Ambulante Versorgung

Zwischen Sparzwang und Ethik

Die Zukunft der ambulanten Versorgung stand im Zentrum einer Tagung des Wirtschaftsverbandes medinform am 27. Januar in Berlin. Die Sicht aus unterschiedlichen Blickwinkeln machte deutlich: Die Versorgungswirklichkeit praktizierender Ärzte spielt sich ab im komplizierten Spannungsfeld zwischen Patientenerwartungen, Budgetzwängen und Frustrationstoleranzen der Mediziner.

Als Tagungseinführung gab aus dem Bundesministerium für Gesundheit der Leiter der Unterabteilung Krankenversicherung, Joachim Becker, einen Überblick über bereits von der Koalition initiierte und noch geplante Änderungen im Gesundheitswesen. Becker nahm dabei, stellvertretend für seinen Dienstherrn, Gesundheitsminister Philipp Rösler, ausdrücklich nicht in Anspruch, die allumfassende Gesundheitsreform aus einem Guss gestartet zu haben, mit der das Gesundheitswesen revolutioniert worden sei. Vielmehr sei man dabei, mehrere thematisch abgegrenzte Reformschritte zu unternehmen, auf Gebieten, die aus Ministeriumssicht am dringendsten erscheinen. Immerhin sei es gelungen, bei der medizinischen Versorgung der Bevölkerung trotz großen Sparzwangs keine Einschnitte im Leistungskatalog der GKV vorzunehmen, auch und gerade nicht im ambulanten Bereich. „Dies“, so Becker, „ist doch erwähnenswert“.

Weitere Reformen sind notwendig

Neben den schon umgesetzten Reformen wie dem Gesetz zur weiteren Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung oder dem Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes sei der Prozess hin zu einem, fairen, stabilen und zukunftssicheren Gesundheitswesen aber noch lange nicht abgeschlossen. Vielmehr stünden weitere Reformschritte an, „etwa in Fragen zum Ärztemangel, zur Ärztehonorierung, der Neujustierung des Risikostrukturausgleichs, zur Krankenhausfinanzierung sowie zur Weiterentwicklung der Pflegereform“, so Becker.

Was die Verbesserung der ambulanten Versorgung anbelange, gäbe es viele Ansatzpunkte, an die man anknüpfen könne. So lägen etwa Vorschläge auf dem Tisch, über die KBV Sicherstellungszuschläge für Vertragsärzte in unterversorgten Gebieten zukommen zu lassen und auch die Verzahnung der ambulanten und stationären Versorgung weiter voran zu bringen. Hier sei auch der „mobile Arzt“ eine Maßnahme, die auf die spezifischen regionalen Versorgungsangebote eine Antwort geben könne. Auch habe die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) neben dem ambulanten und stationären Versorgungsbereich eine dritte Säule ins Gespräch gebracht, die noch ausgestaltet werden müsse.

Der handlungsunfreie Mediziner

Dass die Situation für freiberuflich tätige Mediziner im ambulanten Bereich nicht gerade rosig sei, diese Meinung vertrat Dr. Bärbel Grashoff, Fachärztin für Frauenheilkunde in Ulm sowie Geschäftsführerin des badenwürttembergischen Ärzteverbundes MEDI und Sprecherin von MEDI Südwürttemberg. Grashoff, die dem Gesundheitssystem in Deutschland sozialistische Züge und eine zentralistische Organisation attestierte, beklagte, dass die freien Praxen in ihrer Tätigkeit limitiert und dennoch dazu gezwungen seine, die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Dabei seien Qualität und ethische Prinzipien bei der Behandlung dem von der Politik verpassten Sparzwang „völlig untergeordnet“. Während die Ärzte ohne Planungssicherheit und ohne feste Vergütung praktizierten, sähen sie sich einem erhöhten Anspruchsdenken der Versicherten, erzeugt durch Versprechen aus Politik und Krankenkassen, gegenüber.

Eine überbordende Bürokratie, die immer weniger Zeit für den Patienten übrig lasse, tue ein Übriges dazu, um den ärztlichen Beruf immer unattraktiver zu machen, was sich bereits jetzt an fehlendem Nachwuchs – und dies wird in ländlichen Gebieten besonders augenscheinlich –deutlich zeige. Das System funktioniere nur noch, weil es Zwangsstrukturen gäbe und weil etwa 30 Prozent der KBV-Verordneten ärztlichen Leistungen umsonst erbracht werden. „Qualität muss wieder bezahlt werden, wir brauchen eine feste Vergütung“, unterstrich Grashoff. Selektivverträge seien die Alternative zu einem nicht mehr funktionierenden GKV-System mit kollektivem Vertragsmodell. Dadurch werde die Versorgung regionalisiert und dem Bedarf vor Ort angepasst. Zudem erfolge eine feste Vergütung von Einzelleistungen. In Zukunft funktioniere das GKV-System nur noch, wenn die Zentralisierung aufgehoben und die Regionalisierung gestärkt wird, auf Steuerungsmittel wie die Bedarfsplanung verzichtet, dem Patienten mehr Eigenverantwortung zugemutet wird und die Player im Gesundheitswesen bereit sind, sich neuen Versorgungsformen zu öffnen. Im Mittelpunkt der Versorgung, so die Medizinerin, müsse wieder der Arzt stehen. Genauso wie der Patient und seine Bedürfnisse wieder im Zentrum der ärztlichen Ethik stehen müssten.

Für eine Stärkung der Patientenmündigkeit setzte sich der sozialpolitische Referent vom Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter, Maik Nothnagel, ein. Nothnagel, selbst seit Geburt körperbehindert, sprach von der Befürchtung, als Patient – und obendrein als körperbehinderter Patient – im Gesundheitssystem „unter die Räder zu kommen“.

Patienten sind mehr als nur Kostenfaktoren

Viele hätten ein ungutes Gefühl, nur noch als Kostenfaktor gesehen zu werden, hinter denen die Patientenbedürfnisse verschwinden. Als Beispiel berichtete Nothnagel von der Odyssee einer behinderten Patientin, die sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung seit sieben Monaten bemüht, eine neuen elektrischen Rollstuhl zu erhalten. Die Akteure in Praxen und Kliniken müssten sich viel mehr auf die Ebene der Patienten begeben, deren Sprache sprechen und sie als Gegenüber ernst nehmen. Um die Versorgung zu verbessern sei es wichtig, die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den ärztlichen Bereichen zu optimieren. Als Stichwort nannte Nothnagel Doppeluntersuchungen bei medizinischen Behandlungen.

Der Vorstand der DAK, Prof. Herbert Rebscher, machte den Spagat deutlich, den die Krankenkassen zwischen Versichertenzufriedenheit und Kostendämpfungsdruck zu leisten haben. Hierbei sprach er sich gegen eine Betrachtung der ambulanten Versorgung nur unter Kostenaspekten aus. Aufgrund der Tatsache, dass 20 Prozent aller Versicherten 80 Prozent der Leistungen in Anspruch nähmen und 75 bis 80 Prozent aller GKV-Leistungen etwa drei bis fünf Jahre vor dem Tod anfallen würden, sei eine Qualitäts- und Versorgungsverbesserung viel sinnhafter als eine reine Preissteuerung, so der DAK-Chef. Er schlug eine mittel- bis langfristige Orientierung der Versorgung, etwa über Präventions- oder Reha-Maßnahmen, vor.

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