Leitartikel

Wunsch oder Wirklichkeit

Sehr geehrte Frau Kollegin,

sehr geehrter Herr Kollege,

was uns die Politik nach weit über zwei Jahrzehnten Wartens, Hoffens und Kämpfens jetzt als GOZ-Novelle vorgesetzt hat, entspricht weder unseren Vorstellungen von einer nachhaltigen zahnmedizinischen Versorgung, noch berücksichtigt es nach Jahren des Stillstands auch nur in Ansätzen unsere zahnärztlichen Interessen. Mit den Wünschen unseres Berufsstandes, der seine Eingaben auf Basis der wissenschaftlich erarbeiteten, geprüften und anerkannten Honorarordnung für Zahnärzte gemacht hatte, hat diese Form politischer Wirklichkeit nichts zu tun. Kompromisse, soweit sie von uns im Rahmen der beratenden Gespräche überhaupt abgefragt wurden, konnten in den vergangenen Jahren immer nur rein systemisch-wissenschaftlicher Art sein. Mehr war nicht drin.

Dass eine reelle Anpassung an die Preis- und Kostenentwicklung in dieser Reform fehlt, haben wir – egal gegenüber wem – immer wieder deutlich gemacht. Natürlich werden wir in den nächsten Wochen, in denen dieser Verordnungsentwurf in den Ländern und im Bundesrat beraten wird, diese Argumentation keinesfalls aufgeben.

Das muss und wird dem Bundesgesundheitsministerium nicht gefallen. Es kommt aber für die Politik nicht überraschend. Und wird von uns auch nicht anders erwartet. Auch für die Zahnärzteschaft kam dieser Entwurf nicht überraschend. Denn leider wurden die in den vergangenen Monaten immer wieder betonten Argumente fiskalischen Drucks und mangelnder politischer Machbarkeit durch die allgemeinwirtschaftliche Entwicklung zusätzlich gestützt.

So bitter kann Realpolitik sein. Wissen muss man – und gerade in den zurückliegenden Tagen haben sowohl SPD wie auch Grüne deutliche Hinweise dafür gegeben –, dass diese Minimalreform wohl die letztmögliche vor einer politisch zugespitzten Situation ist, die den Absturz in eine radikale Angleichung der privaten und gesetzlichen Versicherungssysteme schaffen wird. Dass wir Zahnärzte den Tabubruch „Öffnungsklausel“ verhindert haben, ist etwas, wofür uns Deutschlands Ärzteschaft – so sie nicht davon profitiert – vielleicht noch beneiden wird. Mit einer GOÄ unter rot-grünen Vorzeichen drohen ganz andere Gefahren. Solche Erdrutsch-Katastrophen haben wir vorerst abgewehrt.

Um so absurder ist es, dass Teile der Zahnärzteschaft mit einer bewusst zur Schau getragenen Radikalablehnung gerade diesen Ausweg aus der Misere noch gefährden. Halten wir es uns doch real vor Augen: Wer heute die Möglichkeit dieser Minimalreform zerstört, ebnet damit keinen Weg zurück, der aus einer Warteschleife der Ahnungslosigkeit zu neuen, besseren Kompromissen führt. Ganz anders: Wer heute totalverweigert, findet nicht einmal mehr dem Weg zurück zum von uns allen mit Recht kritisierten rot-schwarzem Vorschlag aus der Ära Ulla Schmidt. Vielmehr wird man in Kauf nehmen müssen, dass vom Gedanken der Bürgerversichung geprägte Prämissen ein Mischsystem aus PKV und GKV bewirken. Private Gebührenordnungen heutigen Verständnisses wären dann Schnee von Gestern.

Dass ein Teil der deutschen Zahnärzteschaft – kurz vor den anstehenden Wahlen des FVDZ-Bundesvorstandes in der Hauptversammlung in Karlsruhe – diese unter uns Zahnärzten abgesprochene gemeinsame Grundhaltung verlässt, irritiert die politischen Kreise, die sich auf argumentativ gut gestützte Verbesserungsvorschläge von unserer Seite eingestellt hatten. Dass das nicht nur nennenswerte Verbesserungen gefährdet, die auf dieser Ebene durch gute fachliche Argumention noch mit ins Portfolio genommen worden wären, ist dabei noch das geringere Übel.

Die kommenden Wochen werden in der Rückschau sicherlich keine Sternstunden für Deutschlands Zahnärzteschaft darstellen. Aber politischer Verstand ist gefordert, damit wir uns durch inneren Zerfall nicht den Weg in eine von uns noch gestaltbare Zukunft verbauen. Das ist mein Wunsch für die künftige Wirklichkeit des Berufsstandes.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Dr. Peter EngelPräsident der Bundeszahnärztekammer

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