Politik und Krankheit

Der Makel der Mächtigen

200603-flexible-1900
Heftarchiv Gesellschaft
pr
Ob gewählte Politiker heute oder Kaiser, Könige und Fürsten damals: Krankheit ist bei den Mächtigen ein Makel und der politische Patient ist eine unerwünschte Spezies. Nicht selten stürzten gebrechliche Machthaber ganze Nationen in den Abgrund. Auch Amtsunfähigkeit oder früher Tod der Herrschenden haben die Geschichte nicht unwesentlich beeinflusst. Durch die Erkrankungen der Mächtigen bekamen manchmal Ärzte und pflegende Personen Einfluss auf das politische Geschehen, wie Beispiele quer durch die Jahrhunderte zeigen.

Nur selten traten kranke Politiker von ihren Ämtern zurück. Aktuell gab der österreichische Finanzminister Josef Pröll seine politischen Funktionen auf. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck trat wegen Überforderung als SPD-Parteivorsitzender zurück. Doch viele Beispiele aus der Geschichte zeigen: Wer die Macht hat, bleibt. Körperliche und geistige Qualen werden nicht erkannt oder vertuscht, oft zum Leidwesen der Betroffenen und der Menschen, die sie regieren.

Krank durch Gendefekt

In unzähligen Romanen oder Filmen wurde der gewalttätige Charakter Heinrich VIII. (1491–1547) von England immer wieder thematisiert. Auch nach den Sitten des 16. Jahrhunderts war der Monarch im Umgang mit seinen Ministern und Untergebenen, vor allem zum Ende seines Lebens hin, tyrannisch. Seine beiden Frauen Katharina von Aragon und Anna von Kleve verstieß er, Anne Boleyn und Catherine Howard mussten ihr Leben lassen, Jane Seymour starb nach der Geburt des späteren Eduard VII. und nur Heinrichs letzte Gemahlin, Catherine Parr, überlebte den Monarchen unbeschadet.

Dabei war der junge Heinrich durchaus ein viriler und charmanter Herr, der 1509 seinem Vater Heinrich VII. auf dem eng-lischen Thron folgte.

Amerikanische Wissenschaftler glauben nun, den Grund für die charakterlichen Veränderungen und die gesundheitlichen Probleme des englischen Königs gefunden zu haben. Heinrich VIII. könnte sogenannte Kell-Antigene geerbt haben. Personen, die reinerbig Träger Kell-positiven Blutes sind, können sich nur eingeschränkt mit Personen Kell-negativen Blutes fortpflanzen. Dies wäre eine mögliche Erklärung für die vielen Fehlgeburten seiner Frauen. Weit gewichtiger ist, dass Kell-Positive auch an einer Genanomalie, dem McLeod-Syndrom, leiden können. Die Folge ist eine relativ frühe physische und psychische Degeneration der Betroffenen. Um die These beweisen zu können, bedarf es allerdings einer Genanalyse der Überreste Heinrichs, die in der St. George’s Chapel in Windsor Castle ruhen. Es bleibt abzuwarten, ob die derzeitige Queen einer Exhumierung ihres Vorgängers zustimmt.

Sollten die Thesen der amerikanischen Forscher zutreffen, ist zu vermuten, dass die Krankheit Heinrichs Politik nicht unwesentlich beeinflusst hat. Die gewaltsame Umsetzung seiner Ziele, der erbarmungslose Kampf gegen die katholische Kirche und vieles mehr haben das englische Königtum aber eher gestärkt. Und heute wird seine Regierung in der Rückschau vielfach als Wegbereitung für das Elisabethanische Zeitalter gesehen, das Englands Aufstieg zur Weltmacht begründete.

Dem Wahn verfallen

Fast eineinhalb Jahrzehnte dauerte der Kampf um die Thronfolge in Spanien. Der letzte spanische Habsburger hatte nicht seine österreichischen Verwandten als Erben eingesetzt, sondern den Enkel Ludwig XIV. Am Ende des spanischen Erbfolgekriegs durfte Philipp von Anjou, als Philipp V. (1683–1746), König von Spanien bleiben. Aber das iberische Land erhielt einen König, der psychisch krank war. Der Monarch muss wohl schon seit seiner Kindheit an einer manisch-depressiven Störung gelitten haben. In den manischen Phasen hatte der König von seinen Ministern gut beraten segens-reiche Reformen angestoßen. Wenn der Bourbone allerdings von seinen depressiven Schüben heimgesucht wurde, plagten ihn Wahnvorstellungen. Dann war der König zu keinen Entscheidungen fähig, über-haupt wollte er dann nicht mehr König von Spanien sein. Er ließ sich in diesen Zeiten gehen und in der Öffentlichkeit trat seine zweite Frau, Elisabeth Farnese von Parma (1692–1766), anstelle des Königs auf.

In einer seiner Depressionszeiten traf Philipp V. den Entschluss, abzudanken. 1724 folgte ihm sein Sohn Ludwig (1707–1724) für nur ein halbes Jahr auf dem Thron. Nach dem unerwarteten Tod des jungen Mannes musste Philipp das Amt des Königs erneut ausüben, noch einmal für mehr als zwanzig Jahre.

In den schlechten Zeiten half ihm der Sänger Farinelli (1705–1782), der 1737 von der Königin an den spanischen Hof geholt worden war, mit seiner überirdisch schönen Stimme aus der Lethargie. Am Ende seines Lebens verfiel der König immer mehr dem Wahnsinn. Von der manischdepressiven Erkrankung bemerkte das spanische Volk nur wenig. Ihm blieb der König durch seine Jagdleidenschaft und unzähligen Liebschaften im Gedächtnis. Die Herrschaft Philipps war trotz seiner Krankheit durchaus erfolgreich. Neben innenpolitischen Reformen gelang auch die Rückgewinnung von Territorien für Spanien in Italien, etwa vom Königreich Neapel.

Geistige Verwirrung

Im Jahre 1994 thematisierte Nicholas Hyter in seinem Film „Ein Königreich für mehr Verstand“ (The Madness of King George) nach dem gleichnamigen Theaterstück von Alan Bennett die Krankheit George III. von Großbritannien und Irland (1738–1820). Anschaulich verkörpert der Schauspieler Nigel Hawthorne den zeitweise geistig verwirrten George III., unter dem seine Frau Charlotte, gespielt von Helen Mirren, und ein ganzes Königreich zu leiden hatten. Allerdings konnten die Ausfälle des Königs von der Regierung durch das House of Commons und den Premierminister ausgeglichen werden.

Der erste psychotische Schub des britischen Monarchen fiel in eine welthistorisch bewegte Zeit. Um den Jahreswechsel 1788/89 zeigten sich erstmals Anzeichen einer geis-tigen Erkrankung, also zu dem Zeitpunkt, als in Frankreich die Französische Revolution tobte und den Bourbonenkönig Ludwig XVI. vom Thron fegte.

Die Krankheit George III. warf nicht nur die Frage der Regierungsfähigkeit des Königs und einer möglichen Regentschaft seines Sohnes auf, sondern auch die Überlegung, inwieweit das Land überhaupt noch einen König brauche. Der ersten Leidensphase folgte 1801 eine zweite, und seit 1810 war der König „permanently deranged“.

Wissenschaftler vermuten dass George III an  einer Variante der sogenannten Porphyrie litt. Die erbliche Stoffwechselstörung kann zu Psychosen führen. Diese Annahme wird untermauert durch die Tatsache, dass vier Generationen später die Ururgroßnichte Georges, Charlotte von Sachsen-Meiningen (1860–1919, Tochter von Victoria und Friedrich III.) diese Erbkrankheit hatte. Bei ihr zeigte sich bereits in der Jugend eine außerordentliche Nervosität, in späteren Jahren Neuralgien und Lähmungen.

Obwohl Großbritannien ein Parlament und einen Premierminister besaß, hatte George III. aufgrund seiner Beliebtheit beim Volk – als einigendes nationales Symbol gegen das revolutionäre Frankreich – eine Bedeutung, die ihm politischen Einfluss gab. So weigerte sich der König ausgerechnet in der psychotischen Phase um 1801 beim „Act of Union“ mit Irland einer Emanzipation der Katholiken zuzustimmen und zwang so den Regierungschef William Pitt junior (1759–1806) zurückzutreten. Ab 1810 wurde die geistige Verfassung des Königs so desolat, dass die Spitzen des Staates übereinkamen, den Prince of Wales als Regenten einzusetzen.

Früher Tod eines Liberalen

Geschichte wird eben doch oft von nur wenigen Personen bestimmt. Manchmal reicht eine Person am falschen Platz, und schon nimmt der historische Verlauf eine verhängnisvolle Wendung. Ein trauriges Beispiel dafür ist die Person Wilhelm II., seit 1888 Deutscher Kaiser. Der frühe Tod seines Vaters, Kaiser Friedrich III. (1831–1888) gab den konservativen bis reaktionären Kräften im Deutschen Reich neuen Wind in die Segel. Friedrich III. hatte eine andere Zukunft für Deutschland im Sinn gehabt. Er und seine Gemahlin, Kaiserin Victoria, wollten das Land in eine parlamentarische Monarchie nach englischem Vorbild umwandeln. Das Kaiserpaar verfügte über ganz andere intellektuelle und charakterliche Eigenschaften, als dies von ihrem Sohn Wilhelm gesagt werden kann. So besuchte der Kronprinz während des sogenannten „Antisemitismusstreits“ in den 1870er-Jahren demonstrativ einen Gottesdienst in der Neuen Synagoge in Berlin, um seine Solidarität zu demonstrieren.

Wäre Friedrich III. nicht schon nach 99 Tagen im Amt verstorben, so wären Deutschland vielleicht – oder mit Sicherheit? – beide Weltkriege im 20. Jahrhundert erspart geblieben. Das Schicksal meinte es aber anders. Ende 1887 machten sich bei dem starken Raucher Friedrich erste Anzeichen von Kehlkopfkrebs bemerkbar. „Die quälende Heiserkeit nahm unter den Festlichkeiten der ersten anstrengenden Jahreswochen beunruhigend zu und bewog ihn, die namhaftesten Specialisten der Berliner Universität, die Professoren Gerhardt, v. Bergmann und Tobold zu consultiren“ [in: Friedrich, Deutscher Kaiser und König von Preußen. Ein Lebensbild von Ludwig Ziemssen. Berlin 1888, Reprint Wolfenbüttel 2009, S. 133]. Die Berliner Ärzte diagnos- tizierten eine bösartige Geschwulst am Stimmband und rieten zu einer Operation, die zwar die Stimme beeinträchtigen würde, aber Heilung versprach.

Kronprinzessin Victoria, die von den Ärzten ihrer alten Heimat England mehr hielt als von den deutschen Kollegen, zog Dr. Morell Mackenzie hinzu, der erstaunlicherweise keine Bösartigkeit erkannte. Die von Mackenzie entnommene Gewebeprobe wurde von Rudolf Virchow (1821–1902) untersucht und fatalerweise als nicht bösartig klassifiziert. „Inzwischen war das furchtbare Leiden unerbittlich fortgeschritten: ein Aerzte-Congreß vom 9. November bestätigte dies. Eine von den ersten Operateuren Europas auch jetzt noch empfohlene Operation lehnte der Kronprinz, nach ernster Erwägung aller Umstände, ab […] Am 9. Februar [1888] ergab sich, um der Erstickung vorzubeugen, die bittere Notwendigkeit des Kehlkopfschnitts; Dr. Bramann, der ausgezeichnete erste Assistent der Berliner chirurgischen Universitäts- Klinik, vollzog die Operationen mit Meisterhand.“ [in: Friedrich, S. 135].

Während des Eingriffs weilte Friedrich zur Erholung in der Villa Zirio in San Remo. Ernst von Bergmann (1836–1907) wurde aus Berlin dazugeholt, um die Operation zu überwachen. Nach dem Tod Wilhelms I. (1797–1888) Anfang März blieb Friedrich III. nicht ausreichend Zeit, um Deutschland in eine liberale Richtung zu lenken. Nun wurde alles nur noch schlimmer, Über- heblichkeit und Dummheit hielten mit Wilhelm II. Einzug bei Hofe. Mit der Entlassung Otto von Bismarcks 1890 ging auch noch das letzte Maß an Rationalität verholen. Die weitere politische Entwicklung bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs ist hinlänglich bekannt.

Im Bann der Wunderheiler

Die wohl bekannteste Geschichte über einen selbsternannten Wunderheiler und seinen Einfluss auf eine ganze Familie, ist die von Grigori Jefimowitsch Rasputin (1869–1916). Durch die Heirat mit Nikolaus II. hatte „Alix“ von Hessen-Darmstadt die sogenannte Bluterkrankheit in die Familie Romanow gebracht. Der Ursprung lag in der Familie Queen Victorias, über deren Tochter Alice (1843–1878) und deren Enkeltochter „Alix“ die Erbkrankheit an den Zarewitsch Alexej Nikolajewitsch (1904–1918) weitergeben wurde. Eine effektive Behandlung der Hämophilie war zu Beginn des 20.

Jahrhunderts nicht möglich. Die betroffenen Männer hatten oft nur ein kurzes Leben.

Alexandra „Alix“ Fjodorowna (1872–1918) hatte bereits miterlebt, wie ihr jüngerer Bruder Friedrich und ihr Neffe Heinrich im Kindesalter und ihr Onkel Leopold an der Krankheit gestorben waren. Die ehemalige Protestantin hatte sich vor der Hochzeit mit Nikolaus II. noch geweigert, den orthodoxen Glauben anzunehmen, wurde aber als Kaiserin nach der Konversion zu einem tief gläubigen Menschen, der sich in der Not in die Mystik der russischen Orthodoxie flüchtete. In dieser Situation trat nun Rasputin in das Leben der Dynastie. Dem „Heiligen“ gelang wie durch ein Wunder, die Blutungen des Zarewitsch Alexej Nikolajewitsch zu stillen.

Aber schon vor Rasputin hatte das Kaiserpaar zu dem „Gesundbeter“ Monsieur Philippe aus dem französischen Lyon Kontakt. Zar und Zarin unternahmen auch „Pilgerfahrten“ zu heiligen Stätten, so auch zu den Gebeinen eines gewissen heiligen Serafim: „Es gab lange Prozessionszüge, und die Gottesdienste in von Weihrauch geschwängerter Luft dauerten drei Stunden. Scharen von Pilgern, darunter viele Kranke und Krüppel, die auf eine Wunderheilung hofften, standen an, um den Sarg Serafims zu küssen. Nicky und Alix erfuhren von zahl-reichen Menschen, die genesen waren. Im Dunkel der Nacht gingen sie zu dem heiligen Fluss hinunter, um sich mit dessen eiskaltem Wasser zu reinigen und ihre Gebete zu sprechen.“ [in: Clay, Catrine: König, Kaiser, Zar. München 2008, S. 282) Im Jahre 1915 hatte der Thronfolger seinen Vater zu einem Truppenbesuch begleitet, in dessen Verlauf er starkes Nasenbluten bekam. Einer der Ärzte des Zaren, Prof. Fjodorow riet zur Rückkehr nach Zarskoe Selo bei St. Petersburg. Wie sich dann ein Auftritt von Rasputin abspielte, schilderte Anna Wyrubowa, die Hofdame der Zarin. „In ihrer Verzweifelung ließ die Zarin Rasputin rufen. Er kam in das Zimmer herein, schlug das Kreuz über dem Bett und sagte, das todkranke Kind fest anblickend: ‚Beunruhigt euch nicht. Es wird nichts geschehen.‘ Dann verließ er das Zimmer und sogar das Palais [Alexanderpalais in Zarskoe Selo]. Das war alles. Das Kind schlief ein und war am nächsten Tag so wohl, dass der Zar sich ins Hauptquartier begab.“ Die Kaiserin schrieb die Heilung dem „heiligen Wirken“ des „Gottesmannes“ zu [zitiert nach: Botkin, Tatjana: Meine Erinnerungen an die Zarenfamilie. München/Wien 1983, S. 248; Die Autorin ist die Tochter des kaiserlichen Leibarztes Eugen Botkin, der mit der Zarenfamilie im Juli 1918 ermordet wurde]. Wahrscheinlich ist, dass die allgemeine Beruhigung des Organismus des Zarewitsch auch die Blutung gestoppt hat.

Welche Ursache die Heilungserfolge beim Zarewitsch auch hatten, in der öffentlichen Wahrnehmung des russischen Reiches schien Rasputin über die Zarin unheilvollen Einfluss auf das politische Geschehen bekommen zu haben. Der vermeintliche Eindruck war umso fataler, weil sich Russland mitten im Ersten Weltkrieg befand und die Zarin als Deutsche in keinem guten Ansehen stand. Die Ermordung des „Wunderheilers“ im Jahre 1916, bei der sich auch Mitglieder des Kaiserhauses, Großfürst Dimitri Pawlowitsch (1891–1942) und Fürst Felix Jussupoff (1887–1967), beteiligten, war einer der traurigen Schlusspunkte beim Untergang des Zarenreichs.

Fast eine Staatskrise

Weit weniger dramatisch war das Wirken der Heilerin Greet Hofmans (1894–1968) auf Königin Juliana der Niederlande (1909–2004). Doch erlebten die Nieder-lande in den 1950er-Jahren einen Skandal, aus dem eine Staatskrise hätte werden können. Die junge Königin Juliana, die erst im September 1948 den Thron von ihrer Mutter Wilhelmina übernommen hatte, erwog sogar abzudanken.

Der traurige Grund war die Behinderung ihrer jüngsten Tochter Maria Christina, die 1947 auf die Welt gekommen war. Die damalige Prinzessin von Oranien war während der Schwangerschaft an Masern erkrankt, hatte aber aus ihrer religiösen Einstellung heraus einen Abbruch abgelehnt. Das Kind wurde fast blind geboren, was erst nach einigen Monaten klar wurde. Die Monarchin geriet in eine verzweifelt-depressive Situation, in der sie in ihrer Not anfing, bei spiritistischen Scharlatanen Hilfe für ihre Tochter zu suchen. Zunächst blieb der niederländischen Bevölkerung verborgen, dass die Monarchin ihre Amtsgeschäfte mehr als nur schleifen ließ. Prinzgemahl Bernhard (1911–2004) übernahm weit- gehend die repräsentativen Aufgaben. „Ja, es wurde der Verdacht geäußert, als Folge des Schocks habe sich ihr Geist verwirrt und sie gehöre nicht länger auf den Thron, sondern in eine Nervenheilanstalt“ [in: Menger, Horst / Worlitz, Jürgen: Die Europäischen Königs- und Fürstenhäuser. Bindlach 2003, S. 144].

Die Lage verschlimmerte sich, als die Königin in die Gesellschaft der selbsternannten „Gesundbeterin“ Greet Hofmans geriet und ihr nahezu hörig wurde. Die Dame durfte sogar bei Hofe auf Schloss Soestdijk ver- kehren und fing an, Juliana zu beeinflussen. Hofmans soll auch Einfluss auf die Besetzung von Positionen im engsten Kreis der Königin gehabt haben. Erst als die kleine Prinzessin Maria Christina anfing, etwas besser zu sehen, willigte die niederländische Königin auf Drängen ihres Mannes, der von der niederländischen Regierung unter Führung des Sozialisten Willem Drees unterstützt wurde, ein, Hofmans vom Hofe zu verbannen.

Dies hätte das glückliche Ende der Affäre sein können, denn die niederländische Presse und die politische Klasse hatten die Monarchin geschützt und – anders als in unseren Tagen – die peinliche Problematik geheim gehalten. Erst als die Niederländer 1956 ausgerechnet aus dem deutschen Nach-richtenmagazin „Der Spiegel“ von den Schwierigkeiten hörten, kam es zur landesweiten Empörung. Das Magazin bot der Leserschaft auf dem Titelblatt Prinz Bernhard mit der Unterschrift „Zwischen Königin und Rasputin“. Erwähnung fanden auch peinliche Begegnungen von Hofmans mit niederländischen Politikern: „Ohne sich lange mit religiösen Vorreden aufzuhalten, begann die Wunderdoktorin bei diesen Gelegen-heiten – in Staatsaffären wohlunterrichtet –,  den Kabinettsmitgliedern wirtschaftliche und politische Ratschläge zu erteilen. ‚Machen Sie sich dabei denn keine Aufzeichnungen?‘ fragte die Jungfer in einer solchen Unter- haltung indigniert ein führendes Kabinettsmitglied. ‚Nein‘, antwortete der Minister höflich, ‚ich habe ein gut geschultes Gedächtnis‘“ [in: Der Spiegel, 24/1956, S. 35]. Solche Veröffentlichungen entfachten eine starke Propaganda niederländischer Republikaner gegen die Königin, die allerdings so überzogen war, dass die Mehrheit der Bevölkerung schließlich Verständnis für eine Mutter zeigte, die in Sorge um ihr Kind war.

Gerontokratie

Dass die ehemalige Sowjetunion in den letzten Jahren vor dem Amtsantritt von Michael Gorbatschow quasi zu einer „Gerontokratie“ geworden war, war unüber-sehbar. Auf Leonid Breschnew (1906–1982) folgten in kurzen Abständen Juri Andropow (1914–1983) und Konstantin Tschernenko (1911–1985). Von 1966 bis 1982 führte Breschnew als Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU das Land. In den letzten Amtsjahren des ersten Mannes der Sowjetunion konnte von Führung keine Rede mehr sein. Sein Krankheitszustand ließ tatkräftiges Regieren nicht mehr zu. Dies war umso gefährlicher, verfügte die UdSSR doch über eine große Anzahl an Atom- waffen. Der angeschlagene Gesundheits- zustand blieb auch der Weltöffentlichkeit nicht verborgen. Immer wieder wurde der Staatschef tagelang nicht gesichtet, und es kam bei Staatsbesuchen im Ausland zu peinlichen Patzern.

Als Willy Brandt im Jahre 1971 Breschnew auf der Krim besuchte, wirkte der „rote Zar“ noch recht fit. Aber ab 1973 zeigten sich bei Generalsekretär Breschnew erste Anzeichen einer Herzerkrankung, die die sowjetischen Ärzte unter systemimmanenter Geheimhaltung zu behandeln versuchten. Der Staatsführer war mit dem Ergebnis nicht zufrieden und suchte die Dienste einer Heilpraktikerin namens Ewgenia Dawitatschwili auf.

Der „Dschuna“ genannten Dame gelang es – zum Erstaunen der Fachleute – den Gesundheitszustand von Breschnew bis Ende der 1970er-Jahre relativ zu ver- bes-sern. Um länger schlafen zu können, geriet Leonid Breschnew nun in die Arme der Krankenschwester Nina Korowikowa, die ihm Schlafmittel verabreichen sollte. Die Schwester bekam durch den Kontakt mit dem Generalsekretär Einfluss, der sich unter anderem in kostspieligen Geschenken äußerte. Laut dem Leibarzt von Breschnew, Michael Kossirew, „reduzierte Nina den Medikamentenkonsum ihres Patienten in keinster Weise: ‚Als ich mich um ihn zu kümmern begann […] war Breschnew schon mit Antidepressiva vollgepumpt‘“ [vergleiche: Fedorowski, Wladimir: Die Zarinnen, Rußlands mäch- tige Frauen. München 2001, S. 210]. Der Generalsekretär der KPdSU war also medikamentenabhängig.

Über den Umgang mit dem kranken Breschnew berichtet auch Gorbatschow in seinen Erinnerungen: „Ich weiß noch, wie Breschnew in einer Sitzung des Politbüros, bei der er den Vorsitz führte, einmal den Faden der Erörterung verlor. Alle taten so, als sei nichts geschehen. Und doch hinterließ der Vorfall ein beklemmendes Gefühl. Nach der Sitzung sprach ich darüber mit Andropow. `Weißt du, Michael´, wieder-holte er fast wörtlich ein Argument, das er mir gegenüber schon mehrmals angeführt hatte, `es kommt darauf an, alles zu tun, um Leonid Iljitsch auch in dieser Situation zu unterstützen. Es ist eine Frage der Stabilität in der Partei und im Staat, außerdem aber eine Frage der internationalen Stabilität´“ [vergleiche: Gorbatschow, Michael: Erin- nerungen. Aus dem Russischen von Igor Petrowitsch Gorodetzki, 1996, S. 180]. Zum Glück folgte den kranken Männern an der Moskwa 1985 Michael Gorbatschow, und der Welt blieb im Schicksalsjahr 1989 ein kranker und geistig verwirrter Staatsmann an der Spitze der Sowjetunion erspart.

Der heimlich Kranke

Nachdem François Mitterand (1916–1996) im Jahre 1981 triumphal die Präsidentenwahl gewonnen hatte, wurde ihm noch im selben Jahr die Diagnose mitgeteilt, dass er an Prostatakrebs leidet. Der erste sozialistische Staatspräsident der Fünften Republik hielt seine Erkrankung aber fast bis zum Ende seiner Amtszeit geheim. Verständlicherweise verschwieg der Präsident der Republik seine Krankheit.

Für das Ziel, in das Palais l´Élysée einzu- ziehen, hatte Mitterrand lange gekämpft. Bereits 1965 war er gegen Charles de Gaulle angetreten, aber damals deutlich unterlegen. Die Demokratie macht es einem Politiker noch schwieriger, zu einer Krankheit zu stehen. Der legitime Wunsch der Bevölkerung nach einem gesunden Staatsführer birgt die Gefahr der Abwahl, wenn eine ernsthafte Krankheit bekannt wird. Als im Jahr 1988 die Wiederwahl Mitterrands anstand, zog der Präsident mit dem Motto „la France Unie“ in die Wahlschlacht. Es ist gut möglich, dass die Franzosen in Kenntnis der Krankheit eher dem Konser- vativen Jacques Chirac den Vorzug gegeben hätten. Die Wahl wurde ein großer Sieg für Mitterrand, der im zweiten Wahlgang 54,02 Prozent erhielt.

Vielleicht wurde Mitterrands Politik in ganz besonderer Weise dadurch geprägt, weil ihm bewusst war, todkrank zu sein. Erst kurz vor Ablauf seiner zweiten Amts- periode wurde sein Leiden publik. Kontrovers wurde die Erkrankung des ehemaligen Präsidenten diskutiert, als der Leibarzt Mitterrands, Claude Gubler, 1996 in einem Buch – die ärztliche Schweigepflicht brechend – detailliert über das Krebsleiden berichtete und die Behauptung aufstellte, der Präsident sei spätestens seit 1994 amtsunfähig gewesen. Obwohl die ehemaligen politischen Mitstreiter der Auffassung Gublers klar widersprachen, wurde in der Folge in der französischen Öffentlichkeit über die Frage gestritten, wie viel Privatsphäre einem Politiker zusteht und inwieweit die Abwahl eines Präsidenten verfassungsrechtlich zulässig ist.

In der modernen Demokratie sollte Krankheit kein Grund für das politische Aus sein. Die Chance, sich eine Pause zu gönnen und dann gesund weiterzumachen, muss auch Politikern zugestanden werden. Auch ein ehrenvoller Abschied sei gestattet. Leider gibt es auch in unserem Land immer noch Beispiele, wo kranken Politikern der Ausstieg, sei es aus Mangel an Alternativen oder aus falsch verstandener Eitelkeit, verwehrt ist.

Kay LutzeLievenstr. 1340724 Hildenkaylutze@ish.de

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