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Pneumokokken-Infektion

Heftarchiv Medizin
Jährlich sterben weltweit rund zwei Millionen Menschen infolge einer durch Pneumokokken verursachten Erkrankung. Pneumokokken gehören damit laut WHO zu den weltweit bedeutsamsten bakteriellen Infektionserregern. Gefürchtet ist vor allem die Pneumonie, die insbesondere ältere Menschen und solche mit chronischer Grunderkrankung oder Immunschwäche gefährdet.

Die Pneumonie ist nur eine der Infektionskrankheiten, die durch Pneumokokken – oder wissenschaftlich ausgedrückt durch Streptococcus pneumoniae – verursacht werden. Gefürchtet sind auch die Meningitis sowie die Otitis media, zwei Infektionskrankheiten, die vor allem im Kindesalter auftreten und gravierende Komplikationen nach sich ziehen können, sowie die Sepsis. Bei älteren Personen steht bei Pneumokokken- Erkrankungen hingegen die Pneumonie im Vordergrund. Sie gefährdet Leib und Leben von Menschen in der zweiten Lebenshälfte und das insbesondere, wenn relevante Grunderkrankungen wie etwa eine Koronare Herzerkrankung oder eine chronische Nierenerkrankung vorliegen.

„Pneumokokken sind hinsichtlich Inzidenz, Morbidität und Letalität die bedeutendsten bakteriellen Erreger bei über 50-Jährigen“, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme von Berufsverbänden und Fachgesellschaften unter Schirmherrschaft des Nationalen Referenzzentrums für Streptokokken (NRZ) in Aachen. Die Inzidenz einer invasiven Pneumokokken-Erkrankung liegt nach Angaben des NRZ in der Gesamtbevölkerung bei größer gleich 15 Fällen pro 100 000 Einwohnern, bei den über 60-Jährigen jedoch bei größer gleich 50 pro 100 000.

Bei den Pneumokokken handelt es sich um grampositive Bakterien der Gattung Streptococcus, die zur Ordnung der Lactobacillales gehört und von einer Polysaccharidkapsel umgeben sind. Der Aufbau der Kapselpolysaccharide ist entscheidend für den Serotyp und die Antigenität. Die Kapsel ist zudem für die Pathogenität des Erregers verantwortlich und schützt diesen vor der Phagozytose. Antikörper gegen den Erreger treten in aller Regel innerhalb von fünf bis acht Tagen nach der Infektion auf und richten sich gegen Kapselpolysaccharide. Allerdings ist die Immunreaktion B-Zell-abhängig, was erklärt, warum Kinder in den ersten beiden Lebensjahren keine serotypenspezifische Immunität aufbauen und daher besonders gefährdet sind. Morphologisch handelt es sich bei den Pneumokokken um Diplokokken, weil die Bakterien paarweise angeordnet sind. Erstmals beschrieben wurde der Erreger 1881 parallel, aber unabhängig voneinander, durch Louis Pasteur in Frankreich und Georg Sternberg in den USA.

Krankheitsbild Pneumonie

Pneumokokken sind der wichtigste Erreger der infektiösen bakteriellen Pneumonie. Die Keime zeichnen für 20 bis 40 Prozent der ambulant erworbenen Pneumonien verantwortlich und jährlich gehen hierzulande schätzungsweise 8 000 bis 12 000 Todesfälle als Pneumoniefolge auf das Konto des Erregers. Bei der Hälfte der Betroffenen tritt der Tod trotz adäquater Antibiotikabehandlung bereits innerhalb der ersten 48 Stunden ein. Noch gravierender ist das Problem in den Entwicklungsländern. Es wird davon ausgegangen, dass weltweit jährlich rund eine Million Kinder unter fünf Jahren der Pneumokokken- Pneumonie zum Opfer fallen.

Doch Pneumokokken-Erkrankungen sind nicht nur mit einer hohen Mortalität behaftet: Sie bedingen in Deutschland jährlich rund 80 000 bis sogar 135 000 Klinikaufenthalte mit hochgerechnet insgesamt bis fast zwei Millionen Krankenhaustagen, so die Angaben im Positionspapier des NRZ für Streptokokken.

Typische Krankheitssymptome der Pneumonie sind plötzliches, hohes Fieber, Schüttelfrost, Husten, eitriger Auswurf und gegebenenfalls Thoraxschmerzen. Solche Symptome müssen jedoch nicht zwangsläufig auftreten, speziell im höheren Lebensalter ist die Symptomatik der Pneumonie oft weniger charakteristisch: Das hohe Fieber und der Schüttelfrost fehlen nicht selten, dafür leiden die Patienten häufig unter einer Dyspnoe, unter einer Tachykardie und einer Exsikkose. Auch bei Säuglingen macht sich die Infektion oft weniger „klassisch“ bemerkbar. Die Kinder leiden zumeist unter Symptomen eines Atemwegsinfektes sowie unter einer Trinkschwäche. Sie haben Fieber, einen hohen Puls und sind auffallend blass.

Es drohen die Bakteriämie und die Sepsis

Etwa jeder vierte Patient mit Pneumo - kokken-Pneumonie entwickelt in deren Gefolge eine Bakteriämie mit dem Risiko, dass es zu einem septischen Schock kommt. Die Letalitätsrate liegt bei der Bakteriämie bei älteren Menschen nach Angaben des NRZ bei 30 bis 50 Prozent. Ein dramatischer Verlauf droht insbesondere, wenn nicht rasch effektiv interveniert wird. Es gilt daher das „Hit hard, hit early“-Prinzip, was bedeutet, dass ohne zu zögern sofort eine potente Antibiotika-Behandlung eingeleitet werden muss entsprechend den von der Paul-Ehrlich-Gesellschaft erarbeiteten Therapiekriterien.

Liegt bereits eine Sepsis vor, so müssen außerdem Blutkulturen angelegt werden zur Keimbestimmung und zur Empfindlichkeitsprüfung hinsichtlich der antibiotischen Behandlung.

Otitis media

An der ebenfalls durch Pneumokokken bedingten Otitis media erkranken jährlich hierzulande rund 300 000 bis 600 000 Kinder unter sechs Jahren, wobei die Mittelohrentzündung in einigen Fällen mehrfach rezidiviert. Bis zum Alter von sieben Jahren haben rund 80 Prozent aller Kinder mindestens eine Otitis media durchlebt. Die Infektion tritt meist einseitig auf, die Kinder haben Fieber und klagen über starke Ohrenschmerzen. Die Behandlung erfolgt durch Antibiotika und im Fall eines Paukenergusses kann die Einlage eines Paukenröhrchens notwendig werden.

Gefürchtet ist die Otitis media wegen der hohen Komplikationsgefahr bis hin zu direkt fortgeleiteten Infektionen wie etwa einer Meningitis.

Sinusitis

Neben der Otitis media kann sich auch eine Sinusitis ausbilden, wobei der Erkrankung oftmals ein Sekretstau vorangeht. Die Betroffenen – oft sind es Kleinkinder und sogar Säuglinge – weisen eine anhaltende Rhinitis auf, eventuell auch Husten, Fieber und sie klagen über Kopfschmerzen, die Nasennebenhöhlen sind vereitert.

Meningitis

Als Erkrankung ist die Meningitis besonders gefürchtet, wobei Pneumokokken nach den Meningokokken die zweithäufigste Ursache der bakteriellen Meningitis darstellen. Die Erkrankung tritt bei Kindern oft im Gefolge einer Infektion der oberen Atemwege auf. Die Symptomatik ist abhängig vom Lebensalter der Kinder: Kinder unter einem Jahr sind unruhig oder auch apathisch, verweigern die Nahrungsaufnahme und es kann zu Krampfanfällen kommen. Bei Kindern, die älter als ein Jahr sind, tritt als charakteristisches Symptom einer Meningitis in aller Regel Nackensteifheit auf. Die Kinder klagen über Kopfschmerzen und reagieren möglicherweise mit Bewusstlosigkeit. Es kann zu erheblichen neurologischen Folgeschäden kommen wie einem Hörverlust, Lähmungen oder dem Auftreten einer Epilepsie. Beschrieben sind ferner Entwicklungsverzögerungen, vor allem eine psychomotorische Retardierung und in seltenen Fällen persistierende Hirnnervenausfälle sowie ein psychoorganisches Syndrom und ein Hydrocephalus. Die Letalität der Infektionskrankheit liegt bei etwa sieben bis acht Prozent und rund 20 Prozent der erkrankten Kinder behalten bleibende neurologische Defizite von der Infektion zurück. Daher ist eine rasche, wirksame intensivmedizinische Behandlung der Kinder wichtig.

Endogene Infektion

Infektionen mit Streptococcus pneumoniae kommen praktisch nur beim Menschen und bei einigen wenigen Säugetieren vor. Die Erreger werden per Tröpfcheninfektion übertragen und besiedeln den Respirationstrakt, wobei bei Kindern eigentlich regelhaft eine Kolonisation der Nasen-Rachen-Schleimhäute mit Pneumokokken nachzuweisen ist. Seltener ist eine Keimbesiedlung dagegen bei Erwachsenen ohne Kontakt zu Kleinkindern.

Die Besiedlung mit den Bakterien bleibt normalerweise symptomlos. Zur manifesten Infektion kommt es als endogene Infektion vom Oropharynx ausgehend. Diese Gefahr besteht bei Störungen der lokalen oder der systemischen Abwehr zum Beispiel infolge einer vorangegangenen Virusinfektion oder bei abnehmender Immunkompetenz im Alter, möglicherweise forciert durch eine relevante Grunderkrankung oder durch eine bestehende Multimorbidität.

Erfolgreiche Behandlung der Infektion

Die Behandlung der Pneumokokken-Erkrankung erfolgt mittels Antibiotika, wobei vor allem den Penicillinen eine zentrale Rolle zukommt. Genutzt werden primär Aminopenicilline, da diese auch gegen Hämophilus influenza und damit gegen einen weiteren weit verbreiteten Erreger wirksam sind. Allerdings sind Penicilline nicht liquorgängig, so dass bei der Meningitis auf andere Antibiotika wie die Cephalosporine zurückgegriffen werden muss.

Eine besondere Situation besteht bei einer Infektion mit einem penicillinresistenten Stamm, wobei die Penicillin- Resistenzen in verschiedenen europäischen Ländern deutlich zunehmen. So werden aus Spanien, Frankreich, Griechenland und Südosteuropa bereits Resistenzraten von 30 Prozent gegenüber Penicillin berichtet. Die Resistenzlage ist in diesen Ländern zum Teil als dramatisch anzusehen, heißt es im Positionspapier des NRZ für Streptokokken. In Deutschland wird von einer deutlich günstigeren Resistenzrate von neun Prozent ausgegangen.

Im Falle einer verminderten Penicillin-Empfindlichkeit oder einer manifesten Penicillin- Resistenz kann statt mit einem Penicillin mit einem Cephalosporin behandelt werden und bei Erwachsenen mit einem Chinolon, bei Kindern dagegen auch mit Rifampicin oder Vancomycin.

Impfung

Mit der Pneumokokken-Impfung gibt es eine effektive Schutzmöglichkeit hinsichtlich der Pneumokokken-Erkrankung. Die ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut empfiehlt die Pneumokokken- Impfung als Standardimpfung bei Säuglingen und Kleinkindern zwischen dem 2. und dem 23. Lebensmonat. Die Impfung der Kinder soll zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgen und am besten zeitgleich mit den anderen Impfungen im Säuglingsalter. Es wird hierzulande von der STIKO außerdem allen Menschen jenseits des 60. Lebensjahres zur Impfung geraten. Da bereits bei den über 50-Jährigen eine deutliche Zunahme invasiver Pneumokokken-Erkrankungen festzustellen ist, wird in den USA allerdings zurzeit eine Erweiterung der Impfempfehlung auf alle Personen ab dem 50. Lebensjahr diskutiert.

Bei Risikopersonen werden außerdem Wiederholungsimpfungen alle fünf Jahre bei Erwachsenen und alle drei Jahre bei Kindern empfohlen. Zu den Risikopersonen gehören all jene mit angeborenem oder erworbenem Immundefekt sowie Patienten mit chronischer Nierenerkrankung.

Geimpft werden sollten als Indikationsimpfung ferner immungeschwächte Personen und Menschen, die an einer chronischen Erkrankung leiden wie etwa einer koronaren Herzkrankheit, einer chronischen Lungenerkrankung wie einem Asthma oder einer COPD sowie Personen mit einer chronischen Leber- oder Nierenerkrankung. Dies liegt nach Angaben des NRZ nicht nur an der Gefährdung durch die Pneumokokken- Erkrankung, sondern auch daran, dass diese das Grundleiden deutlich verschlechtern kann.

Auch bei Vorliegen eines Diabetes oder einer anderen Stoffwechselerkrankung, bei Erkrankungen der blutbildenden Organe sowie bei Tumorpatienten und solchen mit HIV, bei Patienten nach Knochenmarktransplantation oder solchen mit immunsuppressiver Behandlung nach einer Organtransplantation wird eindringlich zur Pneumokokken- Impfung geraten. Besonders wichtig ist laut NRZ die Impfung von Menschen mit funktionsuntüchtiger oder fehlender Milz, da die Milz eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Pneumokokken spielt: Sie eliminiert primär die im Blut vorkommenden Pneumokokken, was erklärt, warum bei Menschen mit fehlender Milz im Falle einer Pneumokokken-Erkrankung von einer Letalitätsrate von bis zu 50 Prozent auszugehen ist.

In den USA rät die Impfkommission darüber hinaus in ihren aktuellen Empfehlungen zur Impfung von Rauchern, nachdem sich gezeigt hat, dass Raucher gegenüber Nicht- Rauchern ein rund vierfach erhöhtes Risiko für eine Pneumokokken-Erkrankung aufweisen.

Eingesetzt wird ein Polysaccharid-Impfstoff, der 23 Pneumokokken-Serotypen umfasst. Allerdings ist dieser Impfstoff erst ab dem zweiten Lebensjahr zugelassen, da vorher mit dem Vakzin keine ausreichende Immunantwort zu erzielen ist. Bei Kindern erfolgt die Impfung daher mit einem Konjugat- Impfstoff, der sieben Pneumokokken-Serotypen abdeckt. Geimpft werden die Kinder meist zeitgleich mit der Kombinations-Impfung gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Haemophilus influenzae Typ b, Poliomyelitis und Hepatitis B.

Als potenzielle Nebenwirkungen und Komplikationen der Impfung ist mit Rötungen, Schwellungen und Schmerzen im Bereich der Injektionsstelle zu rechnen. Nicht selten kommt es zudem als Impfreaktion zu einem Temperaturanstieg – und das bei Kindern durchaus bis zu mehr als 39 Grad Celsius. Als weitere Reaktionen auf die Impfung können Müdigkeit und Abgeschlagenheit auftreten, Reizbarkeit, unruhiger Schlaf, verminderter Appetit und sogar Erbrechen und Diarrhoen. Die Reaktionen sind in aller Regel vorübergehender Natur. Allerdings sind auch allergische Reaktionen wie eine Urtikaria zu beobachten und in seltenen Fällen ist eine Thrombozytopenie beschrieben worden.

Rückgang invasiver Pneumokokkeninfektionen

Die beiden Impfstoffe bieten keinen hundertprozentigen Schutz gegenüber einer Pneumokokken-Infektion, da sie nicht gegen alle der insgesamt 80 bekannten Serotypen wirksam sind. Andererseits schützen sie gegen die wichtigsten Vertreter der Pneumokokken, welche für rund 80 Prozent der Infektionen verantwortlich sind. Studien in den USA belegen dabei, dass die Rate invasiver Pneumokokken-Erkrankungen nach Einführung der Pneumokokken-Impfung bei den Kindern erheblich zurückgegangen ist.

Auch aus anderen Ländern gibt es Befunde, die für die Pneumokokken-Impfung von Kindern sprechen. So ist in Finnland nach Einführung der Impfung die Rate der Otitis media, bei der ein Paukenröhrchen gelegt werden muss, um knapp 40 Prozent zurückgegangen. Eine aktuelle Studie aus England hat jüngst belegt, dass seit Einführung der Pneumokokken-Impfung bei Säuglingen die Rate an Klinikeinweisungen von Kindern mit bakterieller Pneumonie um rund 19 Prozent rückläufig ist. Die Rate gefährlicher Empyeme sank im gleichen Zeitraum um 22 Prozent.

Schutzpotenzial wird nicht ausgeschöpft

Obwohl die Impfung gut verträglich ist, sind bislang den Schätzungen zufolge allerdings nur rund 20 Prozent der Menschen, bei denen eine klare Indikation zur Impfung besteht, tatsächlich auch geimpft. Dabei könnten theoretisch durch eine konsequente Umsetzung der Impfempfehlungen rund 30 bis 40 Prozent der schweren Pneumonien und dadurch 80 000 bis 135 000 Klinikaufenthalte jährlich verhindert werden. Die Impfung kann außerdem dazu beitragen, dass das Risiko der Entwicklung bakterieller Resistenzen gegen Antibiotika deutlich minimiert wird.

Christine VetterMerkenicher Str. 22450735 Köln

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