Die klinisch-ethische Falldiskussion

Dissens unter Kollegen und private Einflussnahme

Heftarchiv Zahnmedizin
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Dominik Groß
Der vorliegende Fall verhandelt unterschiedliche Ansichten von Hauszahnarzt und behandelndem Kieferorthopäden, die ihrerseits durch eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen der Patientin und dem Hauszahnarzt überlagert werden.

Bei den nachfolgenden Kommentatoren handelt es sich um Zahnärzte, die über ihre fachliche Qualifikation hinaus ein besonderes Interesse für den Bereich Klinische Ethik mitbringen beziehungsweise in diesem Bereich fortgebildet sind. Dementsprechend sind die Kommentare als persönliche Meinungsäußerungen und nicht als rechtsverbindliche Stellungnahmen zu verstehen. Wie immer sind Anregungen und konstruktive Kritik willkommen.

Der Fallbericht:

Die 10-jährige Silke befindet sich seit Kurzem in kieferorthopädischer Behandlung bei Dr. RS. Die Beziehung zwischen Silke, ihrer Mutter und RS ist gut. Silke besitzt ein Wechselgebiss in der beginnenden zweiten Phase, wobei drei bleibende Zähne kariöse Läsionen zeigen. Außerdem möchte der Kieferorthopäde RS die Zähne 75 und 85 extrahieren lassen, um den frei werdenden Platz therapeutisch zu nutzen. Die Zähne 74 und 84 fehlen bereits. Dementsprechend schreibt er nach Genehmigung des Behandlungsplans eine Anweisung an den Hauszahnarzt DD, der mit der Patientin verwandt ist (Onkel der Mutter).

Zwei Wochen später erscheint Silkes Mutter wütend in der kieferorthopädischen Praxis: Sie gibt an, das fachliche Vertrauen in RS verloren zu haben, und möchte einen sofortigen Wechsel des kieferorthopädischen Behandlers. Sie begründet diesen Schritt mit der Reaktion des Hauszahnarztes auf den Extraktionswunsch: Ihr Onkel habe „über die Überweisung nur gelacht“ und ausgeführt, die Anweisung des Kieferorthopäden sei „Unsinn“, da die Milchzähne sowieso ausfielen. Auch habe Silke keine Karies, sondern lediglich „verfärbte Fissuren“.

Neuer kieferorthopädischer Behandler wird Dr. LL, der in der Folgewoche durch eine seiner Fachangestellten Silkes Behandlungsunterlagen anfordern lässt. LL, der sich gerade erst niedergelassen hat und dabei ist, einen Patientenstamm aufzubauen, kennt und schätzt den Kollegen RS, hat es aber bisher vermieden, ihn in dieser Angelegenheit persönlich zu kontaktieren. Auch er würde 75 und 85 am liebsten extrahiert sehen, um den regelrechten Durchbruch von 34 und 44 zu ermöglichen, während gleichzeitig mit der ersten Behandlungsmaßnahme das Platzproblem im Unterkiefer gelöst und damit die klassische Extraktionstherapie sicher abgewendet werden könnte.

Doch LL fürchtet die Konfrontation mit DD und der Mutter der Patientin. Andererseits will er auch gegenüber RS nicht unkollegial erscheinen und diesen nicht durch ein deutlich abweichendes Behandlungsregime indirekt „ins Unrecht setzen“ beziehungsweise in den Augen der Mutter fachlich brüskieren.

Was also sollte er tun:

• Sollte er über alle bestehenden alternativen Behandlungsoptionen – mit allen Pros und Contras – aufklären und dann die Mutter entscheiden lassen?

• Sollte er – ungeachtet von allen strategischen und wirtschaftlichen Aspekten eines Praxisgründers – genau die Behandlung anbieten, die er als KFO-Experte für das Beste hält, und dabei die Konfrontation mit dem wichtigen Zuweiser und der Mutter riskieren?

• Oder sollte er den Hauszahnarzt anrufen und eine fachliche Diskussion führen?

Und wie sollte er sich gegenüber RS verhalten? Wäre es angezeigt, aus kollegialen Gründen das Gespräch mit RS zu suchen, um ihm zumindest seine „heimliche“ Solidarität mitzuteilen – oder würde er damit am Ende allein das eigene schlechte Gewissen entlasten?

Brigitte Utzig

Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik GroßInstitut für Geschichte, Theorie und Ethik der MedizinUniversitätsklinikum der RWTH AachenWendlingweg 2D-52074 Aachengte-med-sekr@ukaachen.deDr. med. dent. Brigitte UtzigSaarbrücker Str. 6366901 Schönenberg-KübelbergDr. med. dent. Uwe BittighoferBergstr. 2976337 Waldbronnuwebittig@web.de

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