Zusatzbeitrag

Der bewanderte Versicherte

Der Zusatzbeitrag in der Gesetzlichen Krankenversicherung hat nicht nur zu einer immensen Wechselwelle geführt – seine Einführung hat die grundsätzliche Haltung des Versicherten, der seiner GKV bislang kritiklos treu war, völlig verändert.

Im Jahr 2004, als der einheitliche Kassenbeitrag noch in weiter Ferne lag, erfüllte die Versicherten in Deutschland eine „bequemliche Treue“ gegenüber ihrer Krankenkasse. Über einen Wechsel hatten vielen noch nie nachgedacht, es gab aber auch keine tiefere emotionale Beziehung zur eigenen Kasse. Eine Untersuchung des Gesundheitsmarktforschungsinstituts der YouGovPsychonomics AG (YGP) ergab, dass dem Empfinden der Versicherten nach eine „schlechte Kasse“ diejenige war, bei der man „Anträge nicht durchbekommt“. Ein höherer Beitrag spielte in dieser Bewertung keine Rolle.

2011 stellt sich die Situation anders dar: Der Anteil der Versicherten, die ihre Krankenkasse noch nie gewechselt haben, ist von 65 Prozent in 2004 auf nur noch 43 Prozent geschrumpft. Die Motive sind inzwischen in erster Linie finanzielle: „Teuer / schlechtes Preis-Leistungs- Verhältnis“ und den Zusatzbeitrag führen 31 beziehungsweise 39 Prozent als Grund an, wie eine aktuelle Umfrage der YGP mit 1 008 gesetzlich Versicherten zeigt. Innerhalb von sieben Jahren haben sich die Bewertungskriterien der Versicherten völlig verändert. Wie kam es dazu?

Preisbewusstsein geweckt 

2009 wurde der einheitliche Beitrag eingeführt. Er schuf einen auf den ersten Blick homogenen Markt. Schnäppchenjäger konnten jetzt nicht mehr nach dem Preis gehen, sondern mussten bewusst nach Zusatzleistungen suchen: leichtere Bewilligung, Kulanz oder bestimmte Chronikerprogramme.

 In dieser Situation führten dann Anfang 2010 unter großer medialer Beachtung die ersten mitgliederstarken Kassen wie DAK und KKH-Allianz einen Zusatzbeitrag ein. Die Versicherten waren erbost: Neun von zehn verärgerte der Zusatzbeitrag, 82 Prozent hielten ihn sogar für skandalös – und zwar unabhängig von der persönlichen Betroffenheit. Der höhere Preis wird nun völlig anders bewertet als noch sieben Jahre zuvor: Statt wie früher eine teurere Kasse als „Premium-Kasse“ zu empfinden, die ihre höheren Beiträge durch mehr Leistung ausgleicht, hängt ihnen nun ein Makel an.

Die Schuld an ihrem finanziellen Engpass wird den Kassen selbst (28 Prozent), der Politik (36 Prozent) und den Arzneimittelherstellern (20 Prozent) angelastet. So glauben 69 Prozent der vom Zusatzbeitrag betroffenen Versicherten, dass ihre Kasse wegen hoher Verwaltungskosten einen Zusatzbeitrag erhebt. Sogar das „allgemeine Bedürfnis, die Kassen aufzufüllen“ sehen 62 Prozent als Grund. Nur eine Minderheit von zwölf Prozent meint, dass „hochwertiger Service“ ihre Kasse dazu gezwungen habe. „Die politische Diskussion um die Zusatzbeiträge und die Resonanz in den Medien haben die Versicherten preissensibler gemacht“, folgert Markus Schöne, Leiter der Gesundheitsmarktforschung der YGP. Die Versicherten nehmen die Leistungen und auch den Preis ihrer Kasse inzwischen bewusster wahr. Der Zusatzbeitrag sei dafür symptomatisch. „In einem aus Kundensicht homogenen Anbieterfeld sind Zusatzbeiträge ein klares Differenzierungsmerkmal“, bilanziert er.

Wiederholungswechsler

Außerdem geht die Scheu vor einem Krankenkassenwechsel verloren. Zwar hält die absolute Mehrheit der Versicherten (84 Prozent) einen Wechsel innerhalb des nächsten Jahres für unwahrscheinlich, für 16 Prozent ist er aber denkbar: Der Zusatzbeitrag ist dabei mit 36 Prozent das stärkste Motiv. Sehr knapp dahinter folgt der Wunsch nach einem besseren Leistungsangebot (35 Prozent).

Besonders Versicherte, die bereits einmal die Kasse gewechselt haben, sind der Idee gegenüber aufgeschlossen. Möglicherweise sind sie bereits wieder „unruhig“, wie Schöne vermutet: 27 Prozent derjenigen, die vor ein bis drei Jahren schon einmal gewechselt haben, können sich vorstellen, erneut zu einer anderen Kasse zu gehen. Die Verteilung der Wechselwilligen zeigt dabei eindeutig die Gefahren für Kassen mit Zusatzbeitrag: Bei der KKH-Allianz sehen sich 35 Prozent der Versicherten im nächsten Jahr nicht mehr unbedingt, bei der DAK sind es 26 Prozent. Besonders die Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen, die sich zum ersten Mal selbst versichert, scheint zunächst einmal auszuprobieren und zu testen – unter ihnen finden sich statistisch gesehen die meisten Wechsler.

Die Kassen haben allerdings auch Chancen, die Versicherten zu halten: 47 Prozent sehen den Zusatzbeitrag als mehr oder weniger – 14 Prozent sogar als „voll und ganz“ – ausgeglichen an, wenn ihnen Zugang zu den neuesten medizinischen Behandlungen und Medikamenten ermöglicht wird und sich die Kasse besonders kulant bei der Bewilligung individueller Zusatzleistungen wie Brille, PZR oder Impfungen zeigt. Somit ist zu fragen, ob es sich zum Teil um ein Kommunikationsdefizit der Kassen handelt, wenn diese es versäumen, ihre Vorzüge herauszustellen.

Neues Selbstverständnis

Trotz aller Umwälzungen auf dem Markt ist der größte Teil der Versicherten weiterhin sehr zufrieden mit seiner Kasse. Die Zahl derer, die ihre Kasse ausgezeichnet oder sehr gut finden, ist in den vergangenen sieben Jahren sogar noch gestiegen: von 28 auf 52 Prozent – dies ist möglicherweise eine Folge des Wechsels zu einer bewusst nach individuellen Kriterien ausgewählten Kasse.

YGP untersuchte auch die Korrelation der Kassenleistung mit der Wechselbereitschaft. Es zeigte sich, dass ein gutes Bewilligungsverhalten bei Leistungen und individuelle Beratung die Kundenzufriedenheit stärken. Kassen, denen Versicherte diese Merkmale zuschreiben, sind etwa die Techniker Krankenkasse, die Betriebskrankenkassen oder die Barmer GEK. Diese haben wenig Probleme mit wechselwilligen Versicherten: 87 bis 90 Prozent ihrer Versicherten sehen sich in einem Jahr noch dort als Mitglied, und sie haben im vergangenen Jahr Mitglieder hinzugewonnen.

Die TK hat – laut einer auf den Umfrageergebnissen basierenden Kundenbindungsmatrix – besonders viele Fans, die KKHAllianz dagegen ist besonders gefährdet, ihre Versicherten zu verlieren. „Langfristig sollten Krankenkassen über Leistungsmerkmale und Preis hinaus eine Markenbeziehung, also eine emotionale Bindung, aufbauen“, empfiehlt Schöne. Ein neues Selbstverständnis der gesetzlichen Krankenkassen könne zum steigenden Involvement und zu einer Emotionalisierung des Themas Gesundheitsversorgung führen. Das stärkere Bewusstsein, das die Versicherten gegenüber der eigenen Kasse und ihren Leistungen jüngst entwickelt haben, ist bereits ein Schritt in diese Richtung.

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