Repetitorium

Nierenerkrankungen

Während Herz und Lunge im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, führt die Niere im medizinischen Alltag und auch im öffentlichen Bewusstsein eher ein Schattendasein. Die Möglich-keiten der Prävention werden noch zu wenig genutzt und auch bei der Früherkennung von Nieren-erkrankungen könnte einiges besser laufen.

AnllisslJch des weltnlerentages am 10. Miirz. der in diesem Jahr unter dem Motto "Nierenschutz in Herzenssache" stand, ist die Nierengesundheit etwas stårker in den Fokus der Offentlichkeit gelangt Davon abgesehen tinden mOglJche Nierenfunk· tionssilirungen nachAnsicht vieler Experæn zu wenig Beachtung. Denn wiihrend Blutdruckmessung und EKG und zunehmend auch das Messen der Lungenfunktlon längst medizinischer Alltagsind,werdendie Chancen einfacher Urinuntersuchungen zur Früherkennung von Nierenschäden nochzu wenig genutzt.

Hobes präeventives Potenzial

Dabei entwickeln jåhrtich rund 16000 Menschen in Deutschland eine termlnele Nierenerkrankung undsindaufeineDialysebehandlung odereine Nierentransplantation angewiesen. "Wiirden wir Nephrologen friiherzu Diagnostik und Therapie hinzugezogen, sa kOnnte manchem Patienten die Dialyse erspart oder ihre Notwendigkeit zumindest fiber Jahre hinausgez6gert werden'", berichtet Praf. Dr. Jan Galle aus Ulden.scheld als Sprecher der Deutschen Gesell.schaft fUr Nephrologie.

Denn das priiventiYe Potenzial ist bei Nierenerkrankungen groB. pæ liegt unter anderem daran, dass rund 60 Prozent der Patlenten, die dlalysepfl1chtlg werden, die Niereninsuffizlenz aut dem Boden eines Diabetes oder einer Hypertonie entwickeln. Durch rechtzeitige Urlntests hitte sich bei ihnenlautGalle inaller Regel diebeginnende Nierenerkrankung erkennen- und hliufig durch Konsequenzen bei der Therapie auch gunstig beeinflussen lassen.

Aufgaben der Niere

Bel den Nieren handelt es slch um paarig angelegte, bohnenffinnig gefonnte, sehr leistungsstartæ Organe. Die gesuden Neiren sind je nach Körpergröße des Menschen etwa neun bis zwölf Zentimeter lang und wiegen zusammen rund 300 Gramm. Sie sind sehr gut durchblutet, wobei täglich rund 1 000 Liter Blut die beiden Organe durchströmen. Sie filtern daraus pro Tag rund 170 Liter Primärharn.

Die Nieren haben vielfältige Aufgaben: Sie sind für die Ausscheidung von Schlacken und Schadstoffen aus dem Körper verantwortlich. Außerdem regeln sie den Flüssigkeitswie auch den Mineralstoff-Haushalt und steuern damit auch die Konzentration von Natrium, Kalium, Kalzium und Phosphat in den Körperflüssigkeiten. Damit unterliegt auch der Säure-Basen-Haushalt der Kontrolle durch die Nieren. Diese bilden ferner Hormone respektive Gewebshormone wie das Renin und das Erythropoetin und nehmen damit direkt Einfluss auf die Blutdruckregulation sowie die Bildung der Erythrozyten im Knochenmark, die durch Erythropoetin stimuliert wird.

Enge Assoziation zwischen Herz und Niere

Die Früherkennung einer Nephropathie ist aus zweifacher Hinsicht wichtig: Durch eine frühe Diagnosestellung kann eine weitere Nierenschädigung und damit der weitere Funktionsverlust des Organs aufgehalten werden. Andererseits ist die Niere quasi das „Fenster zu den Gefäßen“ und es besteht eine enge Assoziation zur Herz- und Gefäßgesundheit. So triggern Nierenschäden offenbar auch Schädigungen im Bereich des Herz-Kreislauf-Systems, was sich in einer deutlich erhöhten kardiovaskulären Mortalität bei Menschen mit manifester Nierenerkrankung niederschlägt.

Ein Problem der Früherkennung einer chronischen Nierenerkrankung besteht zudem darin, dass sich die Nierenschädigung in aller Regel langsam und von den Betreffenden unbemerkt vollzieht. Schätzungen zufolge weist jeder Zehnte in Europa eine Nierenerkrankung im Frühstadium auf, wobei die meisten Betroffenen hiervon jedoch nichts wissen.

Dagegen nimmt sich die Rate der Patienten, die eine Dialysebehandlung erfahren, mit 0,2 Prozent auf den ersten Blick gering aus. Die Diskrepanz ist jedoch laut Galle leicht zu erklären: Die Mehrzahl der Patienten mit progredienter Nierenerkrankung verstirbt, bevor die Betreffenden das Stadium einer Dialysepflichtigkeit erreicht haben. Ursache dieses Phänomens dürfte wesentlich das bei den Nierenkranken deutlich erhöhte kardiovaskuläre Risiko darstellen. Denn die Rate von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz gegenüber Nierengesunden um das 20- bis 30-Fache erhöht.

Abschätzen lässt sich die kardiovaskuläre Gefährdung nach einer Untersuchung des „Chronic Kidney Disease Prognosis“-Konsortiums anhand von zwei einfach zu erhebenden Funktionsparametern der Niere, der glomerulären Filtrationsrate sowie der Albuminausscheidung mit dem Urin.

Glomeruläre Filtrationsrate

Mit der glomerulären Filtrationsrate, kurz GFR, wird das Gesamtvolumen des Primärharns bezeichnet. Es liegt beim Gesunden im Mittel bei 170 Litern pro Tag, nimmt allerdings mit zunehmendem Alter kontinuierlich ab. Die GFR ist zudem blutdruckabhängig, da letztlich der Blutdruck als treibende Kraft bei der Filtrationsleistung fungiert. Die GFR wird näherungsweise über die Kreatinin-Clearance bestimmt, also über die Ausscheidung der Markersubstanz Kreatinin pro Zeiteinheit. Die Kreatinin-Clearance liegt bei einem gesunden Mann im Alter von etwa 25 Jahren bei 95 bis 140 ml/min/1,73 m2. Sie nimmt bis zum Alter von 50 Jahren auf 70 bis 115 ml/min/1,73 m2 und bis zum 75. Lebensjahr im Mittel auf 50 bis 80 ml/min/1,73 m2 ab. Bei Frauen sind die Werte jeweils etwas niedriger. Ist die Nierenfiltrationsrate geringfügig, also nur auf 75 bis 105 ml/min/1,73 m2 eingeschränkt, so ist dies nicht mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert. Anders sieht das bei stärkerem Rückgang der Werte aus: Eine Einschränkung auf 60 ml/min/1,73 m2 ist entsprechend der vorliegenden Daten als unabhängiger Risikofaktor anzusehen und geht mit einer erhöhten kardiovaskulären Mortalität und auch ganz allgemein mit einer erhöhten Gesamtsterblichkeit einher.

Der zweite wichtige Parameter ist die Proteinausscheidung mit dem Urin. Ist sie erhöht, so wird dies als Proteinurie oder auch als Albuminurie bezeichnet. Als physiologisch wird allgemein eine Proteinausscheidung bis 20 mg täglich angesehen. Wird dieser Wert anhaltend überschritten, ist von einer Nierenschädigung auszugehen. Bei einer Ausscheidung von 20 bis 200 mg Albumin pro Tag wird üblicherweise von einer Mikroalbuminurie gesprochen, bei Werten darüber von einer Albuminurie. Auch bei der Albuminurie besteht ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko.

Die Werte von Albumin und Kreatinin las-sen sich als Albumin-Kreatinin-Quotient zusammenfassen, was die Abschätzung der Gefährdung erleichtert: Liegt der ermittelte Wert oberhalb von 30 mg/g, so liegt eine chronische Nierenerkrankung vor und es besteht ein um rund 50 Prozent erhöhtes Mortalitätsrisiko.

Chronische Niereninsuffizienz

Kommt es zu einem überproportionalen Rückgang der GFR, so mündet dies in aller Regel in einer chronischen Niereninsuffizienz und schließlich im Nierenversagen. Dieser Prozess vollzieht sich langsam schleichend und bleibt für die Betroffenen damit lange unbemerkt. Erst im fortgeschrittenen Stadium kommt es zu Symptomen wie einer chronischen Müdigkeit, einer zunehmenden Braunfärbung der Haut, einem Juckreiz sowie einer Anämie und schließlich zu einer hellen Urinfarbe und häufigem nächtlichem Wasserlassen. Als Alarmsignal sind erkennbares Blut im Urin zu werten sowie Ödembildungen im Knöchelbereich und im Gesicht.

Wegen der häufig erst spät gestellten Diagnose einer Nierenfunktionsstörung plädieren führende Nephrologen für stärkere Bemühungen um eine Früherkennung der Erkrankung. Sie fordern regelmäßige Kontrolluntersuchungen bei Patienten mit Diabetes, solchen mit Hypertonie, aber auch bei Menschen mit Übergewicht, bei Rauchern, bei Menschen jenseits des 50. Lebensjahres und bei all jenen mit familiärer Vorbelastung.

Eine chronische Nierenerkrankung liegt nach einer international akzeptierten Definition der Amerikanischen Nierenstiftung „National Kidney Foundation“ vor, wenn eine Proteinurie oder eine Mikroalbuminurie besteht oder die GFR unter 60 Prozent der Norm abgefallen ist oder wenn bei bildgebenden Verfahren krankhafte Veränderungen festgestellt werden und diese Parameter jeweils länger als drei Monate manifest sind. Anhand des Ausmaßes des GFR-Abfalls sowie der Eiweißausscheidung lässt sich die Nierenerkrankung in fünf Stadien unterteilen bis hin zum Stadium 5, dem chronischen Nierenversagen.

Dieses liegt vor, wenn die chronische Niereninsuffizienz in das Terminalstadium übergeht, wenn es also zum Absinken der Nierenfunktion unter 15 Prozent der Norm kommt, was in etwa einer GFR von 15 ml/min/1,73 m2 entspricht. Folgen einer chronischen Niereninsuffizienz sind Störungen des Kalziumund des Phosphatstoffwechsels sowie des Vitamin-D-Haushalts mit entsprechenden Störungen des Knochenmetabolismus und gegebenenfalls der Ausbildung einer renalen Osteopathie. Den Patienten droht ferner die Azidose, da Stoffwechsel-Abbauprodukte nicht oder nur noch unzureichend ausgeschieden werden können.

Ursachen der Insuffizienz

Die häufigsten Ursachen für die Entwicklung einer Niereninsuffizienz sind ein Diabetes mellitus sowie eine Hypertonie, in deren Gefolge eine Nephropathie auftritt. Als Ursache kommen ferner Immunerkrankungen in Betracht, angeborene Störungen wie eine Zystenniere, Urinabflussstörungen durch eine Verengung der ableitenden Harnwege sowie Schädigungen infolge von Medikamenten oder Drogen.

Halten die schädigenden Einflüsse wie etwa Entzündungsprozesse oder Urinabflussstörungen über längere Zeit an, so forciert dies – ebenso wie die durch Risikofaktoren wie Diabetes und Bluthochdruck induzierte Arteriosklerose – die Schädigung der kleinen Blutgefäße in den Nierenkörperchen. Das leistet der Krankheitsprogression bis hin zum chronischen Nierenversagen Vorschub.

Wodurch das chronische Nierenversagen bedingt ist, lässt sich vor allem bei Dialysepatienten eruieren. Mit 23 Prozent ist am häufigsten dabei ein Typ-1-Diabetes festzustellen, so heißt es in einem Bericht der Organisation „Quasi Niere“. Das chronische Nierenversagen ist Folge der diabetischen Nephropathie, einer Folgekomplikation der Stoffwechselerkrankung und der dadurch bedingten Entzündungen und Gefäßveränderungen, die unter anderem die Nieren betreffen. Rund 40 Prozent der Menschen mit Diabetes entwickeln eine solche Nephropathie, weshalb der Test auf eine Mikroalbuminurie zu den regelmäßigen Kontrolluntersuchungen des Krankheitsbildes gehört. Bei den Krankheitsursachen bei Dialysepatienten folgt an zweiter Stelle mit 20 Prozent die Glomerulonephritis, also entzündliche Veränderungen der Glomeruli. Zu unterscheiden ist hierbei die primäre, durch Autoimmunprozesse bedingte und die sekundäre, durch andere Ursachen wie Infektionen oder Schadstoffe verursachte Glomerulonephritis.

Weitere Ursachen sind mit 15 Prozent der Fälle eine vaskuläre Nephropathie und mit 13 Prozent eine interstitielle Genese. Deutlich seltener finden sich bei Dialysepatienten eine Zystenniere oder Systemerkrankungen wie ein Lupus erythematodes.

Ihre Behandlung

Wird eine Nierenschädigung festgestellt, so kann dem Fortschreiten der Erkrankung vor allem durch allgemeine Maßnahmen vorgebeugt werden. Dazu gehören eine Normalisierung des Körpergewichts, regelmäßige körperliche Bewegung sowie die Raucherentwöhnung. Wird dies beherzigt, so wird zugleich dem erhöhten kardiovaskulären Risiko entgegengewirkt.

Darüber hinaus ist eine konsequente Blutdruckkontrolle unerlässlich, wobei Wirkstoffe wie die ACE-Hemmer und die Angiotensin-2-Antagonisten, die das Renin-Angiotensin-System (RAS-System) blockieren, als Mittel der Wahl gelten.

Dialysebehandlung und Transplantation

Kommt es zum Nierenversagen, so ist eine Dialysebehandlung erforderlich, die quasi als Nierenersatztherapie zumindest Teilfunktionen der Nieren maschinell ersetzt. Das Verfahren, das erstmals 1924 angewandt wurde, kann in akuten Fällen bei entsprechenden Vergiftungserscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen, Juckreiz, zunehmende Müdigkeit und Schwächegefühl notfallmäßig notwendig werden oder auch als dauerhafte regelmäßige Behandlung bei Patienten mit chronischem Nierenversagen.

Derzeit wird in Deutschland jährlich bei mehr als 12 000 Patienten eine Dialysebehandlung neu begonnen und es werden nach Angaben des Kuratoriums für Dialyse und Nierentransplantation (KfH) insgesamt rund 67 000 Menschen regelmäßig dialysiert. Bei der Behandlung werden im Dialysator harnpflichtige Schlackenstoffe sowie überschüssiges Wasser aus dem Blut des Patienten herausgewaschen und aus dem Körper entfernt, wodurch das Verfahren auch den Namen „Blutwäsche“ erhalten hat.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Dialyse wie die Hämodialyse an der Maschine, bei der die eigentliche Blutreinigung außerhalb des Körpers erfolgt, und die Peritonealdialyse, bei der das körpereigene Bauchfell als Filterstation genutzt wird. Beide Verfahren können in einem Dialysezentrum oder auch als Heimdialyse erfolgen. Sie bewirken eine effektive Entgiftung des Blutes, können aber die Nierenfunktion nur teil-weise ersetzen, sodass Patienten an der Dialyse noch einer umfassenden medikamentösen Behandlung bedürfen.

Eine weitere Option beim chronischen Nierenversagen stellt die Nierentransplantation dar, wobei laut KfH zurzeit etwa 24 000 Menschen in Deutschland mit einer neuen Niere leben. Die Nierentransplantation stellt laut KfH ein etabliertes Verfahren dar, der Eingriff kann in Deutschland flächendeckend durchgeführt werden. Die erste Nierentransplantation erfolgte hierzulande 1963, derzeit werden rund 2 700 Eingriffe jährlich vorgenommen. Neben der Übertragung eines Spenderorgans von Unfallopfern ist bei der Niere auch die Lebendspende möglich, die allerdings an eine Reihe gesetzlicher Vorgaben gebunden ist.

Christine VetterMerkenicher Str. 22450735 Köln

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