Biografischer Comic

Ein Zahnarzt wird Manga-Held

Heftarchiv Gesellschaft
pr
Wer kennt Einosuke Obata? In Deutschland wohl kaum jemand – aber in Japan dürfte er nun eine gewisse Prominenz genießen. Denn das Leben des japanischen Zahnarztes, der von 1850 bis 1909 lebte, ist vor Kurzem unterhaltsam literarisch aufgearbeitet worden – als Manga. Die posthume Ehre, als Manga-Held in die Geschichte einzugehen, hat Obata wohl in erster Linie dem Lokalpathos seiner Heimatstadt Nakatsu zu verdanken.

Ganz allmählich verbreitet sich in Deutschland eine auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinende Art von Literatur: der biografische Comic. Das Leben Che Guevaras kann man zum Beispiel in dieser Form erkunden, auch das von Anne Frank. Aber ein biografischer Comic über einen Zahnarzt? Um so etwas zu finden, muss man nach Japan blicken, ein Land, das mit seinen Comics, die man Manga nennt, längst nicht nur die unterhaltende Literatur abdeckt. Dort kann man sich etwa über Karl den Großen, Mutter Teresa, Beethoven oder Florence Nightingale auch auf diese Weise informieren.

Nun läge es nahe, im zahnmedizinischen Bereich einen solchen Manga beispielsweise über William T. G. Morton (1819–1868) zu erwarten, einen der Pioniere der Anästhesie, dem auch in der allgemeinen Medizingeschichte Raum eingeräumt wird. Doch Einosuke Obata ist außerhalb Japans gar nicht und in Japan wohl auch nur relativ wenigen Fachleuten bekannt.

Erster Prüfling in westlicher Zahnmedizin

Eine gewisse Prominenz begründet sich darin, dass er 1875 als Erster in Japan eine Prüfung in westlicher Zahnmedizin ablegte und sich als Zahnarzt niederließ. Am 10. August 1850 wurde Einosuke in die Samuraifamilie Obata in Nakatsu auf der Insel Kyûshû geboren. Er besuchte die Clanschule dort, nahm 1864 an einem Feldzug teil und kam über eine Schule in Osaka 1869 nach Tokyo an den Vorläufer der Keio Universität. An dieser der „westlichen“ Bildung verschriebenen Anstalt – gegründet von dem in Nakatsu aufgewachsenen Yukichi Fukuzawa, einem der bedeutendsten Intellektuellen seiner Zeit in Japan – lehrte unter anderem ein Onkel von Einosuke, Tokujirô Obata. Da Einosuke Obata Medizin studierte, arbeitete er zur Ausbildung bei verschiedenen westlich geschulten japanischen Ärzten, von denen einer sein besonderes handwerkliches Geschick erkannte und ihn 1872 an den amerikanischen Zahnarzt William St. George Elliott in Yokohama empfahl.

Obata folgte diesem 1874 angeblich auch nach Shanghai, meldete sich aber 1875 für die Zulassungsprüfung an der Tokyoter Medizinischen Schule an. Erst kurz zuvor war für die Präfekturen Tokyo, Kyoto und Osaka die Regel eingeführt worden, dass es einer solchen Zulassung bedurfte, wenn man sich als praktischer Arzt im westlichen Sinne (im Gegensatz zum Arzt für chinesische Heilkunde) neu niederlassen wollte.

Allerdings sahen die Regularien keine Prüfung in „Zahnmedizin“ vor, sondern nur in „Mundheilkunde“, die zwar Zahnextraktionen umfasste, nicht jedoch Zahnbehandlung und -pflege. Obata setzte nun durch, dass er in Zahnmedizin geprüft wurde. Nach bestandener Prüfung („über dem Durchschnitt“) im Sommer 1875 erhielt er die Zulassung und eröffnete eine zahnärztliche Praxis in Tokyo, die er anfangs noch als „mundheilkundlich“ bewarb. Am 26. April 1909 starb er an einer Hirnblutung.

Leben ohne große Highlights

Aus dieser Zusammenfassung lässt sich bereits ein Problem des Manga ableiten: Einosuke Obatas Leben war nicht besonders ereignisreich. Die Manga-Autorin Chie Tsunemori – laut Buch ein Profi – konzentriert sich überdies eher auf das Privatleben und das familiäre Umfeld, während Obatas zahnärztliche Tätigkeit zu kurz kommt.

Zudem bleibt im Manga selbst unklar, ob es über die zahnmedizinische Zulassungsprüfung hinaus weitere Gründe gäbe, Obata eine Pionierrolle zuzusprechen. (Dass er sich als erster Zahnarzt westlicher Prägung niederlassen konnte, ist eher dem Zufall geschuldet.) Es wird lediglich angerissen, dass er einmal den japanischen Kaiser behandelte (auf Empfehlung von Fukuzawa, wie andere Quellen zeigen) und an der Gründung der japanischen Zahnärztevereinigung beteiligt war. Und ob es bahnbrechend war, dass er Wert auf Pünktlichkeit seiner Patienten legte und ein festgelegtes Honorar verlangte, mag dahingestellt sein.

Einige der Textbeiträge im Anhang des Mangas geben bessere Aufklärung, zum Beispiel, dass die nächsten zugelassenen Zahnärzte ihre Prüfungen in „Mundheilkunde“ beziehungsweise „Allgemeinmedizin“ abgelegt hatten oder dass erst 1884 ein eigenes Zahnärzteregister eingeführt wurde. Obatas „Leistung“ wird dadurch relativiert: Er begründete keine „Schule“ westlicher Zahnmedizin in Japan, wenngleich er viele angehende Zahnärzte betreute, und spielte offenbar auch organisatorisch oder für den wissenschaftlich-technischen Fortschritt keine zentrale Rolle.

Der Manga über Einosuke Obata ist wohl vor allem dem durchaus verständlichen Stolz der Stadt Nakatsu zu verdanken. Ob man damit, wie erhofft, Jugendlichen nicht nur den Namen Einosuke Obata näher bringen, sondern sie vielleicht auch zu einer zahnärztlichen Karriere inspirieren kann, muss indes in Zweifel gezogen werden. Als Informationsquelle eignet sich der Band zwar einigermaßen gut, allerdings mehr durch den 60 Seiten umfassenden Anhang aus Texten, Kurzbiografien und Fotografien als durch den 100 Seiten langen Manga selbst.

Ein besserer biografischer Manga über einen Zahnarzt wäre sicherlich möglich gewesen – vielleicht beim nächsten Mal …

Dr. Freddy LittenHabsburgerstr. 880801 Münchenf@litten.de

INFO

Quellen

Der Manga: Tsunemori, Chie (Manga); Nakatsu, Präfektur Ôita (Redaktion): Manga Seiyô shika‘i no shiso Obata Einosuke [Manga: Einosuke Obata, der Urahn der westlichen Zahnmedizin]. Fukuoka: Azusashoin, 2011.

Mehr Literatur über Obata: Higuchi, Teruo: Obata Einosuke no juken shorui ni tsuite [On the Examination Document of Einosuke Obata, the First Licensed Dentist in Japan]; in: Nihon shika ishi gakkai kaishi [Journal of the Japan Society of Dental History], vol. 27, nr. 4, Sept. 2008, S. 237-255.

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