Gastkommentar

Ein Markt für alle

Heftarchiv Meinung
Das tabubrechende Votum des CDU-Abge-ordneten Jens Spahn zur Abschaffung der PKV muss kein unab- gestimmter Alleingang jenseits der Parteiräson sein, vermutet die Fachjournalistin Dr. Jutta Visarius vom LetV-Verlag.

Politiker fühlen in sich offensichtlich – freundlich ausgedrückt – einen unbändigen Gestaltungsdrang, den sie seit Jahren auch im Gesundheitswesen ausleben. Gesundheitsökonomen haben ihnen Begründungen für den Aktionismus geliefert: die demografische Entwicklung und den medizinisch-technischen Fortschritt.

Diese Schlagworte sind wie eherne Wahrheiten in die Köpfe gehämmert, obwohl nur Prognosen. Niemand weiß mit Stand heute, wie die demografische Entwicklung tatsächlich ablaufen wird, wie sie sich auswirkt. Ebenso weiß keiner, ob der medizinisch-technische Fortschritt zu einer Belastung oder zu einer Entlastung der Kassen führt. Folglich muss die eigentliche Begründung für diesen Drang zur strukturellen Veränderung eine andere sein. Eine wahrlich nicht gewagte Hypothese: Ideologie und Interessen. Genau diese erscheinen als Grundintentionen von Prämie und Bürgerversicherung. Die Diskussion über diese Zielvorstellungen verfolgen wir schon seit vielen Jahren. Dennoch wird die Politik nicht müde, sie zu wiederholen.

Auch die Modelle für die Bürgerversicherung sind unterschiedlich: Die einen wollen die PKV gänzlich „abschaffen“, andere einen gemeinsamen Versicherungsmarkt. Auch die Prämienvertreter sind unterschiedlich aufgestellt, von der Vollprämie bis zur Zusatzprämie mit etlichen Varianten.

Den neuesten Vorstoß zur Neustrukturierung der Finanzierung des Gesundheitswesens hat unlängst der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsbundestagsfraktion, Jens Spahn, in einem Zeitungsinterview unternommen. Er sieht die PKV durch steigende Kosten gefährdet. Sie könne zwar jetzt an den Arzneimittelrabatten der GKV teilhaben, fordere aber weiter direkte Preisverhandlungen mit Ärzten und Zahnärzten. Die Unterschiede zur GKV würden immer mehr verwischen, PKV und GKV bewegten sich aufeinander zu. Eine Trennung der Systeme sei nicht mehr zeitgemäß, so Spahn, viele Modelle seien denkbar. Der Grundkatalog der GKV müsse erhalten bleiben, der Rest gehöre in den Bereich Zusatzversicherungen der privaten Versicherer. Über die Vergütung im ambulanten Bereich müsse man mit der Ärzteschaft (das heißt natürlich auch mit der Zahnärzteschaft) „reden“. Spahn weiter: Es gehe Christdemokraten nicht um Ideologien, Maßstab müsse die Realität sein.

Ob der junge CDU-Abgeordnete für die ganze Union spricht, mag dahingestellt bleiben. Einiges spricht aber dafür, dass dieser Vorschlag abgestimmt war. Ein gemeinsamer Markt von PKV und GKV ist ein Tabubruch in der Union, ein Tabu, das noch vor einiger Zeit vehement verteidigt wurde. Der Vorschlag von Spahn für sich genommen dürfte in der BMG-Führung nicht gerade Begeisterungsstürme hervorgerufen haben, muss Daniel Bahr der klassischen FDP-Klientel, zu dem auch die Ärzte- und die Zahnärzteschaft gehören, doch die Einkünfte aus dem PKV System sichern. Das Pfund wird er nicht aus der Hand geben wollen, ist er doch gegenüber den Forderungen der PKV nach einer Öffnungsklausel hart geblieben. Sich gegen derartige Vorstöße zur Wehr zu setzen, dürfte dem FDP Politiker im Wahlkampf in NRW gut zu Gesicht stehen. Ist das Vorpreschen von Spahn etwa eine Wahlkampfhilfe für die massiv unter Druck stehende FDP?

Man könnte die Aussagen des gesundheitspolitischen Sprechers der Union auch in eine andere Richtung interpretieren, nämlich als Zugehen auf SPD und Grüne, denn ein gemeinsamer Markt unter dem Rubrum Bürgerversicherung steht auf ihrer Agenda. Einigt man sich auf einen gemeinsamen Markt, ist der Rest Verhandlungsmasse und ein Hindernis für eine schwarz-rote oder schwarz-grüne Koalition wäre aus dem Weg geräumt. Ob beabsichtigt oder nicht, Spahn hat die Union zu beiden Seiten geöffnet. Nur mit der Ärzte- und Zahnärzteschaft müsste man dann noch „reden“.

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