Entwurf zum GKV-Finanzierungsgesetz

Doppelte Rolle rückwärts

Am 25. August 2010 stellte die Bundesregierung offiziell ihren Referentenentwurf zum GKV-Finanzierungsgesetz (GKV-FinG) vor. Fazit: eine verschärfte Budgetierung und ein amputierter Ost-West-Angleich – 20 Jahre nach der Wiedervereinigung. Ein herber Rückschlag für die Zahnärzte. Hat die Politik sie beim Reformieren vergessen und beim Sparen wiederentdeckt? Ein Berufsstand macht mobil.

2009 trat die schwarz-gelbe Regierung an, um unser Gesundheitssystem endlich strukturell zu verändern, gar eine „Radikalreform für mehr Freiheit und Wettbewerb“ kündigte Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler damals an. Und selbstverständlich, folgt man jedenfalls dem bloßen Titel, hat die Regierung mit dem GKV-FinG ein „Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ auf den Weg gebracht.

Enttäuschung und Ärger

Cut. Willkommen in der wirklichen Welt: Abgesehen von dem geplanten Sozialausgleich besagen die Eckpunkte hauptsächlich milliardenschwere Einsparungen – auf Kosten der Versicherten und Leistungsträger. Vorgesehen sind insbesondere ein erhöhter Beitragssatz um jeweils 0,3 Punkte für Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf 15,5 Prozent ab 2011 plus umfangreiche Änderungen beim Zusatzbeitrag.

Kurz: Der Entwurf beschränkt sich allein darauf, die Finanzierungslücken in der GKV zu schließen. Auch Ärzte, Kliniken und Zahnärzte sollen dazu ihren Beitrag leisten. Die lang angekündigte und noch länger ersehnte strukturelle Reform des Gesundheitssystems lässt hingegen weiter auf sich warten. Stattdessen fällt eine Vielzahl der in der Vergangenheit veröffentlichen Absichtserklärungen unter den Tisch. Was bleibt? Nichts als Enttäuschung und Ärger.

Frust vor allem bei den Zahnärzten. Allein bei ihnen sollen 2011 und 2012 rund 60 Millionen Euro Honorar wegfallen. Was nicht bedeutet, dass die Zahnärzte kein Sparopfer bringen wollen, nein. Aber im Unterschied zu den beiden Kostentreibern stationäre und ambulante Versorgung gehen die Summen für die Zahnmedizin seit Jahren kontinuierlich zurück, von beitragsrelevanten Steigerungen ganz zu schweigen. Zugleich steht Deutschland in puncto Zahngesundheit europaweit ganz oben – unbestritten ein Erfolg der Zahnmediziner hier. Während somit in anderen Leistungsbereichen die Ausgaben exorbitant nach oben schnellen, sparen die Kassen in der Zahnmedizin seit 2005 konkret jährlich eine Milliarde Euro. Die Mittel drosseln sich freilich nicht von selbst. Zurückzuführen sind die Sparleistungen in erster Linie auf konstruktive Modelle, die die Zahnärzteschaft in den vergangenen Jahren aus eigener Kraft entwickelt hat, um den State of the Art in Diagnose und Therapie auch für die Zukunft sicherzustellen – und gleichzeitig das System zu entlasten. Beispiel Festzuschüsse – gelten sie doch als repräsentatives und vorbildliches Beispiel für diesen Shift.

Das heißt, den Sparbeitrag erbringt der Berufsstand bereits jahrelang. Und zwar stetig. Nur, um jetzt wieder in Sippenschaft genommen zu werden? Denn in dem Maße, wie die Ärzteschaft via Honorarreform entlastet und dadurch die Versorgung gestärkt wurde, hat man die Zahnärzte vertröstet. Doch jetzt ist Schluss: Gerade angesichts der Beteuerungen aus der Politik, der vertragszahnärztliche Sektor müsse dringend reformiert werden, haben sie keinerlei Verständnis mehr für Verzögerungen. Sie fordern, dass Rösler sein Wort hält. Oder hat die Politik die Zahnärzte beim Reformieren vergessen und beim Sparen wiederentdeckt?

„Die Punktwerte und Gesamtvergütungen für die vertragszahnärztliche Behandlung ohne Zahnersatz dürfen sich in den Jahren 2011 und 2012 jeweils höchstens um die Hälfte der für das jeweilige Jahr festgestellten Veränderungsrate der beitragspflichtigen Einnahmen erhöhen“, steht in dem Entwurf. Und weiter: „Ab dem Jahr 2013 wird das Vergütungssystem für die vertragszahnärztliche Behandlung ohne Zahnersatz weiterentwickelt.“ Was sich die Bundesregierung von dieser Nullnummer verspricht? Abknapsungen in Höhe von 20 Millionen Euro für 2011 und weiteren 40 Millionen Euro 2012 – Geld, das den zahnärztlichen Praxen nicht für Personal und Investitionen zur Verfügung steht. Geld, das bei der Patientenversorgung fehlt.

Außer Spesen nichts gewesen? „Das ist Ulla Schmidt reloaded, es wird schlicht budgetiert, gedeckelt, begrenzt, rationiert“, so eine Reaktion aus dem Berufsstand. Vorgesehen ist nämlich statt der Beendigung noch eine Verschärfung der Budgetierung – neben einem in Gänze aufgeweichten Ost-West-Angleich. Obwohl sich die Politik zuvor darauf verständigt hatte, dass eine strukturelle Reform der vertragszahnärztlichen Versorgungslandschaft, weil dringend erforderlich, mit dem geplanten Gesetz aktuell umgesetzt wird. Den notwendigen Handlungsbedarf haben die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) in einer aktuellen gemeinsamen Stellungnahme erneut zum Ausdruck gebracht. Zudem haben die KZVen und die KZBV in einem von allen Vorstandsmitgliedern unterschriebenen Brief an die politischen Entscheider gegen die Rückwärts-Pläne protestiert und die drängenden Novellierungen noch einmal ohne Wenn und Aber eingefordert.

„Es gab einen Konsens der Zahnärzteschaft mit allen politisch Verantwortlichen, dass eine zeitnahe Strukturreform der vertragszahnärztlichen Vergütung dringend notwendig ist, um die politisch gewollte Wettbewerbsfähigkeit im zahnärztlichen Bereich und damit eine hochwertige Patientenversorgung auch in Zukunft garantieren zu können“, konkretisiert der KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz. „Entgegen aller Zusicherungen steht davon jetzt nichts im Gesetzentwurf. Darüber sind wir massiv enttäuscht. Übrig geblieben ist reine Kostendämpfung ohne strukturelle Weiterentwicklung. Das ist letztlich unbegreiflich“, kritisiert auch BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel.

Die Mauer steht noch

Zurück zur Ausgangssituation: Als einziger Sektor im Gesundheitswesen kämpfen die Zahnärzte in den neuen Bundesländern noch mit niedrigeren Honoraren – 20 Jahre nach der Wiedervereinigung. „In den vergangenen Monaten erhielten wir aus den verschiedensten politischen Kreisen die Zusage, dass diese Diskriminierung mit der Anhebung der Honorare auf Westniveau endlich beendet werden soll“, erläutert der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Wolfgang Eßer, im Vorstand verantwortlich für die seitens der KZBV abgeschlossenen Verträge. Überall in der Politik zeige sich demnach dasselbe Meinungsbild: Der Ost-West-Angleich ist ein berechtigter Anspruch. Nun dieser herbe Rückschlag: Die Anhebung kommt, aber im Entwurf wird sie kurzerhand auf 2013 und 2014, also in die nächste Legislaturperiode verschoben. Damit nicht genug; sie soll nur 50 Prozent der tatsächlichen Vergütungsdifferenz, das heißt, zwei mal 2,5 Prozent ausmachen: Ohne Zahnersatz würden die Honorare in den neuen Bundesländern um fünf und in Berlin um vier Prozent erhöht – aber erst in drei beziehungsweise vier Jahren, wohlgemerkt.

„Zurzeit liegt die Honorierung der vertragszahnärztlichen Leistungen im Osten bei 90 Prozent dessen, was die Kollegen im Westen erhalten“, erklärt der BZÄK-Vizepräsident und Präsident der Landeszahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, Dr. Dietmar Oesterreich. „Die Kosten, um eine Zahnarztpraxis betreiben zu können, unterscheiden sich aber nicht. Zudem steigen die Anforderungen an die Ausstattung der Praxen durch immer komplexere Hygienevorschriften und neue aufwendigere Verfahren in der Behandlung. Nicht zuletzt gilt es, auch die Mitarbeiterinnen in den neuen Bundesländern entsprechend zu entlohnen. Dies muss sich in der Vergütung niederschlagen.“ Die Honorardiskrepanz führe indes zu einer Ausdünnung in der flächendeckenden Versorgung zu Lasten der Patienten.

Eine fatale Entscheidung, nicht nur für die aktuelle betriebswirtschaftliche Lage der Praxen. Sollte es bei den skizzierten Schritten bleiben, wird im Grunde lediglich der Vergütungsabstand verkleinert, die Honorardiskriminierung zwischen Ost und West bei den Zahnärzten jedoch auf Dauer zementiert, mit anderen Worten: der Unterschied festgeschrieben.

Reine Kostendämpfung

„Die verbleibende Verwerfung wird, wenn auch auf niedrigerem Niveau als bisher, in Stein gemeißelt. Das ist das falsche Signal. Wir brauchen die vollständige Anhebung“, macht Eßer klar. „Zwar sollen laut Entwurf weitere Verhandlungen auf regionaler Ebene möglich sein. Aber hallo, Erde an BMG: Logischerweise fehlen aufgrund der weiter bestehenden Budgetierung schlichtweg die Mittel dazu. Eßer bestätigt: „Die weiter existierende Grundlohnsummenanbindung lässt zu extra Vereinbarungen überhaupt keine Spielräume mehr!“

Rückzug auf Raten

Auch bei den Budgets gab es im Koalitionspapier einen Rückzug auf Raten. „Im Koalitionsvertrag wurde noch festgehalten, dass eine Budgetierung mit strikter Grundlohnsummenanbindung auf keinen Fall der richtige Weg in die Zukunft sein kann“, rekapituliert Eßer. In den vorherigen Entwürfen war folglich noch eine differenzierte Aufschlüsselung der Versichertenstruktur vorgesehen. Wichtig ist diese Größe, weil sie die Wanderbewegungen der GKV-Mitglieder zwischen den Krankenkassen erfasst – und die Budgets dadurch mehr auf das Versichertenklientel der einzelnen Kassen zugeschnitten sind. „Es kann nicht angehen, dass es nach wie vor noch nicht einmal eine Möglichkeit gibt, die durch Wanderungsbewegungen der Versicherten zwischen den Krankenkassen verursachten Verschübe wirtschaftlich abzubilden“, führt Eßer aus. „Stattdessen wird die Budgetierung für die nächsten beiden Jahre noch verschärft. Das ist anachronistisch.“

Dass der Entwurf in Sachen Zahnmedizin darüber hinaus komplett unausgereift ist, zeigt sich schon bei der Individualprophylaxe – präventive Leistungen, die schon allein unter gesundheitspolitischen Gesichtspunkten von diesen Beschränkungen auszuschließen sind. Geht es nach dem Entwurf, sollen allerdings auch sie künftig per Anbindung an die Grundlohnsumme gedeckelt werden. Zählten sie bislang zu den unbudgetierten Leistungen, will man auch hier die Honorarzuwächse kürzen und damit die Vorsorgeleistungen beschneiden. Auch wenn das BMG das Resultat als „Begrenzung von Zuwächsen“ verkaufen will – schönreden zieht nicht. Tatsächlich verbirgt sich dahinter der fatale, weil zum Scheitern verurteilte Versuch, den Zahnärzten das ärztliche Konstrukt pauschal überzubügeln. Unterm Strich wird die Budgetierung als überkommenes Steuerungsinstrument nicht nur erneut klar bestätigt, sondern die Kostendämpfungspolitik samt der mit ihr einher gehenden negativen Effekte zusehends intensiviert und fortgeführt.

Reformstau auflösen

Dabei sind viele der erforderlichen Maßnahmen im Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung nachweislich kostenneutral für die GKV zu handeln. Um so unverständlicher, dass der Entwurf ohne Not den Generalkonsens nach einer grundlegenden Strukturreform ignoriert und die Zahnärzte infolgedessen endlos in der Reformschleife kreisen. „Diese Wandlungen wurden bei den Ärzten längst vollzogen. Wir können nicht akzeptieren, dass die uns gemachten Versprechen im Gesetzentwurf überhaupt nicht erwähnt beziehungsweise nur extrem dünn und verzögert realisiert werden“, resümiert Eßer. Fedderwitz unterstreicht: „Der Reformstau muss auch bei uns Zahnärzten endlich aufgelöst werden!“ Die jahrzehntelang währende strikte Budgetierung entfalte bereits negative Auswirkung auf die Sicherstellung einer angemessenen und qualitativ hochstehenden vertragszahnärztlichen Versorgung. Fedderwitz weiter: „Nach der Wahl standen die Zeichen auf Aufbruch, Aufbruch in Richtung eines von Freiheit, sozialer Verantwortung und Wettbewerb geprägten Gesundheitswesens. Wir hoffen deshalb , dass die Abschaffung der strikten Budgetierung wieder in das Gesetzgebungsverfahren aufgenommen wird.“ Engel: „Diese Chance sollte die Politik nicht vertun. Wir brauchen adäquate Rahmenbedingungen, damit wir die Patienten weiterhin hochwertig versorgen können. Sonst werden gesetzlich Krankenversicherte in Deutschland in Zukunft zunehmend von der wissenschaftlichen Entwicklung abgekoppelt.“ Das letzte Wort ist auch Eßer zufolge noch nicht gesprochen – noch gebe es die Möglichkeit nachzubessern. „Wir müssen beharrlich bleiben“, bilanziert er: „Ich setze auf die Vernunft der Politik!“

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