Primär progressive Aphasie

Wenn das Sprachvermögen langsam schwindet

Eine Erkrankung, die den Medizinern noch reichlich Rätsel aufgibt, ist die primär progressive Aphasie, kurz PPA genannt. Es kommt dabei zu einer schleichend einsetzenden, sich über Jahre hinweg progressiv entwickelnden Sprachstörung. Effektive Therapieformen gibt es bislang nicht. Sie sind zudem schwer zu etablieren, da es noch an standardisierten Methoden fehlt, mit denen sich die Krankheitsprogression objektiv fassen lässt.

Ein progressiver Sprachverlust kennzeichnet die primär progressive Aphasie. Die Patienten weisen in den ersten Krankheitsjahren weder kognitiven Einbußen noch Verhaltensauffälligkeiten oder neurologische Symptome auf, berichtet Bradford C. Dickerson aus Boston [J. Mol Neurosci, DOI 10,1007/ s12031-011-9534-2] in einer Übersichtsarbeit zur PPA. Nach Angaben des amerikanischen Neurologen wird vermutet, dass die Erkrankung den frontotemporalen Lobärdegenerationen (FTLD) zuzuordnen ist, die eine wesentliche Ursache der Entwicklung einer Demenz vorm 65. Lebensjahr darstellen.

Behandlungsmöglichkeiten noch nicht in Sicht

Die Erkrankung kann damit möglicherweise mit dazu beitragen, die Hintergründe anderer neurodegenerativer Störungen zu erhellen, vermutet Dickerson. Eine Intensivierung der Forschungsaktivitäten zur PPA hält er für dringend geboten, nicht zuletzt, weil die Erkrankung die Betroffenen wie auch deren Familien extrem belastet.

Bislang fehlen nach Dickerson wirksame Therapieoptionen gegen die primär progressive Aphasie. „Es hat sich noch keine der untersuchten Therapieformen als effektiv erwiesen“, bedauert der Neurologe. Die Suche nach Behandlungsmöglichkeiten wird aus seiner Sicht dadurch erschwert, dass es ebenfalls an Instrumenten fehlt, mit denen sich die Sprachstörung in ihrem Verlauf konkret fassen lässt. Solche Instrumente aber wären notwendig, um eine potenzielle Verlaufsbesserung in klinischen Studien dokumentieren zu können.

Das Sprechen macht zunehmend Mühe

Analog der Alzheimer-Demenz verläuft die PPA nach Dickerson in charakteristischen Phasen, wobei die Neurodegeneration zunächst asymptomatisch bleibt und erst mit ihrem Fortschreiten erste Symptome auffällig werden. Mit dem zunehmenden Sprachverlust manifestiert sich wahrscheinlich auch eine milde kognitive Einschränkung (MCI, mild cognitive impairment), ehe es schließlich zur völligen Aphasie und zur Demenz kommt.

In der Frühphase der PPA beschreiben die Patienten, dass ihnen das Sprechen zunehmend Mühe bereitet, sie können aber durchaus Sprech- und Sprachtests erfolgreich durchführen. „Diese Phase kann bei einigen Patienten Jahre dauern“, so Dickerson. Im weiteren Verlauf werden die Patienten dann in psycholinguistischen Testverfahren auffällig, es macht ihnen mehr und mehr Probleme, Dinge zu benennen, und die verbale Fluidität lässt nach. In diesem Krankheitsstadium sind die Betreffenden meist jedoch weiter in der Lage, ihre komplexen Alltagsaktivitäten zu bewältigen. Auch in neuropsychologischen Tests schneiden sie normal ab.

Nach dem Sprachverlust droht die Demenz

Das gilt auch für kognitive Leistungstests, in denen es nicht um die Sprache, sondern beispielsweise um Gedächtnisleistungen geht. Dennoch ist nach Meinung des Neurologen davon auszugehen, dass zu diesem Zeitpunkt bereits eine umfassende Neurodegeneration Platz gegriffen hat. Diese führt schließlich zum Auftreten kognitiver Leistungseinbußen, von Verhaltensauffälligkeiten und schließlich zu einer manifesten Demenz. Es wird deshalb auch von einer aphasischen Demenz gesprochen oder von der „PPA-plus“.

Wünschenswert wären nach Dickerson Medikamente, die neuroprotektiv wirksam sind und quasi als „disease modifying drugs“ den Krankheitsprozess aufhalten. Es müsste dann wie auch bei anderen neurodegenerativen Störungen darum gehen, möglichst eine Frühtherapie zu etablieren, um rechtzeitig Funktionsverlusten entgegenzuwirken.

Das aber setzt voraus, dass nicht nur die Frühdiagnostik verbessert wird, sondern auch die Verlaufsbeobachtung. „Wenn wir eine Verlangsamung der Neurodegeneration nachweisen wollen, brauchen wir Instrumente, die die Schwere der Störung erfassen und die Dokumentation eines Funktionsabfalls erlauben“, erläutert Dickerson. Fortschritte in dieser Richtung sind nach seinen Angaben hauptsächlich in der Bildgebung zu erwarten.

Hoffnung auf neuroprotektive Therapiansätze

Dickerson geht zudem davon aus, dass sich innerhalb des kommenden Jahrzehnts auch effektive Therapieformen werden etablieren lassen. So sind Fortschritte vor allem bei spezifischen Formen der Sprach- und Sprechtherapie zu erwarten, die speziell zur Behandlung der PPA entwickelt werden. Patienten mit PPA können wahrscheinlich außerdem von den intensiven Bemühungen bei der Entwicklung neuroprotektiver Wirkstoffe für die Behandlung anderer neurodegenerativer Erkrankungen wie etwa der frontotemporalen Demenz profitieren.

Ferner wird nach Dickerson intensiv nach molekularen Veränderungen bei der PPA gesucht, die dann wiederum als Target für die Entwicklung spezifischer Therapieformen gelten können.

Christine VetterMerkenicher Str. 22450735 Köln

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