Symposium der Ludwig Sievers Stiftung

Kern der Freiheit

Was haben Landärzte mit Tanzlehrern und Staranwälten gemein? „Diepersönliche Leistungserbringung, die alle freien Berufe eint“, argumentierten Offizielle auf dem jüngsten Symposium der Berliner Ludwig Sievers Stiftung. Und diskutierten, wie zeitgemäß dieses Kernmerkmal noch ist – angesichtswachsender Nachwuchssorgen im Allgemeinen sowie der ärztlichen Praxisvon Delegation und Substitution im Besonderen.

„Die Rahmenbedingungen der Branche haben sich verändert“, stellte der Jurist Prof. Winfried Kluth von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in seinem Einführungsreferat fest. „Die Folge ist, dass der Patient in medizinischen Versorgungszentren nur noch punktuellen Kontakt zum Leistungsträger hat.“ Schon heute schienen die Unterschiede zwischen Krankenhäusern und Großkonzernen zu verschwinden, mahnte er und bekräftigte, dass es sich deshalb lohne, am Ideal der persönlichen Leistungserbringung festzuhalten. Aus der Größe einer Einrichtung allein lasse sich jedoch noch kein Problem ableiten, relativierte er; vielmehr reguliere die Binnenstruktur einer Einrichtung, ob der persönliche Kontakt zum Patienten oder Mandanten gewährleistet bleibe. Angesichts des demografischen Wandels und der Feminisierung der freien Berufe müsse es zwar gezielte Strukturänderungen geben, deren oberstes Ziel aber nur die persönliche Leistungserbringung sein könne. Kluth: „Diese Wichtigkeit leitet sich schon aus dem starken Gemeinwohlbezug der freien Berufe ab.“

Diese Besonderheit betonte auch Prof. Urban Wiesing vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Tübingen. Da es sich beim „Gegenstand der Leistung“ häufig um Themen von existenzieller Wichtigkeit handle, sei es kein Zufall, dass sich Personen mit diesen Anliegen direkt an Personen wenden, argumentierte er. „Das ist natürlich aufwendig und damit kostspielig“, so Wiesing. „Da kontrastiert die persönliche Leistungserbringung ganz klar mit der industriellen Produktion.“

Leistungserbringung ist zeit- und alternativlos

Obendrein leite sich ein überdurchschnittlich hoher Anspruch an Fachkompetenz und Urteilskraft des Handelnden schon daraus ab, dass nicht er, sondern der Behandelte den Nutzen bzw. etwaigen Schaden der Dienstleistung zu tragen habe. Darum sei die persönliche Leistungserbringung als Merkmal des freien Berufs „zeit- und alternativlos“, war sich Wiesing sicher. Sie sei also „gewünscht und angemessen“, müsse aber stetig an die sich wandelnden Berufsumfelder angepasst werden, formulierte er als Fazit seiner Ausführungen.

Dr. Martina Wenker, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, sah jedoch in der Übertragung dieses Ideals auf nachfolgende Ärztegenerationen ein Problem. „Wir führen diese Diskussion während es eine dramatische Entwicklung des Ärztemangels gibt“, sagte sie. Trotzdem sollten nur einzelne Leistungen delegierbar sein – die Anamnese, Diagnose, Untersuchung, Beratung sowie Entscheidung für eine Therapieform hingegen weiter unter Arztvorbehalt stehen.

Hochgefährlich aus medizinischer Sicht seien Internetplattformen wie etwa DrEd.de, wo Patienten schon heute per Onlinefragebogen und Email zu Themen wie Verhütung, Impotenz oder Geschlechtskrankheiten eine Diagnose samt passendem Medikament bekämen. Wenker: „Dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass ein Befund die unterschiedlichsten Ursachen haben kann.“ Der Anspruch könne darum nur sein, die persönliche Leistungserbringung als Merkmal „für kommende Patienten- und Ärztegenerationen zu erhalten“.

Zustimmung erhielt sie auch von Professor Wolfgang Ewer, Präsident des Deutschen Anwaltsvereins, der zu Bedenken gab, dass die höchstpersönliche Leistungserbringung auch ihren Preis habe. „Die Kehrseite ist die zum Teil sehr hohe persönliche Arbeitsbelastung einzelner“, sagte er. Ein Faktor, den man im Blick behalten müsse – nicht nur, weil beim Nachwuchs das Bewusstseins für eine ausgeglichene Work-Life-Balance zugenommen habe. Trotzdem sei die persönliche Leistungserbringung ein „wesentliches und nicht wegzudenkendes Merkmal“ auch des Anwaltsberufs. mg

INFO

Forschung zum Wesen der freien Berufe

Die nach ihm benannte Stiftung wurde von dem Mediziner, ersten Nachkriegsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und gleichzeitigen Präsidenten der Ärztekammer Niedersachsen, Dr. Ludwig Sievers, am 27. März 1957 ins Leben gerufen. Sie soll sich laut Satzung der „Förderung der wissenschaftlichen Forschung über Wesen und Bedeutung der freien Berufe“ widmen. Dazu gibt die Ludwig Sievers Stiftung in unregelmäßigen Abständen eine eigene Schriftenreihe heraus, veranstaltet Symposien, fördert Autoren mit Druckkostenzuschüssen und prämiert einschlägige Forschungsarbeiten mit dem Ludwig-Sievers-Preis. Außerdem arbeitet sie mit dem Bundesverband der Freien Berufe (BFB) zusammen bei der Prüfung gemeinsam zu verwirklichender Projekte.www.sievers-stiftung.de

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