Hirndoping mit Psychopharmaka

Höher, schneller, weiter

Problemlos lernen, geistige Höhenflüge, immer fit sein – und das alles mit möglichst wenig Schlaf. Hirndoping mit Hilfe von verschreibungspflichtigen Medikamenten ist der verzweifelte Versuch, dem Druck der Leistungsgesellschaft gerecht zu werden. Schon Hunderttausende versuchen, heimlich ihre Hirnleistung zu steigern. Ein riskantes Spiel, denn das Suchtpotenzial ist hoch und über die Langzeitfolgen kann nur spekuliert werden.

Technisierung und Globalisierung lassen unsere Welt immer komplexer werden. Der Arbeitsmarkt verlangt heute neben einer anspruchsvollen Ausbildung ganz selbstverständlich auch örtliche und zeitliche Flexibilität sowie ständige Verfügbarkeit. Aktivität und Kreativität sind ebenso gefordert – und natürlich emotionale Ausgeglichenheit bei hohem sozialem Anpassungsvermögen. Die Belastungen am Arbeitsplatz nehmen zu und hinterlassen Spuren. Seit 1994 ist die Zahl der psychischen Erkrankungen unter deutschen Arbeitnehmern um 120 Prozent angestiegen, in den Krankenkassen-Statistiken belegen sie als Grund für eine Arbeitsunfähigkeit mittlerweile bereits Rang vier.

Zeit- und Leistungsdruck sowie Stress gehören also offenbar zum heutigen Lebens- und Arbeitsalltag. Immer mehr Menschen, so warnt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), reagieren auf diese gestiegenen Anforderungen mit dem Versuch, die eigene Leistungsfähigkeit und emotionale Verfassung durch die Einnahme von Medikamenten zu steigern.

Statt Kaffee, Cola und Co sollen nun verschreibungspflichtige Arzneimittel wie Amphetamine, Antidepressiva oder Betablocker die Stimmung pushen und die Leistungsfähigkeit erhöhen. Der Gedanke dahinter: Was den Kranken hilft, muss doch auch bei Gesunden entsprechende Wirkung entfalten: bessere Konzentration, höhere Belastbarkeit, stärkere Fokussierung, mehr Leistung. Dieser Medikamentenmissbrauch durch Gesunde sei „der Versuch, noch den absurdesten Leistungsanforderungen gerecht zu werden“, sagt DHS-Geschäftsführer Dr. Raphael Gaßmann.

Die Wissenschaft nennt diese Form des Hirndoping mit psychopharmakologischen Mitteln „Neuro-Enhancement“. Obwohl die entsprechenden Medikamente nur für kranke Menschen zugelassen sind, beschaffen sich immer mehr gesunde Berufstätige und Studenten die verlockenden Pillen, die eigentlich zur Behandlung von Depressionen, Alzheimer, Schlafstörungen oder etwa dem Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADHS) vorgesehen sind.

Ein Blick in die USA zeigt, dass dort Hirndoping offensichtlich bereits weit verbreitet ist – unter Studenten, Wissenschaftlern oder Börsenmaklern. Kein Wunder, die amerikanische Leistungsgesellschaft ist der ideale Nährboden für Hirndoping. „Obwohl diese Medikamente wie etwa Ritalin vorgeblich für die Behandlung des ADHS verschrieben werden, lassen die Verkaufszahlen vermuten, dass sie immer öfter auch für Neuro-Enhancement verwendet werden“ erklärt die Neuropsychologin Prof. Martha J. Farah von der University of Pennsylvania. „Umfragen an den Universitäten bestätigen diese Vermutung. Psychopharmaka werden dort von den Studenten im großen Stil konsumiert. Die meisten bekommen sie entweder von Freunden oder von Dealern auf dem Campus. Sie verwenden die Mittel zur Entspannung oder um besser studieren zu können.“ Farah schätzt, dass jeder zehnte Collegestudent auf die Leistungsförderer zurückgreift.

Galten die USA noch vor einigen Jahren als Vorreiter für die Verwendung der neuen Modedrogen, befinden sich die Hirnschmiermittel mittlerweile bereits auf einem weltweiten Siegeszug. Als das renommierte Wissenschaftsmagazin „Nature“ 1 400 Menschen aus 60 Ländern befragte, waren die Ergebnisse überraschend eindeutig: Rund 20 Prozent der befragten Akademiker hatten mindestens schon einmal Arzneimittel (Methylphenidat, Modafinil und Beta-Rezeptorenblocker) ohne medizinische Indikation eingenommen.

Ritalin steht auf der Hitliste der Konsumenten ganz oben. Das Mittel wird eigentlich Kindern mit ADHS verschrieben – der Wirkstoff Methylphenidat soll die Konzentrationsfähigkeit und das räumliche Vorstellungsvermögen verbessern und dafür sorgen, dass die Kinder ruhiger und angepasster werden. Das Mittel ist jedoch sehr umstritten und keineswegs harmlos. Es unterliegt seit 1971 dem Betäubungsmittelgesetz, da es in seiner chemischen Zusammensetzung Ähnlichkeit mit Kokain hat und der Verdacht besteht, dass es abhängig macht.

Ein weiterer oft verwendeter Wirkstoff beim Hirndoping ist Modafinil, ein Wachmacher, der vor allem zur Therapie von Narkolepsie verschrieben wird. Narkolepsie äußert sich durch einen gestörten Nachtschlaf und in der Folge durch plötzliche Schlafattacken am Tag. Die Krankheit ist äußerst selten, dennoch stieg der Jahresumsatz des Medikamentes in den USA von 196 Millionen Dollar im Jahr 2002 auf 988 Millionen Dollar im Jahr 2008. Dieser Ansprung ist nur durch einen exzessiven Off-Label-Use zu erklären, also die Anwendung außerhalb der eigentlichen Indikation. Hinzu kommt: Das Internet macht es heute möglich, seine Pillen auch ohne ärztliche Verschreibung zu bekommen. Wer die entsprechenden Stichwörter googelt, muss nicht lange suchen, bis er unter diversen Händlern auswählen kann, die ihm den gewünschten „Upper“ rezeptfrei und diskret verpackt zuschicken.

Und auch für Medikamente zur Beruhigung, sogenannte „Downer“, scheint es einen wachsenden Markt zu geben. „Studenten erkundigen sich heute in Internetforen, wie hoch die Dosis Betablocker gegen das Herzrasen sein darf, welches Antidepressivum am besten die Prüfungspanik mindert und ob Beruhigungsmittel wie Benzodiazepine ruhigen Schlaf garantieren“, berichtet Prof. Isabella Heuser, Direktorin der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité.

Kein Randphänomen

Auch in Deutschland ist der Trend zum Hirndoping längst angekommen. Aufgrund der massiv gestiegenen Arzneimittelverschreibungen wird sich nun auch die Politik mit dem Thema Hirndoping auseinandersetzen. Laut einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ will sich der Gesundheitsausschuss des Bundestags noch in diesem Herbst intensiv mit dem Thema befassen. Der Hintergrund: 2011 orderten deutsche Apotheken 1 791 Kilogramm des Wirkstoffs Methylphenidat – 1993 waren es nach Zahlen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nur 34 Kilogramm. Es ist klar, dass dieser sprunghafte Anstieg sich schon rein rechnerisch nicht nur durch die Zunahme von ADHS-Diagnosen bei Kindern erklären lässt.

Verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen belegen mittlerweile, dass es sich beim Hirndoping schon längst nicht mehr um ein Randphänomen handelt. So untersuchte etwa die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz den Konsum potenziell leistungssteigernder Präparate bei Schülern und Studenten. Mittels eines Fragebogens wurden 1 035 Schüler sowie 512 Studierende zu ihrem Konsumverhalten von Hirndoping-Substanzen befragt. Die Studie belegt, dass rund vier Prozent der Teilnehmer bislang mindestens einmal versucht hatten, ihre Konzentration, Aufmerksamkeit oder Wachheit mit Hilfe legaler oder illegaler Substanzen zu steigern. Mehr als 80 Prozent der befragten Schüler und Studierenden gaben an, für den Gebrauch einer leistungssteigernden Pille offen zu sein, wenn eine solche frei verfügbar und ohne Nebenwirkungen wäre. Gerade einmal elf Prozent der Befragten lehnten solche Substanzen grundsätzlich ab.

Eine große Studie der DAK unterstützt diese Ergebnisse: „Um Zeitnot, Stress und Leistungsansprüche auszuhalten, greifen Prüflinge vermehrt zu ‚kleinen Helfern’ aus dem Medizinschrank“, sagt Frank Meiners, Diplom-Psychologe bei der DAK. Nach Daten der DAK-Studie kennt fast jeder Fünfte zwischen 20 und 29 Jahren jemanden, der Medikamente einnimmt, ohne dass hierfür eine medizinische Notwendigkeit besteht. Doch die DAK beschränkte sich nicht nur auf Studenten, sondern befragte auch Arbeitnehmer.

Rund zwei Millionen Beschäftige im Alter von 20 bis 50 Jahren (fünf Prozent der Befragten) gaben an, als Gesunde schon einmal leistungssteigernde und stimmungsaufhellende Medikamente eingenommen zu haben. Etwa 800 000 Arbeitnehmer, also zwei Prozent der Befragten, gaben an, dass sie sich immer wieder sehr gezielt „dopen“. Und etwa 320 000 der Befragten nahmen zum Zeitpunkt der Befragung täglich oder mehrmals wöchentlich Arzneimittel zur Leistungssteigerung und Stimmungsaufhellung ein. Den DAK-Zahlen zufolge gebrauchen Männer bis zu dreimal so häufig wie Frauen Medikamente, von denen sie sich ein besseres Gedächtnis, längeres Durchhaltevermögen und stärkere Konzentrationsfähigkeit erhoffen. Bei Frauen stehe hingegen die seelische Ausgeglichenheit im Mittelpunkt: Medikamente gegen Depressionen gebrauchen sie mehr als zweieinhalbmal so häufig wie Männer, Beruhigungsmittel mit hohem Suchtpotenzial, so genannte Benzodiazepine, rund dreimal so häufig.

Zu den Angaben eines realen Medikamentenmissbrauchs gesellt sich ein noch viel beunruhigenderes Ergebnis der DAK-Studie: Ein Viertel aller Befragten war der Meinung, eine Steigerung ihrer kognitiven Leistungen im Beruf mit Medikamenten sei auch ohne medizinische Notwendigkeit vertretbar. Und zu viele Ärzte scheinen gleicher Meinung zu sein – 20 Prozent aller Befragten sagten, dass sie von ihrem Arzt „ohne medizinisch triftigen Grund“ eine Substanz zur Verbesserung der Leistung oder Stimmungslage empfohlen bekommen hätten. Der Medizinethiker Prof. Giovanni Maio appelliert deshalb an die Ärzteschaft, „mit der Empfehlung oder gar Verschreibung solcher Substanzen sehr zurückhaltend umzugehen und sie gerade nicht als optimale Lösung zu vermitteln“.

Hirndoper verfolgen mit den unterschiedlichen Arzneien auch unterschiedliche Ziele. Die Anwendung von Antidementiva soll etwa zu einer Verbesserung von Gedächtnisleistungen führen, während Antidepressiva vor allem die allgemeine Stimmung aufhellen sollen. Wer auf Psychostimulanzien wie Ritalin oder Modafinil zurückgreift, will vor allem Aufmerksamkeit, Wachheit und Konzentration steigern.

Soweit das Wunschdenken. Was die tatsächliche Wirkung der „Happy-Pills“ angeht, sind sich die Experten noch nicht einig. „Viele gehen davon aus, dass der Wirkstoff Methylphenidat beim Lernen die Konzentration erhöht und Müdigkeit unterdrückt – allerdings hat sich dieser Effekt bislang nur bei Tieren, nicht aber bei gesunden Menschen nachweisen lassen“, erklärt Prof. Isabella Heuser. „Augenscheinlich reicht vielen Prüflingen schon eine sehr vage Hoffnung auf bessere Noten, um gesundheitliche Risiken einzugehen.“ Denn das Mittel habe durchaus gefährliche Nebenwirkungen: „Methylphenidat kann Herzrhythmusstörungen und Schlaflosigkeit, im schlimmsten Fall sogar Halluzinationen oder Panikattacken auslösen.“

Insgesamt ist die Studienlage zum Hirndoping bislang eher schwach und die Ergebnisse sind teilweise widersprüchlich. So kommt etwa eine kleine Studie der Universität Freiburg zu dem Ergebnis, dass Ritalin zwar nicht klüger macht, aber trotzdem das Lernen erleichtert, weil man sich besser auf das Wesentliche konzentrieren kann. Die Freiburger Wissenschaftler hatten Hirnaufnahmen von gesunden Probanden unter Ritalin-Einfluss gemacht, während diese lernten. Die Bilder zeigen, dass die Gesamtaktivität des Gehirns sogar etwas heruntergefahren wird, während hingegen diejenigen Zentren im Gehirn, die sich mit der Lösung der Aufgabe gezielt beschäftigen, aktiver sind. „Man könnte auch sagen, das Grundrauschen des Gehirns lässt nach“, bringt es Claus Normann, Oberarzt an der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie der Freiburger Universitätsklinik, im Gespräch mit der Deutschen Welle auf den Punkt.

Riskant, teuer, wirkungslos

Die DHS kommt zu einem anderen Ergebnis. Nicht nur riskant und teuer sei das Hirndoping, sondern dazu auch noch wirkungslos. So führe etwa die Einnahme von Antidepressiva bei Gesunden nicht zur gewünschten Wirkung, sondern oft sogar zu einer Verschlechterung der Leistungsfähigkeit. Auch fänden sich keine Belege zur Steigerung der Gedächtnisleistung Gesunder durch Antidementiva. Eher würden beide Substanzgruppen bei Gesunden eine Vielzahl unerwünschter Nebenwirkungen auslösen, beispielsweise Kopfschmerzen, Ruhelosigkeit und Übelkeit. Und auch die stimulierenden Substanzen wie Methylphenidat und Modafinil brächten bei gesunden Studierenden nur selten die erwünschte Wirkung. Zwar konnten in einer Studie zumindest teilweise die visuellen Aufmerksamkeitsleistungen gesteigert werden. Allerdings profitierten nur solche gesunden Erwachsenen im Alter zwischen 20 und 35 Jahren, die eine eher schlechte Ausgangsleistung hatten, von Methylphenidat und Modafinil, so die DHS. Diejenigen, die vor der Medikamenteneinnahme über eine gute Ausgangsleistung verfügten, verschlechterten sich sogar in ihrer Leistungsfähigkeit. „Die Einnahme führt bei Gesunden nachweislich weder zu gewünschter Stimmungsaufhellung noch zur Steigerung der Leistungsfähigkeit, eher erreichen sie die Verringerung von Leistungsfähigkeit und Aktivität. Neben anderen unerwünschten Nebenwirkungen weisen die stimulierenden Wirkstoffe Methylphenidat und Modafinil ein hohes psychisches Abhängigkeitsrisiko auf“, betont Prof. Dr. Gerd Glaeske vom wissenschaftlichen Kuratorium der DHS. Auch der DAK-Psychologe Frank Meiners warnt, zahlreiche Medikamente hätten starke Nebenwirkungen wie Herzrasen, Magen-Darm-Beschwerden oder Depressionen. Einige hätten zudem ein hohes Suchtpotenzial: „Beruhigungsmittel mit dem Wirkstoff Benzodiazepin, die vor allem bei Schlafstörungen eingesetzt werden, können körperlich und psychisch abhängig machen.“

Die Erfahrungsberichte von gesunden Ritalin-Nutzern sehen allerdings etwas anders aus. „Ich bin ein Zombie, und ich lerne wie eine Maschine.“ – so hatte etwa ein Student in der „Zeit“ (http://www.zeit.de/campus/2009/02/ritalin/seite-1) in einem eindrucksvollen Selbsttest die Wirkungen und Nebenwirkungen des Mittels beschrieben. Das Ergebnis seiner Examensklausur war dann hingeg n weniger eindrucksvoll. Mit einer 1,3 hatte der Prüfling unter Ritalin zwar eine gute Note errungen. Zuvor war ihm allerdings in einer Klausur ohne Ritalin bereits eine 1,0 gelungen. Und genau hier schließt sich der Kreis, denn fast alle Studien belegen: die Einnahme von Methylphenidat löst bei Gesunden häufig Zustände von Euphorie und Überschwänglichkeit aus. Zumindest rein subjektiv scheinen die Psychostimulanzien also zu wirken und das Lernen zu erleichtern. Doch in der Realität, so die DHS, führe dies oft zu einer Überschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit, die durch konkrete Erfolge nicht gedeckt werde. Vielleicht ist das die größte Gefahr der neuen Hirnschmiermittel: sie sind leicht zu bekommen, versprechen schnelle und einfache Erfolge und lösen das euphorische Gefühl aus, unschlagbar zu sein. Das Potenzial einer psychischen Abhängigkeit ist bei solchen Medikamenten gar nicht hoch genug einzuschätzen.

Otmar MüllerFachjournalist mit dem Schwerpunkt „Gesundheit/Gesundheitspolitik“ in Kölnmail@otmar-mueller.de

Statement von Medizin-Ethiker Prof. Maio

Sklaven der Effizienz

Was wir gerade erleben, ist ein Wettrüsten am menschlichen Körper, wodurch sich der moderne Mensch selbst zum Sklaven macht und vom Diktat der Effizienz vereinnahmt wird. Der heutige Zeitgeist suggeriert uns, dass „schneller, höher, weiter“ in jedem Fall besser ist. Wir sind schon so sehr in der Leistungsgesellschaft verankert, dass wir blind werden für die Einsicht, dass unser Leben nicht einfach dadurch besser wird, dass wir unsere Leistungen steigern. Vor diesem Hintergrund ist es auch eine Aufgabe der Ärzteschaft, mit der Empfehlung oder gar Verschreibung solcher Substanzen sehr zurückhaltend umzugehen und sie gerade nicht als optimale Lösung zu vermitteln.

Um das Gefühl der Zufriedenheit mit sich und der Welt zu erreichen, genügt es nicht, etwas einfach schneller zu können; wir müssen darüber hinaus das Gefühl haben, dass wir auch die eigentlichen Urheber dieser Leistung sind. Wir brauchen das Gefühl, dass die Leistung Teil unserer selbst ist, dass wir selbst die Autoren unserer Lebensführung sind. Menschen, die Dopingmittel nehmen, sind die Opfer einer ökonomisierten Gesellschaft. Man sollte ihr Selbstbewusstsein stärken, statt sie in die Falle einer steten Selbstoptimierung treten zu lassen.

Wir haben vollkommen verlernt, den Sinn des Ungeplanten, der Umwege und auch den Sinn der eigenen Anstrengung zu erkennen. Der Mensch kann nur dann gut leben, wenn er offen bleibt für die Überraschungen des Lebens und bereit ist, über Widerstände hindurch sich selbst treu zu bleiben. Daher sind die Dopingmittel keine Glücksbringer sondern sie lenken uns ab, zu erkennen, worauf es wirklich im Leben ankommt.

Interview

„Wir wissen nicht, was da im Hirn passiert“

Herr Normann, wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Neuro-Enhancement hilft, die intellektuellen Leistungen zu verbessern – was ist also gegen Gehirndoping einzuwenden?

Normann:

Wenn die Stimulation des Intellekts mit chemischen Methoden gemacht wird, insbesondere, wenn es heimlich geschieht, dann werden – egal ob im Studium oder im Beruf – die Regeln der Fairness verletzt. Viel gravierender aber sind die gesundheitlichen Einwände. Die Medikamente sind als Mittel gegen konkrete Krankheiten entwickelt worden. Als Mittel zur Leistungssteigerung bei Gesunden sind sie nicht getestet. Wir wissen nicht hinreichend genau, was da im Hirn passiert.

Die Konsumenten scheinen diese Risiken auszublenden. Es handelt sich ja immerhin um zugelassene Medikamente wie zum Beispiel Ritalin.

Normann:

Stimmt. Die Forschung muss sich beeilen, um dem leichtfertigen Konsum solcher Mittel bei Gesunden mit gesicherten Befunden begegnen zu können. In einer Zeitschrift für Medizinstudenten in Freiburg hat neulich eine Umfrage ergeben, dass rund fünf Prozent dieser Studenten Erfahrungen mit leistungssteigernden Medikamenten gemacht haben, und noch mal zehn Prozent gaben an, es sich durchaus vorstellen zu können.

Wie sollten also die nächsten Schritte der Forschung aussehen?

Normann:

Der erste Schritt sollte eine breite gesellschaftliche Diskussion darüber sein, ob man so etwas überhaupt will. Weil sonst die Gefahr besteht, dass die Wissenschaft den gesellschaftlichen Konsens überholt, so wie jetzt der Gebrauch dieser Mittel die Wissenschaft überholt. Der zweite Schritt wäre, die vorhandenen Medikamente in ihrer Wirkung auf die Leistung und in ihrer Sicherheit bei der Anwendung bei Gesunden zu untersuchen – in ganz normalen klinischen Studien, wie sie auch an den Medikamenten für Kranke durchgeführt werden. Im Moment muss man sich einfach klar darüber sein, dass es so etwas bisher noch nicht gibt.

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