Achillessehnenruptur

Wochenlanger Gips ist heute passé

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In den 1950er-Jahren galt der Achillessehnenriss noch als absolute Rarität. Heute möchten viele bis ins hohe Alter Sport treiben. Leider sind sie nicht immer genügend trainiert. Für diese Gelegenheitssportler ist die Gefahr einer Sehnenruptur besonders groß. Aber die alten Behandlungsmethoden haben glücklicherweise ihren Schrecken verloren.

Inzidenz und Pathogenese

Eine Achillessehnenruptur führt zur Aufhebung der kraftvollen Plantarflexion. Kann die Kraft der Wadenmuskulatur nicht mehr effizient übertragen werden, wird die Gehund Lauffunktion erheblich gemindert. Die Inzidenz dieser Verletzung hat sich innerhalb der letzten 20 Jahre vervierfacht [8]. In Deutschland geht man heute von 15 000 bis 20 000 Achillessehnenrupturen pro Jahr aus [6]. Die Achillessehnenruptur ist eine Verletzung, die in der Regel nicht zum Zeitpunkt sportlicher Höchstleistungen auftritt. Verschiedene Arbeiten berichten über eine Häufung zwischen dem 30. und 35. beziehungsweise dem 45. und 50. Lebensjahr. Künftig ist wohl davon auszugehen, dass auch ein größerer Anteil älterer Patienten (älter als 50 Jahre) eine Achillessehnenruptur erleiden wird, da heute auch in diesem Alter die sportlichen Aktivitäten zunehmen. Das Verhältnis Frauen zu Männer schwankt zwischen 1 : 5 und 1 : 10.

Die Achillessehne ist eine der ersten Sehnen, die eine pathologische Degeneration ereilt. Am häufigsten (80 bis 90 Prozent) reißt sie im Bereich ihrer vaskulären Minderversorgung, also 2 bis 6 cm oberhalb des Ansatzes am Calcaneus. Nur 10 bis 15 Prozent der Rupturen treten proximal distal des muskulotendinösen Übergangs auf. Da diese Rupturen meist ältere Patienten betreffen, sind sie auf der Grundlage degenerativer Veränderungen zu sehen. Ausgesprochen selten kommen kalkaneusnahe Rupturen (auf dem Boden degenerativer Veränderungen) oder knöcherne Ausrisse der Achillessehne („Entenschnabelfraktur“) vor.

Neben der physiologischen Alterung der Sehne werden chronische Überlastung mit Mikrotraumatisierung, medikamentöse Einflüsse (wie Kortison, Immunsuppressiva und mehr), Infektionskrankheiten und postentzündliche Veränderungen angegeben. Die gleichzeitige Ruptur beider Achillessehnen ist eine Seltenheit und basiert in der Regel auf Stoffwechselerkrankungen (Kortisoneinnahme, Hyperurikämie, PCP, Amyloidose, Dialyse und mehr).

Pathomechanisch ist die Achillessehnenruptur in den meisten Fällen die Folge einer indirekten Zugeinwirkung. Direkte Entstehungsmechanismen wie Tritt oder Schlag auf die gespannte Sehne haben nur einen sehr geringen Anteil von 1 bis 10 Prozent. Traumatisch bedingte Rupturen treten in erster Linie bei Kontaktsportarten wie Fußball, Handball, Hockey und Basketball oder Ballsportarten wie Tennis, Badminton und Squash auf. Auffallend ist, dass es sich bei dem Patientenkollektiven zum einen um Freizeitsportler handelt, die nicht genügend trainiert sind, zum anderen besteht ein hoher Anteil an Verletzten, die ansonsten eine nur sitzende Tätigkeiten ausüben. 

Anamnese / körperliche Untersuchung

Der Patient verspürt einen schlagähnlichen oder peitschenhiebartigen Schmerz bei der Achillessehnenruptur. Häufig wird sowohl vom Patienten als auch von Außenstehenden ein „Knallen“ oder „Schnalzen“ gehört. Folge der Ruptur sind in erste Linie dolch- stichartige Schmerzen, die sich im weiteren Verlauf rückbilden. Im Gegensatz dazu finden sich bei pathologischen Rupturen (Kortisontherapie) die oben erwähnten Phänomene nur sehr selten. Den Verletzten fällt nur eine persistierende Kraftlosigkeit im verletzten Fuß auf, die sie zum Arztbesuch veranlasst.

Die klinischen Zeichen einer frischen Achillessehnenruptur sind eine tastbare, teils druckschmerzhafte Delle im Rupturbereich (Abbildung 1), das Unvermögen des Patienten, auf Zehen zu stehen, sowie ein stelzenartiges Aufsetzen des Beins bei außenrotiertem Fuß aufgrund des kraftlosen Abrollens des Fußes sowie ein positiver Thompson-Test (siehe Infokasten). In einigen Fällen ist zusätzlich noch die Plantarissehne zu tasten, so dass die Fehldiagnose einer Teilruptur gestellt werden kann.

Bildgebung

Sonografie

Die sonografischen Zeichen einer Achillessehnenruptur sind die Kontinuitätsunterbrechung, abgrenzbare Sehnenenden, echoarme Flüssigkeitsansammlungen im Rupturbereich mit Veränderungen der parallelen Binnenechos und die Auflockerung der parallelen streifigen Struktur [5, 10]. Bei einigen Achillessehnenrupturen findet man keine deutlich sichtbaren Diastasen der Sehnenstümpfe mit Hämatomansammlungen. Bei der dynamischen Untersuchung zeigt sich bei der Dorsalflexion eine Dehiszenz der Sehnenstümpfe. Ist in Plantarflexion des Fußes eine vollständige Adaptation der Sehnenenden darstellbar, besteht die Möglichkeit einer konservativen Behandlung.

Kernspintomografie

Bei einer frischen und eindeutigen Ruptur hat die MRT-Diagnostik eine untergeordnete Bedeutung. Bei veralteten Rupturen beziehungsweise unsicheren Befunden kann sie jedoch die Verdachtsdiagnose bestätigen und zur Therapieentscheidung beitragen. Die nicht erkannte und unbehandelte Ruptur der Achillessehne führt inner- halb von zwei bis vier Monaten zur Distraktion der Sehnenenden mit konsekutiver Narbenbildung im Rupturbereich und durch Vermehrung und Verfestigung des Regenerats zur Bildung einer „Neosehne“, die eine moderate, jedoch kraftlose Funktion im Sprunggelenk erlaubt. 

Betrachtet man die aktuellen therapeutischen Standards, so ist jede Methode mit Vor- und Nachteilen behaftet.

Konservative Behandlung

Die Behandlung erfolgte früher je nach Schule entweder im Unterschenkelgips in Spitzfußstellung für acht Wochen oder alternativ vier Wochen im Oberschenkelgips und weitere vier Wochen im Unterschenkelgips in Spitzfußstellung. Danach wurde eine Absatzerhöhung von 2,5 cm für vier Wochen durchgeführt. Die Rerupturrate lag zwischen 5 und 25 Prozent

Doch die Nachteile im Hinblick auf das Ausmaß der Muskelatrophien, der Koordination und Propriozeption erscheinen aus heutiger Sicht so gravierend, dass sowohl eine primär konservativ immobilisierende Behandlung als auch eine postoperative Nachbehandlung im Gips nicht mehr gerechtfertigt sind, zumal komfortable Orthesen zur Verfügung stehen, die eine stufenweise Reduktion der Plantarflexion zulassen [3, 5, 6, 8, 11]. Schwierigkeiten bei der konservativen Behandlung können entstehen durch die erforderliche Fähigkeit des Behandlers in der Primär- und Verlaufssonografie der Achillessehnenruptur sowie die mangelnde Compliance des Patienten. Die konservative Therapie ist heutzutage daher eher bei biologisch alten Patienten mit geringen funktionellen Ansprüchen oder bei Vorliegen von allgemeinen (internistisch schwer kranker Patient) und speziellen Kontraindikationen (lokale Infekte, Pergamenthaut) gerechtfertigt. In einer aktuellen Arbeit wird über eine Rerupturrate von 12,6 Prozent bei konservativ behandelten Achillessehnenrupturen mittels Gips [3] berichtet. Unter Verwendung von Orthesen kann diese auf 2,4 Prozent reduziert werden.

Operative Behandlung

Ziel der Operation ist die Adaptation der Sehnenenden im ursprünglichen Spannungsverhältnis und Fixierung bis zur stabilen Ausheilung. Operationstechnisch wird zwischen frischer und veralteter Ruptur (älter als drei Wochen) unterschieden. Innerhalb von drei Wochen gelingt in der Regel die primäre Naht der Sehnenstümpfe. Bei der frischen Achillessehnenruptur war bislang die offene einfache End-zu-End- Naht die Methode der Wahl. Die perkutane Nahttechnik (Abb. 3) wurde bereits 1977 eingeführt. Im Wesentlichen werden bei dieser Technik die Standardnähte mit feinem Nahtmaterial perkutan durchgeführt. Diese Technik wurde durch endoskopisch assistierte perkutane Achillessehnennahttechniken optimiert [1, 3, 7 – 11], die mithilfe eines Arthroskops die Darstellung und Schonung nervaler Strukturen (N. suralis) ermöglichen und damit assoziierte schmerzhafte Folgezustände wie neuropathische Schmerzen vermeiden helfen. Aktuelle Studien zu perkutanen OPTechniken berichten über eine Rerupturrate von 2,1 bis 4,3 Prozent. [3].

Komplikationen

Typische Komplikationen bei der operativen Versorgung der Achillessehnenruptur sind Empfindungsstörungen auf dem Boden einer Verletzung des N. suralis sowie oberflächliche und tiefe Wundinfekte. Durch endoskopische Techniken konnte die Gesamtkomplikationsrate von 26,1 Prozent auf 2,8 Prozent gesenkt werden [3]. Experimentelle Untersuchungen zeigten, dass eine Kombination von Naht und Fibrinkleber zu einer Erhöhung der Reißfestigkeit um fast den dreifachen Wert führte. Nachteilig sind hierbei aber die Kosten für den Fibrinkleber. Bei einer veralteten Ruptur ist aufgrund der Retraktion der Sehnenenden und der Atrophie der Muskulatur eine Endzu- End-Naht der Sehnenstümpfe wegen der hohen Rerupturrate nicht indiziert. Meist ist ein plastisches Verfahren notwendig wie die Griffelschachtelplastik oder die Faszienumkehrplastik, gegebenenfalls mit Durchflechtung der Plantarissehne. Ältere Techniken beinhalteten die Peroneus-brevis-Plastik oder den Flexor-hallucis-longus-Transfer. Entscheidend für das einzuschlagende rekonstruktive Verfahren ist das Ausmaß des Substanzverlusts beziehungsweise des insuffizienten Narbengewebes. Daher ist zur präoperativen Planung einer veralteten Ruptur eine Kernspintomografie obligat

Fazit für die Praxis

Zunehmende Freizeitaktivitäten sowie erhöhte Anforderungen im Leistungssport haben zu einer Zunahme von Achillessehnenrupturen geführt. Zwischenzeitlich hat sowohl in der Diagnostik als auch in der Behandlung der Achillessehnenruptur eine ausgeprägte Entwicklung stattgefunden. Die klinische Untersuchung (wie Thompsontest) wird durch eine präzise Ultraschallund bedarfsweise MRT-Diagnostik ergänzt, die eine genaue Darstellung der Rupturmorphologie erlauben. Heute besteht eine differenzierte Therapiestrategie von primär funktioneller, minimalinvasiver oder offen operativer Behandlung. Die frühere Nachbehandlung in Form eines Gipses ist heute von komfortableren Orthesen ergänzt, wenn nicht sogar ersetzt worden.

Dr. med. Thomas SchmickalPD Dr. med. habil. Alexander SchuhChefarzt der Abt. für UnfallchirurgieKlinikum NeumarktLehrkrankenhaus der Friedrich-Alexander-UniversitätErlangen-NürnbergNürnberger Str. 12,92318 Neumarkt/OberpfalzUnfallchirurgie@klinikum.neumarkt.de

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung aus MMW 6/2010

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