Osseointegration im Bild

Kommunikation der Zellen

Die Implantologie ist ein zentraler Bestandteil moderner zahnmedizinischer Versorgungskonzepte. Mit dem 3-D-Film „Kommunikation der Zellen – die Osseo - integration“ wurde die Idee umgesetzt, die heute bekannten zellbiologischen Hintergründe der Osseointegration anhand der beteiligen Zelltypen und Botenstoffe zu visualisieren. Die filmische Darstellung der Einheilung eines Implantats in den Knochen ermöglicht die Visualisierung komplexer biodynamischer Vorgänge und bietet interessante Perspektiven für die Lehre und ein Highlight für den Betrachter.

Statistisch zeigte sich in den letzten Jahren sowohl eine jährliche Zunahme der inserierten Implan tate als auch eine Zunahme der implantierenden Zahnärzte. Parallel besteht eine Vielzahl an Implantatherstellern, die durch präklinische und klinische Studien die Eigenschaften ihrer Produkte darlegen. Im Alltag ist insofern ein implantologisch tätiger Zahnarzt mit einer Vielzahl an wissenschaftlichen Publikationen und Berichten über die Eigenschaften neuer Produkte und deren Auswirkung auf die Einheilung konfrontiert. Ein Verständnis der zellbiologischen Hintergründe der Osseointegration kann helfen, Menge und Gehalt der Informationen besser einzustufen und deren Auswirkungen auf die tägliche Praxis abzuwiegen.

Implantologische Forschung

Aus wissenschaftlicher Sicht steht die implantologische Forschung in einem interdiszi - plinären Spannungsfeld zwischen der Zahnmedizin und Fächern wie Werkstoffwissenschaft, Biophysik, Biochemie und Osteologie. In der klinischen Anwendung bestehen Parallelen zu den Fächern Unfall- und Wiederherstellungschirurgie sowie zur Orthopädie.

Werkstoffwissenschaftliche Entwicklungen der letzten Jahre zeigen ein großes Potenzial im Bereich der Oberflächentechnologie. Durch die gezielte Veränderung von Oberflächen lassen sich spezifische Einflüsse auf knochenbildende Vorgänge nehmen. Ein Beispiel ist das zunehmende Wissen über die extrazelluläre Matrix, die die natürliche Umgebung des Implantats im Knochen darstellt. Durch die Übertragung von Bauprinzipien der Natur auf Biomaterialien kann eine aktive Kommunikation zwischen dem Biomaterial und dem körpereigenen Gewebe erreicht werden. Die Synthese und die Charakterisierung solcher Oberflächen fallen in den Bereich der Biophysik, die Analyse der zellulären Wechselwirkungen in den Bereich der Biochemie. Die Osteologie, ein Spezialgebiet der Endokrinologie, untersucht Stoffwechselprozesse des Knochens. Hierbei sind vor allem Einflüsse auf das Gleichgewicht zwischen Knochenaufbau und Knochenabbau von hohem Interesse. Die Wechselwirkungen einer Implantatoberfläche mit dem Knochen ist komplex, und Erkenntnisse aus den verschiedenen Fachbereichen helfen, die Wirkmechanismen zu entschlüsseln.

Osseointegration

Knochengewebe ist nicht statisch, sondern unterliegt einem Gleichgewicht zwischen Knochenaufbau und Knochenabbau, dem sogenannten Remodelling. Dies ermöglicht eine ideale biodynamische Struktur, die sich in Form der Ausrichtung des Trabekelwerks widerspiegelt.

Durch die Aufbereitung des Implantatbetts wird dieses Gefüge zerstört. Ein inseriertes Implantat ist zunächst nur durch seine Makromorphologie mechanisch mit dem Lagerknochen verankert. Dies wird als Primärstabilität bezeichnet. Es folgen verschiedene Phasen der Einheilung, die zur Osseointegration des Implantats und der sogenannten Sekundärstabilität führen. Die Osseointegration wurde in den 1970er-Jahren durch Brånemark definiert als der direkte strukturelle und funktionelle Verbund zwischen vitalem Lagerknochengewebe und der Oberfläche eines belasteten Implantats. Diese Definition ist den meisten Zahnmedizinern ein Begriff.

3-D-Film

Der während des Deutschen Zahnärztetages 2010 in Frankfurt seine Weltpremiere „feiernde“ Film vermittelt im Zeitraffertempo den modellhaften Ablauf der physiologischen Vorgänge der Osseointegration. Es werden die molekularen Hintergründe und Interaktionen des Heilungsprozesses visualisiert, was dem Betrachter ermöglicht, in kurzer Zeit ein Verständnis der komplexen Vorgänge zu entwickeln. Dies macht den Film neben dem Informationsgewinn für implantierende Zahnärzte auch für die universitäre Lehre interessant. Die bildliche Darstellung ermöglicht einen komprimierten und informativen Einstieg in ein neues Wissensgebiet.

Protagonisten des Films sind die beteiligten Zellentypen, die durch eingeblendete Steckbriefe charakterisiert werden. Als wichtige Akteure zwischen den Zellen werden Botenstoffe dargestellt, mit deren Hilfe die Zellen kommunizieren. Der Reiz liegt in faszinierenden Bildern, der Nutzen im erleichterten und besseren Verständnis der komplizierten Materie. Dies soll auch die Motivation fördern, sich mit wissenschaftlichen Thematiken auseinanderzusetzen.

Das Storyboard

Das Storyboard des Films beginnt mit der Präparation eines Implantatbetts und der Insertion eines Implantats in der Prämolaren-Region. Hiermit beginnen zahlreiche hochkomplexe biodynamische Prozesse, an deren Ende die vollständige Einheilung des Implantats in den Knochen steht. Der Film orientiert sich am zeitlichen Ablauf der Heilungsprozesse und unterscheidet vier Phasen. Die erste Phase der Einheilung, die unmittelbar nach der Insertion beginnt, wird als Hämostase bezeichnet.

Die Hämostase

Nach der Insertion eines Implantats lagern sich innerhalb von Sekunden bis Minuten Ionen und Blutproteine an der Titanoberfläche an. Als erste Zellen am Ort des Geschehens aggregieren Thrombozyten, nachdem sie Kontakt mit Kollagen (im Bereich der verletzten Lagergewebe) und den Proteinen auf der Implantatoberfläche haben. Dies verschließt durch die Bohrung bedingte Gefäßrupturen. Gleichzeitig setzen Thrombozyten verschiedene Botenstoffe zur Zellkommunikation frei. Diese begünstigen die Vernetzung der Blutplättchen. Als provisorische Matrix durchdringt das Blutgerinnsel den Wundraum und lagert sich auch an der Implantatoberfläche an. Dieses Blutgerinnsel ist eine wichtige Voraussetzung für die nachfolgenden Knochenheilungsprozesse. Im Anschluss an diese Phasen der Hämostase folgt die entzündliche Phase.

Die entzündliche Phase

In dieser Phase wird die Immunabwehr des Körpers aktiv. Die Wunde wird nun von Knochensplittern und eingesprengten Bakterien gereinigt. Hierzu wird die Gefäßpermeabilität erhöht, indem Endothelzellen im Inneren der Gefäßwände ein Stück auseinander weichen. Den Stimulus hierfür geben wiederum von Thrombozyten freigesetzte Botenstoffe.

Gleichzeitig fördern Endothelzellen die Anheftung von Granulozyten aus dem Blutstrom. Diese durchdringen die entstandenen Spalträume zwischen den Endothelzellen und gelangen in den extravasalen Raum. Entlang eines Konzentrationsgefälles finden Granulozyten dann ihren Weg zur Wunde. Dort angekommen, töten sie Bakterien durch freigesetzte Sauerstoffspezies und setzen die verdauenden Enzyme Elastase und Kollagenase frei.

Das Verhältnis von Granulozyten und Bakterien entscheidet hier über die Weichenstellung zwischen einer Wundheilungsstörung, die zum Implantatverlust führen kann und der regelrechten Heilung der Wunde. Bei zu hoher Aktivität kann ein toxisches Wundmilieu mit Gewebeuntergang und Eiterbildung entstehen.

Granulozyten rufen mittels Botenstoffen weitere Hilfe herbei: Makrophagen folgen dem Ruf und sind die nächsten Akteure am Ort des Geschehens. Auch sie sind Zellen der Immunabwehr und eliminieren Bakterien durch Phagozytose. Gewebetrümmer werden aufgenommen und abgebaut. Makrophagen nehmen in ihrer Zahl in der späten entzündlichen Phase zu und dominieren den Ablauf.

Mithilfe von Hemmstoffen helfen Makrophagen, die durch Granulozyten ausgelöste Gewebezerstörung zu stoppen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung zur Weichenstellung in Richtung Osseointegration. So können auch die sogenannten Matrixproteine vor dem Abbau geschützt werden. Sie schützen ihrerseits Wachstumsfaktoren und nehmen somit positiven Einfluss auf die Knochenbildung.

Botenstoffe stimulieren Fibroblasten sowie die Gefäßbildung (Angiogenese). Dies leitet die proliferative Phase der Heilung ein.

Die proliferative Phase

Fibroblasten erscheinen am dritten bis vierten Tag nach der Insertion. Sie synthetisieren schützende und stabilisierende Matrixkomponenten. Aufgrund der niedrigen Sauerstoffkonzentration im Gewebe produzieren Makrophagen einen Botenstoff, auf den die Endothelzellen im Gefäßinneren reagieren. Dies nimmt über Zwischenstufen Einfluss auf die Perizyten. Perizyten sind mesenchymale Stammzellen und befinden sich auf den Blutgefäßen. Sie wandern nun in Bereiche niedrigen Sauerstoffpartialdrucks. Dort bilden sie neue Blutgefäße, die sich schließlich mit dem bestehenden Gefäßnetz verbinden. Die Angiogenese stellt somit die Sauerstoffversorgung wieder her und ist die Basis der Knochenheilung.

Etwa ab dem siebten Tag lagern sich aktivierte Osteoklasten an den Bruchkanten des verbliebenen Knochens an, resorbieren diesen und schaffen Raum für die Knochenheilung. Dadurch sinkt zunächst die Primärstabilität des Implantats. Osteoklasten bauen Knochensubstanz ab und setzen dabei Wachstumsfaktoren frei. Diese stimulieren wiederum die Bildung neuen Kochens.

Die oben erwähnten Perizyten bilden nicht nur neue Blutgefäße, sie wandern auch zu bestehenden Trabekelbälkchen und differenzieren dort zu neuen Osteoblasten (Knochenbildungszellen), den Gegenspielern der Osteoklasten. Diese Zellen haben die Fähigkeit, Knochenmatrix zu bilden. Die Anlagerung von Vorläufern der Osteoblasten an die Implantatoberfläche wird entscheidend durch die dort adsorbierten Proteine beeinflusst.

Osteoblasten bilden jetzt eine organische Matrix, die zunehmend mineralisiert. Lichtmikroskopisch zeigt sich Knochen auf der Implantatoberfläche. Elektronenmikroskopisch befindet sich eine feine Proteinschicht zwischen Knochen und Implantatoberfläche. Mechanische Stabilität entsteht durch die Verzahnung mit den Oberflächenrauhigkeiten des Implantats.

Zunächst bildet sich ab der ersten postoperativen Woche Geflechtknochen an der Implantatoberfläche. Dies ermöglicht die zunehmende sekundäre Stabilisierung des Implantats und gleicht damit die sinkende Primärstabilität aus. Mit der Bildung des Geflechtknochens ist die proliferative Phase der Knochenheilung abgeschlossen.

Die Remodellierungsphase

Die Remodellierung von Knochen setzt Wochen nach der Implantatinsertion ein und gewährleistet den Erhalt der Stabilität. Hierbei ist die Lastanpassung von Bedeutung. Während der Geflechtknochen vorwiegend parallel zur Oberfläche in den Senken des Implantats gewachsen ist, strahlt der Knochen nach dem Remodelling vorwiegend senkrecht zur Implantatoberfläche in die Gewindespitzen ein.

Ziel ist das Remodelling des Knochens entsprechend der Belastung des Implantats. Dazu arbeiten Osteoblasten und Osteoklasten Hand in Hand. Die Koordination beider Zellen wird größtenteils vom Osteozyten übernommen.

Lammelläre Knochenstrukturen bilden sich schließlich und nehmen, ähnlich den Säulen einer gotischen Kathedrale, die wirkenden Kräfte auf. Wieder entsteht ein effizientes und auf die neue Situation bestmöglich angepasstes Trabekelwerk.

Dr. Dr. Bernd StadlingerTechnische Universität DresdenUniversitätsklinikum „Carl-Gustav Carus“Klinik und Poliklinik für Mund-, KieferundGesichtschirurgieFetscherstr. 7401307 Dresdenbernd.stadlinger@uniklinikum-dresden.de

Prof. Dr. Dr. Hendrik TerheydenRotes Kreuz Krankenhaus KasselHansteinstr. 2924121 Kassel

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.