Fachkräftemangel

Kampf um kluge Köpfe

Schlechte Arbeitszeiten, zunehmender Stress oder fehlende Wertschätzung bleiben nicht ohne Wirkung. In den medizinischen und pflegerischen Berufen gibt es bereits einen spürbaren Fachkräftemangel. Auf einem Kongress in Köln stellten Vertreter der Branche verschiedene Lösungsansätze vor.

Nach fünf Jahren in Essen fand der diesjährige Gesundheitskongress des Westens erstmalig in der Domstadt Köln statt. Unter dem Motto „Kampf um Kluge Köpfe – Arbeiten im Zukunftssektor Gesundheit“ diskutierten über 800 Klinikmanager, Ärzte und andere Verantwortliche aus dem Gesundheitswesen über mögliche Lösungswege für den sich immer deutlicher abzeichnenden Personalmangel. Fehlendes Personal sei ein ernst zu nehmendes Problem für die wirtschaftliche Entwicklung der Gesundheitsbranche, die in Deutschland immerhin rund 5,3 Millionen Mitarbeiter beschäftige, betonte der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Harry K. Voigtsberger (SPD) in seinem Auftaktvortrag. „In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel arbeitet jeder achte Beschäftigte im Gesundheitswesen“, verdeutlichte er die Vormachtstellung des Gesundheitssektors. „Und der Bedarf an Mitarbeitern wird in Zukunft noch steigen. Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet bis 2030 mit einem jährlichen Wachstum der Branche von rund zwei Prozent“, so der Minister weiter.

Doch die – an sich erfreuliche – Wachstumsprognose verschärft ein Problem der Branche: Wer zukunftsfähig aufgestellt sein will, braucht qualifizierte und engagierte Mitarbeiter. Von guten Ärzten, Pflegekräften und Gesundheitsmanagern hängt nicht nur die zukünftige Versorgungsqualität der Patienten ab, sondern auch der wirtschaftliche Erfolg. Aber gerade in der ärztlichen und pflegerischen Versorgung gehen immer mehr qualifizierte Fachkräfte verloren – sie gründen Familien und kehren nicht in den Job zurück, sie wandern in andere Branchen ab oder gehen ins Ausland.

Die Gründe für den sich abzeichnenden Personalmangel im Gesundheitswesen sind zahlreich: Familienunfreundliche Arbeitszeiten, stetig zunehmender Stress, starre Hierarchien in den Kliniken, immer weniger Zeit für den Patientenkontakt und immer mehr bürokratische Leistungen machen insbesondere die stationäre medizinische und pflegerische Versorgung unattraktiv.

Qualifiziertes Personal gesucht

Der Gesundheitsökonom Prof. Bert Rürup lenkte bei einer Podiumsdiskussion allerdings den Blick auf ein Problem jenseits der Arbeitsbedingungen: die demografische Entwicklung. Wissenschaftliche Untersuchungen hätten gezeigt, dass in einer alternden Gesellschaft mit einer höheren Lebenserwartung auch der Bedarf an medizinischen Leistungen deutlich steigen wird, so Rürup. „Wir haben heute in Deutschland rund 405 000 Ärzte. In 20 Jahren werden wir zusätzliche 165 000 Ärzte brauchen, nur um den Mehrbedarf durch die demografische Entwicklung abzudecken.“ Im nichtärztlichen Bereich würden weitere 790 000 Stellen zusätzlich erforderlich. „Die Personalbedürfnisse im Gesundheitssektor steigen also massiv und genau das wird das zentrale Zukunftsproblem Ihrer Branche“, so Rürup. Der ehemalige Vorsitzende des Sachverständigenrats für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung skizzierte im Anschluss drei Lösungsansätze. Zunächst müsse man versuchen, die weitere Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte ins Ausland zu verhindern, indem die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Der zweite Punkt sei ein verstärktes Marketing für die Gesundheitsberufe, um das angeschlagene Image gerade bei jungen Leuten zu verbessern. Als drittes müsse es darum gehen, qualifizierte Frauen beruflich besser einzubinden. „Die Beschäftigungsquote von Frauen im Gesundheitswesen ist sehr hoch, gleichzeitig ist die Vollzeitquote flach wie ein Brett“, bringt Rürup das Problem auf den Punkt. Sein Fazit: „Schauen Sie doch mal, was andere Wirtschaftsbereiche, zum Beispiel Banken, so machen, um etwa die Work-Life-Balance zu verbessern, beispielsweise mit guter Kinderbetreuung. Nicht zuletzt gibt es in der Marktwirtschaft immer ein probates Mittel, um Knappheit zu beseitigen: nämlich Geld“, sagte Rürup. Finanzielle Anreize müssten dabei nicht zwingend über höhere Löhne gehen, da diese von Pflegeheimen und Krankenhäusern kaum getragen werden könnten. Die betriebliche Altersvorsorge hingegen sei das perfekte Instrument zur Akquirierung und Bindung von Arbeitskräften – und für den Arbeitgeber überhaupt nicht teuer. Rürups Prognose: „Wir werden eine Renaissance der betrieblichen Altersvorsorge erleben. Je früher die Gesundheitsbranche dieses Instrument wiederentdeckt, desto besser kann eine künftige Mangelsituation an Fachkräften unterbunden werden.“

Mehr Produktivität gefordert

Für den Vizepräsidenten der Medizinischen Hochschule Hannover, Dr. Andreas Tecklenburg, sind die Gründe der Misere hingegen vorrangig politisch bedingt. Unter den gegebenen gesetzlichen Rahmenbedingungen sei eine Unterbesetzung im Krankenhaus quasi gesetzlich vorgegeben. „Um wirtschaftlich zu überleben, müssen Krankenhäuser heute pro Produktionsfaktor Bett immer mehr Patienten behandeln. Für die Arbeit am Patienten bleibt kaum noch Zeit“, so Tecklenburg. Auf diese Weise blieben die Mitarbeiter auf der Strecke. „Wir haben im vergangenen Jahr in den deutschen Kliniken 18 Millionen Menschen behandelt, das ist ein absoluter neuer Rekord.“ Tecklenburg bezweifelte, ob alle Operationen wirklich nötig waren. Sie seien sicherlich auch das Resultat eines finanziellen Zwanges der Kliniken, ihre Leistungsmenge bei immer weniger Mitarbeitern permanent auszuweiten. „Wir machen unsere Mitarbeiter auf diese Weise kaputt. Wenn wir die politischen Rahmenbedingungen der Krankenhausfinanzierung nicht ändern, werden uns Ärzte und Schwestern schon bald in Scharen davonlaufen, weil sie ganz einfach keinen Bock mehr haben, unter solchen Bedingungen den Beruf weiter auszuüben.“

Prof. Marion Haubitz, Chefärztin am Klinikum der Stadt Fulda, skizzierte ein weiteres Problem. Für sie ist die Unvereinbarkeit von Familie und Karriere ein zentraler Grund für die geringe Quote von Ärztinnen in der Führungsebene. „Wir haben heute in der Medizin 70 Prozent Studentinnen, schon nur noch 40 Prozent Fachärztinnen, gerade mal 15 Prozent leitende Oberärztinnen und bei den Chefärzten sind es dann schließlich nur noch zehn Prozent. Diese Entwicklung müssen wir stoppen.“ Wenn man kluge Köpfe halten wolle, also intelligente und karrierebewusste Frauen, dürfe die Entscheidung für ein Kind keine Karrierebremse sein. Doch genau das sei heute der Fall. „Wenn ich Frauen frage, warum sie sich trotz vielversprechenden Werdegangs gegen eine Karriere entschieden haben, begründen diese ihre Entscheidung in der Regel mit dem Wunsch, dass sie eine Familie gründen wollten. Daran müssen wir arbeiten, ansonsten steigen weiterhin genau die aus, die man eigentlich behalten will“, sagte Haubitz. Doch nicht nur für das Führungspersonal müsse der Beruf familienfreundlicher werden: „Ich befürchte, wir werden im stationären Bereich massiv Pflegekräfte verlieren, weil wir als Arbeitgeber mit attraktiveren Arbeitszeitmodellen in der ambulanten Versorgung konkurrieren werden.“ Deshalb seien flexiblere Arbeitszeitmodelle, eine gute Kinderbetreuung und ein Mentorensystem für Wiedereinsteiger nach der Erziehungszeit wichtige flankierende Maßnahmen, um die Arbeitsbedingungen – nicht nur für Frauen – zu verbessern.

Otmar MüllerFreier gesundheitspolitischer Fachjournalistmail@otmar-mueller.de

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