Arzneimittelfälschungen

Tendenz steigend

Die Zahl der Arzneimittelfälschungen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Imitiert werden zunehmend auch lebensnotwendige Medikamente. Da die Plagiate nicht die notwendigen Qualitätsund Sicherheitskontrollen durchlaufen, können sie eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit darstellen. Selbst seriöse Apotheken sind nicht davor gefeit, dass betrügerische Ware in ihren Regalen landet. Die EU will mit verschärften Sicherheitsanforderungen und Kontrollmechanismen ein weiteres Ausufern verhindern. Die Regeln gelten auch für den Internethandel.

Bei Arzneimittelfälschungen geht es um enorm viel Geld. Die Gewinnspannen für gefälschte Medikamente sind um ein Zigfaches höher als im Drogen- und Waffenhandel oder beim Zigarettenschmuggel. Ein Kilogramm eines Plagiats des Potenzmittels Viagra zum Beispiel bringt nach Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) auf dem Schwarzmarkt bis zu 100 000 Euro ein. Ein Kilogramm Heroin kostet dagegen „nur“ rund 35 000 Euro.

Das Geschäft lohnt sich für die Betrüger auch dann, wenn sie die Produkte in die legale Vertriebskette einschleusen. Jüngstes Beispiel hierfür sind die rund 10 000 Verpackungen von HIV-Präparaten, die als illegale Reimporte in deutschen Apotheken gelandet sind. Die Gewinne sollen sich hier im zweistelligen Millionenbereich bewegen.

Apotheken kaum betroffen

Dass gefälschte Arzneimittel über Apotheken an die Verbraucher gelangen, ist in Deutschland – anders als in anderen EUStaaten, wie in Großbritannien mit seinen zahlreichen Apothekenketten – allerdings selten. Die Fälschungsrate der über Pharmazien verkauften Medikamente liegt hierzulande nach Angaben des Zentrallabors Deutscher Apotheken bei unter einem Prozent. Seit 1996 haben die Ermittlungsbehörden nach Angaben des BKA insgesamt 40 Fälle aufgedeckt, bei denen Arzneimittelfälschungen über deutsche Apotheken abgegeben wurden. Dennoch geht die Weltgesundheitsorganisation davon aus, dass bereits zehn bis zwölf Prozent aller Arzneimittel in Industrienationen Fälschungen sind – Tendenz steigend. Dies lässt sich auch an der Zahl der von den europäischen Fahndungsbehörden sichergestellten Produkte festmachen. 2009 beschlagnahmte der europäische Zoll mehr als 34 Millionen gefälschte Tabletten beziehungsweise rund neun Millionen Verpackungen. Das waren rund 400 Prozent mehr als 2005.

Dubioser Internethandel

Der Großteil der Imitate wird über dubiose Internetseiten verkauft. Innerhalb der Europäischen Union erlauben derzeit nur sechs Staaten den Onlinehandel mit Medikamenten. Dies sind Deutschland, Dänemark, die Niederlande, Portugal, Schweden und Großbritannien. Im vergangenen Jahr wurden im Rahmen einer internationalen Aktion unter Beteiligung des BKA und anderer deutscher Behörden rund 100 Internetseiten identifiziert, auf denen mutmaßliche deutsche Anbieter illegale Arzneimittel zum Verkauf angeboten haben.

Patienten können bei der Bestellung über das Internet vor allem Kosten sparen. „Die Preise liegen zum Teil um zehn bis 25 Prozent unter den offiziellen Apothekenpreisen“, berichtet Prof. Dr. Roland Gugler von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. Illegale Quellen unterscheiden sich durch den legalen Versandhandel außerdem dadurch, dass sie verschreibungspflichtige Medikamente auch ohne Rezept versenden.

Die Bandbreite der Fälschungen umfasst Totalplagiate, Medikamente mit Qualitätsmängeln bei den verarbeiteten Stoffen bis hin zu Arzneimitteln mit falschen Angaben über die Wirkstoffzusammensetzung. Die Substanzen oder Präparate stammen nach Aussage eines Sprechers des Zollkriminalamts (ZKA) in Köln in der Regel aus Asien (vornehmlich China) oder Osteuropa.

Das Geschäft ist für die Betrüger zudem so reizvoll, weil sie kaum Gefahr laufen, entdeckt zu werden. Zufallsfunde sind in der Branche selten. Die Fahnder sind in der Regel auf Tipps im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder durch die Pharmaindustrie angewiesen. Außerdem lässt sich ein Zusammenhang zwischen der Einnahme eines gefälschten Arzneimittels und einer Gesundheitsstörung oder gar dem Tod eines Menschen nur schwer bis gar nicht feststellen. „Wenn zum Beispiel ein Patient, der an einer tödlichen Krankheit gelitten hat, verstirbt, fragt keiner, ob eventuell das Medikament, das er eingenommen hat, hierfür verantwortlich ist“, sagt Holger Kriegeskorte vom BKA.

Über Grenzen hinweg

Erschwerend kommt für die Fahnder hinzu, dass die Fälscher in der Regel in organisierten Strukturen und über Staatsgrenzen hinweg zusammenarbeiten. „Wir stellen einen Trend fest, wonach die Täter nicht nur die Wirkstoffe kaufen, sondern die Fälschungen auch selbst herstellen und vertreiben, mitunter sogar unter einem eigenem Label“, so Wolfgang Schmitz, Sprecher des ZKA. Anders als legale Arzneimittel durchlaufen derartige Produkte keinerlei Zulassungskontrollen hinsichtlich ihrer Sicherheit oder Wirksamkeit.

Verschärfte EU-Regeln sollen künftig verhindern, dass die Zahl der Arzneimittelfälschungen weiter steigt. Mitte Februar verabschiedete das Europäische Parlament eine entsprechende Richtlinie. Sie sieht vor, dass die Hersteller rezeptpflichtige Arzneimittel spätestens ab 2016 mit codierten Sicherheitsmerkmalen versehen müssen. Für frei verkäufliche Produkte sollen die Regeln nur gelten, wenn für die entsprechenden Produkte ein Fälschungsrisiko nachweisbar ist.

„Es macht keinen Sinn, verhältnismäßig preiswerte Medikamente, die keinen Anlass zur Fälschung bieten, mit aufwendigen Sicherheitsmerkmalen auszustatten“, so der gesundheitspolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei (EVP/Christdemokraten), Dr. Peter Liese.

Ein solches Sicherheitsmerkmal könnte beispielsweise eine Serialisierungsnummer sein, die als 2-D-Barcode in der Apotheke eingelesen werden kann. Über die genaue technische Ausgestaltung der Merkmale muss die EU-Kommission noch entscheiden. Pilotprojekte in Schweden und Deutschland verliefen bereits recht Erfolg versprechend. „Der Großhandel wird außerdem dazu verpflichtet, künftig die Chargennummern zu dokumentieren“, erklärt Axel Thiele vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Die Kosten für das Aufbringen der Sicherheitsmerkmale durch die Hersteller belaufen sich nach Angaben der EUKommission auf schätzungsweise sechs bis elf Milliarden Euro.

Schnellwarnsystem

Der Apotheker soll beim Einscannen der Arzneimittel über den Abgleich mit einer Datenbank erkennen können, ob es sich um ein legales oder um ein gefälschtes Produkt handelt. Über ein Schnellwarnsystem sollen Fälschungen innerhalb von 24 Stunden aus dem Verkehr gezogen werden können.

Internetapotheken müssen sich der EURichtlinie zufolge künftig bei den zuständigen nationalen Behörden zertifizieren lassen. „Seriöse Onlineapotheken sollen für den Verbraucher durch ein EU-weit einheitliches Logo erkennbar sein“, so die SPD-Europaabgeordnete Dagmar Roth-Behrendt. Wie dieses Logo aussehen wird, entscheidet die EU-Kommission. Die EU-Regeln sehen indes, anders als ursprünglich von der EUKommission geplant, keine speziellen Auflagen für den Parallelhandel vor.Die Mitgliedstaaten sind mit der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht dazu verpflichtet, Sanktionen bei Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften einzuführen. Arzneimittelfälschungen gelten nach dem deutschen Arzneimittelgesetz bereits jetzt schon als Straftat. Andere europäische Länder handhaben diese Art der Wirtschaftskriminalität bislang weniger streng.

Ob die Regelungslücken durch das neue EU-Gesetz geschlossen werden können, wird sich frühestens 2013 zeigen. Denn der Ministerrat muss dem Regelwerk im Mai erst noch formal zustimmen. Nach der Veröffentlichung der Vorschriften im Amtsblatt haben die Regierungen dann weitere 18 Monate Zeit, entsprechende nationale Gesetze zu erlassen. Wann wiederum die EU-Kommission einen Vorschlag für ein EU-Siegel für den Internetversandhandel vorlegen wird, ist offen.

Petra SpielbergChristian-Gau-Str. 2450933 Köln

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