Hessischer Heilberufetag über medizinische Versorgung

Neue Konzepte gefordert

Immer weniger Heilberufler lassen sich auf dem Land nieder, sie zieht es in Ballungsgebiete und Städte. Doch wie sieht die Situation der medizinischen Versorgung auf dem Land aus? Diese Frage hatte das Bündnis „heilen&helfen“ in den Mittelpunkt des 4. Hessischen Heilberufetages in Wiesbaden gestellt.

„Wohin denn ich?“, ist der verzweifelte Ausruf des Protagonisten in Friedrich Hölderlins Gedicht „Abendphantasie“. So oder ähnlich, mögen sich die Bewohner auf dem Land und in kleinen Ortschaften künftig fühlen, die einen Arzt, Zahnarzt, Tierarzt oder eine Apotheke aufsuchen wollen. Immer mehr der sogenannten Leistungserbringer, lassen sich nicht mehr auf dem Land nieder, es zieht sie in Ballungsgebiete und Städte. Die Tatsache, dass beispielsweise Frankfurts beliebteste Einkaufsstraßen zahlreiche Zahnarztpraxen Tür an Tür beherbergen, scheint neue Praxisinhaber nicht abzuschrecken. Nicht viel anders verhält es sich bei Ärzten der unterschiedlichsten Fachgebiete. Doch wie sieht die Situation der medizinischen Versorgung auf dem Land aus?

Unter der Moderation von Bärbel Schäfer diskutierten Vertreter der hessischen Heilberufskörperschaften Ideen und mögliche Lösungswege mit Hessens Sozialminister Stefan Grüttner. Dieser bezeichnete die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung auf dem Land als eine der „großen Herausforderungen der Gesundheitspolitik“. In Hessen habe er daher alle Akteure an einen Tisch geholt mit dem Ziel, einen „Hessischen Pakt“ zur Sicherung der gesundheitlichen Versorgung im ländlichen Raum zu schließen.

Wohnortnahe Versorgung im Umbruch

Dass sich die Gesellschaft in Zukunft auf eine veränderte Situation einstellen muss, machte Dr. Gerd W. Zimmermann, stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung, deutlich: „Die heute noch gewohnte, wohnortnahe Versorgung durch Hausärzte und Fachärzte wird künftig so nicht mehr funktionieren.“ Dies gelte in besonderem Maße für die aufsuchende Versorgung, die kaum mehr zu leisten sein werde.

Stephan Allroggen, Vorsitzender des Vorstands der Kassenzahnärztlichen Vereinigung, stellte fest, dass es derzeit keine Lücken in der vertragszahnärztlichen Versorgung im ländlichen Bereich gebe, jedoch sowohl Unterschiede in den Versorgungsangeboten als auch Schwierigkeiten bei der Praxisweitergabe feststellbar seien.

Erika Fink, Präsidentin der Landesapothekerkammer, sagte voraus, dass dem Ärztemangel möglicherweise ein Apothekenmangel auf dem Land folgen werde. Der Mangel an Tierärzten auf dem Land bedrohe die Gesundheit der Lebensmittel liefernden Tiere und damit die Lebensmittelerzeugung, fügte Prof. Dr. Alexander Herzog, Präsident der Landestierärztekammer, hinzu.

Dass die Bedarfsplanung derzeit die weniger verdichteten Regionen benachteilige, hob Jürgen Hardt, Präsident der Landeskammer für Psychologische Psychotherapeuten und für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, hervor. Während sich etwa in einer Kernstadt pro 100 000 Einwohner 38,8 Psychotherapeuten niederlassen können, sollen in ländlichen Kreisen 4,3 Psychotherapeuten 100 000 Einwohner versorgen. „In dieser Bedarfsplanung werden weder demographische Entwicklung noch Morbidität sachgerecht berücksichtigt“, kritisierte Hardt.

Bedarfsplanung im Blick

Sozialminister Grüttner erklärte, dass er sich als Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz 2011 für die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen und für ein größeres Mitspracherecht der Länder einsetze. Die vom Bund vorgegebene Bedarfsplanung passe nicht mehr mit den gelebten Realitäten in den Regionen zusammen. Es gehe vor allem darum, die regionale Verantwortung zu stärken und die bundesgesetzlichen Rahmenbedingungen so zu modifizieren, dass den Verantwortlichen in den Regionen mehr Gestaltungsmöglichkeiten gegeben werden. Dazu gehöre, dass die Länder in ihrer Verantwortung für die Daseinsvorsorge als Partner der Selbstverwaltung sowohl im Gemeinsamen Bundesausschuss als auch in den Landesausschüssen mit am Tisch sitzen und über die bedarfsgerechte Versorgung mitbestimmen. „Wenn die Bundesregierung den Ländern diese Gestaltungsmöglichkeiten im Gemeinsamen Bundesausschuss und in den Landesausschüssen nicht einräumt, ist eine Zustimmung des Bundesrats zum GKV-Versorgungsgesetz fraglich“, kündigte Grüttner an.

Freiberufliches Engagement erhalten

Die Vertreter der Heilberufskörperschaften sprachen sich eindeutig gegen Planwirtschaft und für Motivation aus, wenn es darum geht, den sinkenden Zahlen der Heilberufler zu begegnen. Die Politik solle nicht durch Vorgaben übermäßig regulieren, sondern zum Freien Beruf stehen, auf das persönliche Engagement der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Psychotherapeuten setzen und Anreize dafür schaffen. Dr. Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach, Präsident der Landesärztekammer, betonte, dass sich die Heilberufe bereits durch ihr Engagement für eine hochwertige Aus- und Weiterbildung ihres beruflichen Nachwuchses für den Erhalt der medizinischen Versorgung in Hessen stark machten. „Darüber hinaus bilden wir unsere eigenen Assistenzberufe (Medizinische Fachangestellte und Pharmazeutische Fachangestellte) aus und qualifizieren sie dazu, Aufgaben der Patientenbetreuung in Delegation zu übernehmen. Diagnose und Therapie bleiben damit in ärztlicher Hand.“

Veränderte Berufsrealitäten

Die Aufwertung der ländlichen Gebiete wurde als gesamtgesellschaftliche Aufgabe bezeichnet. Das Bündnis „heilen&helfen“ forderte die Kommunen dazu auf, neue Konzepte und Angebote mit zu entwickeln, um die Tätigkeit auf dem Land für Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Psychotherapeuten und Tierärzte attraktiver zu machen. Arbeitgeber, Politik und Gesellschaft müssten umdenken lernen, da sich die Berufsrealitäten verändert hätten: Schon heute seien mehr als die Hälfte der Studierenden und jungen Berufsangehörigen weiblichen Geschlechts. „Für den beruflichen Nachwuchs, Frauen und Männer gleichermaßen, müssen Beruf und Familie miteinander vereinbar sein“, erklärte Dr. Michael Frank, Präsident der Landeszahnärztekammer. Schlagworte hierfür seien der Ausbau des Kinderbetreuungsangebots, aber auch die Entbürokratisierung der Heilberufe. Arzt sein, müsse wieder Spaß machen. Es seien aber auch die Heilberufskörperschaften selbst gefragt: Sie müssten gemeinsam mit den Partnern im Gesundheitswesen neue innovative Wege und Hilfen der Berufsausübung, beispielsweise in Berufsausübungsgemeinschaften, aufzeigen. Dies mache eine flexible Gestaltung des Versorgungsauftrags im Rahmen der Bedarfs-/Versorgungsplanung notwendig.

Annette C. BorngräberLandeszahnärztekammer Hessen

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.