Gastkommentar

Für eine Kultur des Vertrauens

Eine Zahl sorgt seit wenigen Tagen in der Gesundheitspolitik für Aufsehen: 28 862 780 292 Euro! So hoch sind nach offizieller Berechnung die GKV-Verwaltungskosten, summiert mit den 2011 in diesen Krankenkassen und deren Gesundheitsfonds erwirtschafteten Überschüssen. Da man nicht davon ausgehen kann, dass die Überschüsse unmittelbar in Gesundheitsleistungen gesteckt werden, gibt es erstmals die überraschende Situation, dass die Versicherten mehr Geld für Dinge ausgeben, die nicht in ihre Versorgung gehen – mehr als das, was die komplette ärztliche Versorgung im Rahmen der GKV kostet (27 644 062 709 Euro)!

Was erstaunt, ist nicht nur die Zahl, sondern wie wenig diese die gesundheitspolitische Diskussion zu beeinflussen scheint. Ist das Gesundheitswesen tatsächlich so weit, dass man mehr über Prozesse, Einsparungsmöglichkeiten und Regulierungsmechanismen spricht als über die eigentlichen Kernfragen des Heilens?

Viele Institutionen, allen voran die Kassen, haben die Angewohnheit, immer mehr Mess- und Regulierungsinstrumente aufzubauen, die in einem Mehr an Bürokratie enden, ohne am Ende Ergebnisse zu erzielen, die dem Patienten nutzen. Jüngstes Beispiel ist der Hype an Arztbewertungsportalen. Unter dem Mantel vermeintlichen Nutzens zur Orientierung von Patienten werden hier Datenbanken aufgebaut, die qualitativ wie datenschutzrechtlich zu hinterfragen sind, aber auch ein Klima des Misstrauens im Arzt-Patienten-Verhältnis erzeugen, das allenfalls Geschäftsinteressen unterschiedlicher Lager, nicht aber der Gesundheit dienlich sein kann. Das deutliche Floppen dieser Portale ist deshalb nicht zu bedauern. Wie sollte auch ein Arzt, der es nur mit Individuen, individuellen Krankheitsbildern und deren Therapien zu tun hat, über solche Portale objektiv bewertet werden? Dass aber dafür Versichertengelder aufgewendet werden, ist schlichtweg ein Skandal.

Eine Wirkung erzielen die ansonsten nutzlosen Bewertungsportale allerdings schon. Sie sind in hohem Maße dazu geeignet, das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zu stören.

Seit Hippokrates Zeiten wurde eins aus guten Gründen nie infrage gestellt: Das Vertrauen des Heilsuchenden zu seinem Arzt. Ohne Zweifel ist diese Vertrauenskultur heute noch eine der Antriebsfedern der zahnärztlichen und ärztlichen Profession. Die Kunst des Heilens bedingt nun mal eine Kultur des Vertrauens. Die grundsätzliche Erkenntnis, dass der Arzt häufig nur den Heilprozess anstoßen und fördern kann, die Heilung aber aus Natur und Seele des Patienten geschieht, ist auch in Zeiten der Hightech-Medizin keineswegs aufgehoben. Evidence-Based-Medicine, Managed-Care-Programme, strukturierte Behandlungspfade und so weiter können allenfalls organisatorische Vorteile bringen. Sobald sie aber die Kunst des Heilens oder nur die Atmosphäre des Vertrauens zwischen Arzt und Patient berühren, wirken sie kontraproduktiv.

Wie aufbauend ist es da, auch in diesen Zeiten noch Ansätze zu finden, die die Kultur des Heilens aus einem anderen Blickwinkel erschienen lassen. Da hat der Hamburger Mediziner Prof. Dr. Bernd Werner nach langer Recherche ein Buch unter dem Titel „Der Arzt Friedrich Schiller oder wie die Medizin den Dichter formte“ herausgegeben. Darin belegt er unter anderem, dass der Dichterfürst auch als Mediziner eine hochaktuelle Botschaft hat. Schillers Beschäftigung mit der Seele des Menschen als Grundlage einer Kultur des Heilens ist alles andere als ein Stück Klassik für verstaubte Regale. Es ist höchste Zeit, dass auch in der gesundheitspolitischen Diskussion der Stellenwert von Vertrauen und der individuellen Kunst des Heilens wieder in den Vordergrund tritt. Leider belegen die oben genannten Zahlen zur Verwendung der Versichertengelder eine andere Tendenz. •

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