrischer Patient

„Geben Sie dem Patienten die Hand, hat er eine lasche drucklose Muskulatur, schlürfende Schritte und eine mangelnde Modulation in der Sprache, ist das ein Warnsignal!“ Diesen Tipp gab die Grazer Professorin Dr. Regina Roller-Wirnberger. Auch ein weiterer, besonders deutlicher Indikator sein die Einnahme von vielen Medikamenten gleichzeitig. Sie richtete ihren Appell an die anwesende Zahnärzte: „Wenn Sie etwas verschreiben müssen, gehen Sie davon aus, dass bereits bei fünf Medikamenten die Compliance bei 50 Prozent liegt. „Ab neun Medikamenten kann man heute davon ausgehen, dass mindestens ein beklagtes Symptom medikamenteninduziert ist.“ergänzte die Internistin und Geriatrikerin.

Zu diesen Nebenwirkungen gehören Inkontinenz, Sturzgefahr und der trockene Mund. Sie erklärte die Physiologie des alternden Menschen und die damit veränderte Pharmakologie und gab den Teilnehmern wichtige Tipps mit auf den Weg: „Analgetika auf leeren Magen, Antihistaminika, ISDN wie Ibuprofen und Voltaren immer erst nach dem Frühstück einnehmen lassen! Für Antibiotika empfiehlt sich die Einnahme eine halbe Stunde nach dem Essen und denken Sie daran, dass digitalisierte Patienten häufig zu Stürzen neigen.“ Sie ergänzte: „Valeriane (Baldrianextrakte und seine Derivate, die von älteren Menschen sehr favorisiert werden) potenzieren den Effekt von verordneten Sedativa und Hypnotica und CAVE bei mit ASS (kardioprotektiv mit 100 mg) medikamentierten Patienten. Freiverkäufliche und in der Werbung idealisierte Ginkgopräparate steigerten die Blutungsneigung, warnte die Referentin. Sie verwies auf Internetseiten, die die Dosierungen und Interaktionen für geriatrische Patienten angeben. Diese sind:www.adad.org,www.drugs.com,www.dentalcare.com.

Schließlich gab sie den Tipp: „Heben Sie eine Hautfalte an und drücken Sie in den Bizeps! Dann wissen Sie, ob Sie einen geriatrischen Patienten vor sich haben, der eben auch wie ein Geriatriker medikamentiert werden muss!“

Das Modellprojekt der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein zur Mundhygiene in der Pflege wurde von Dr. Michael Brandt vorgestellt. Seine Forderung: „Lassen Sie alte und Pflegebedürftige nicht alleine, das ist eine gesamt-gesellschaftliche Aufgabe, die sich auch in der Kostenbeteiligung widerspiegeln muss!“

Die Frage, ob Zahnerhalt für Senioren sinnvoll erscheint, oder die Prothese einfacher und praktischer ist, beantwortete PD Dr. Hendrik Meyer-Lückel. Heute gibt es dank neuer Verfahren in Diagnostik und Therapie sehr viel mehr Möglichkeiten auch sehr alte Patienten sowie Patienten mit Behinderungen ausreichend und ohne großen Aufwand zu sanieren. Besonders die minimalinvasiven Methoden spielen – wie auch die Reparatur von bereits bestehenden Versorgungen – im Vordergrund, um Funktion und Ästhetik zufriedenstellend für Patienten und Behandler zu lösen. Er steht auf dem Standpunkt, dass durchaus auch für den Senior Zahnerhalt als Motto angesagt ist.

Mit dem Pflegeheim kommt schließlich die reine Funktionalität in die Diskussion, so drückte sich Professor Dr. Hans-Jürgen Wenz, Kiel, aus. Während der noch mobile Senior auf ästhetischen und komfortablen Zahnersatz achtet, steht für den Pflegeheimbewohner der reine Funktionserhalt im Vordergrund. Hierbei sollte besonders beachtet werden, dass Zahnersatz so angefertigt wird, dass er für das Pflegepersonal einfach zu reinigen ist und der Pflegepatient durch zum Beispiel eine unsaubere Prothese keine Folgeerkrankungen erleidet.

Mit dem Anzug um Jahre gealtert

Ein Highlight der Tagung war ein Workshop, der in verschiedenen Gruppen durchgeführt wurde. Dr. Friedrichs, Münster, bat eine Teilnehmerin, sich Ohrstöpsel in die Ohren einzusetzen, die eine Schwerhörigkeit simulieren sollten. Dann wurden Handschuhe übergestreift für die Simulation der taktilen Verschlechterung wie sie zum Beispiel der Diabetes- oder Polyneuropathie-Patient erfährt. Gelenkmanschetten an Knien und Ellenbogen ließen die junge Teilnehmerin an „Muskelschwäche und -abbau“ leiden. Aber das war noch nicht alles. Gewichte an den Fingern, Hand- und Fußgelenken demonstrierten die arthrotischen Prozesse, die der Senior im Rahmen einer Gelenkerkrankung oder einfach nur im destruktiven biologischen Alterungsprozess erfährt. Ein Rückenposter mit Gewicht und Biegung für die Simulation eines mit Osteoporose geplagten Rückens zwang die freiwillige Teilnehmerin dieses Versuchs schließlich in die Knie. Aber es ging weiter: Als sie sich die Gesichtsfeldbrille überziehen ließ, ging ihr Körper in eine deutlich gebückte Haltung, denn sie hatte Mühen, ihre eigenen Füße zu sehen und musste sich vorsichtig mithilfe eines Stocks und einer Begleitperson Schritt für Schritt vortasten. Aber jetzt waren besondere Aufgaben zu bewältigen. In die Rolle eines gebrechlichen Seniors geschlüpft, mussten nun Tabletten aus der Blisterpackung gedrückt, zum Mund geführt und schließlich eine Schnappverschlussflasche zum Nachtrinken geöffnet werden. Das Ergebnis war verblüffend. Viele Versuche scheiterten, keiner der Teilnehmer hätte vermutet, wie schwierig es ist, als alter Mensch diese alltäglichen Aufgaben zu bewältigen. Treppensteigen, Hinsetzen, Aufstehen und einiges mehr waren noch als Simulationsübung vorgesehen. Das Seminar hatte sein Lernziel erreicht. Alle Teilnehmer waren verblüfft, welche Schwierigkeiten ein Senior hat und sie konnten nun verstehen, dass ein Umdenken im Behandlungsprozess und auch schon im Umgang mit dem alten Patienten in der Praxis sehr wichtig ist. Dieses erfahren in Münster auch Medizinstudenten des fünften Semesters, die in einer mehrstündigen Schulung in dieser Form sogar weitere Folgen wie An- und Ausziehen, Waschen, Toilettengänge und Vieles mehr erlernen müssen, wie Friedrichs in seinem Vortrag über das Lehrkrankenhaus berichtete.

Schauspieler als Patienten

Speziell medizinisch instruierte Schauspieler simulieren hier Patienten, und der angehende Arzt muss handeln. Ein Projekt, das bundesweit einzigartig ist, aber sicherlich sehr sinnvoll. Lehrt es doch jungen angehenden Medizinern den respektvollen und verständnisvollen Umgang mit Patienten, was sich sicherlich im Nachhinein sich als sehr Adhärenz fördernd herausstellen wird. Spannend war es, noch zu erfahren, dass diese Schauspieler nach ihrer „Krankenrolle“ nicht selten einer psychologischen Intervention bedürfen, um nicht ein ausgewachsenes Münchhausensyndrom zu entwickeln.

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