Leitartikel

Falscher Rat

Sehr geehrte Frau Kollegin,

sehr geehrter Herr Kollege,

in 50 Jahren wird in dieser Republik jeder dritte Bürger älter als 65 sein. Daraus resultierende, möglicherweise drastische Folgen dürften die betroffenen heute 15-Jährigen kaum bekümmern. Das ist Sache der Elterngeneration, die jetzt noch mit Zuversicht an den eigenen Ruhestand denken kann.

In der Tat ist die gesellschaftliche Fachöffentlichkeit im interdisziplinären Streit auf der Suche nach geeigneten Maßnahmen – zumal die aus dieser Entwicklung erwachsenden Probleme nicht erst in fünfzig Jahren aufschlagen werden.

Handeln müssen wir jetzt, hier und heute. Und wir müssen die nötigen Schritte rational, nicht aus hektischer Betroffenheit und ohne sachliche Abwägung planen.

Das in diesem Zusammenhang immer wiedergehörte Argument, medizinischer Fortschritt, qualitativ hochwertige Versorgung oder Prävention seien zu teuer, ist monokausal und nicht nur zu einfach, sondern in der Konsequenz auch gefährlich. Schon aus Kostengründen ist die Argumentation brüchig:Jeder dieser Faktoren für sich wirkt auch kostenmindernd. Falsch angesetzter Verzicht kann hier höchst unwirtschaftlich werden.

Falsch und ebenfalls viel zu einfach wäre die Behauptung, die höhere Lebenserwartung schaffe höhere Kosten. Dafür gibt es noch keine Daten. Richtig ist, dass sie der Gesellschaft mehr gesunde und damit potenziell auch produktive Lebensjahre einbringt.

Dass in dem gesamten Umfeld vorschnell zu einfach scheinenden Lösungen gegriffen wird, wissen wir nicht erst seit der jüngsten Bildungsreform. Differenzierte und verkürzte Studiengänge sollen dazu beitragen, dass wir dem sogenannten Wachstumsmotor im Bereich Medizin und Pflege schnellerauf die Sprünge helfen. Qualifizierungsmaßnahmen der Pflege- und Hilfsberufe und erweiterte Möglichkeiten zur Delegation sollen über etwaige Versorgungsmängel hinweg helfen. Hört sich gut an. Aber ist es das wirklich? Würde es helfen, wenn wir die Hilfs- und Pflegeberufe, wie es der Deutsche Wissenschaftsrat zu bedenken gibt, akademisieren und dann als Ärzte unsere Tätigkeiten delegieren?

Soviel vorweg: Zahn-/ärztliche Verantwortung für Diagnose und Therapie ist nicht delegierbar. Auch nicht an akademisierte Neuberufe. Gerade angesichts der immer weiter wachsenden Anforderungen an den Arzt und seine Verantwortlichkeit wäre es absurd, diese durch die Substitution von Leistungen zu zergliedern. Die weitere Fragmentierung des Berufsfeldes bedingt zwangsläufig einen höheren Bedarf an Qualifizierung, Kommunikation und Koordination. Mangelt es an Ärzten, brauchen wir mehr Ärzte – und nicht abgespeckte Bachelor-Versionen anderer Art.

Aber was kann der Arzt delegieren? Im zahnärztlichen Bereich ist die Frage der Delegation schon heute rechtlich klar geregelt. Daran sollte vernünftigerweise niemand etwas ändern. Die schon heute in der Zahnarztpraxis übliche Delegation an vorhandene Fachkräfte ist hingegen, wie der Praxisalltag zeigt, praktikabel, deshalb sinnvoll.

Das muss vor Augen haben, wer sich Gedanken über die künftige Struktur der zahn-/medizinischen Versorgung Deutschlands macht. Wer heute über die medizinische und pflegerische Versorgung nachdenkt, muss sich auch klar darüber sein, dass Qualifizierung gerade im Berufstand wichtig ist. Er muss aber auch wissen, dass eine dem Gesundheitswesen übergestülpte Pauschalqualifizierung dem eigentlichen Ziel einer qualitativ hochwertigen und sachgerechten medizinischen und pflegerischen Versorgung kaum gerecht werden kann. „Viel hilft viel!“ bringt hier nicht weiter.

Für die Zahnmedizin, das wissen wir aus intensiver Erfahrung, galt das schon immer. Hier werden entsprechende Maßnahmen an der Sache orientiert gehandhabt. Dass an der Zahnmedizin, deren versorgungstechnische Erfolge gelobt werden, sich andere Bereiche ein Beispiel nehmen sollen, sei dahingestellt und anderen überlassen – auch wenn der Bundesgesundheitsminister das – bezogen auf unseren Präventionserfolg – so sehen mag.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Dr. Peter Engel

Präsident der Bundeszahnärztekammer

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