Der besondere Fall

Nicht nur Bisphosphonate verursachen eine Kiefernekrose

Bislang ist bekannt, dass Bisphosphonate, die zur Therapie unter anderem von Mammakarzinomen sowie der Osteoporose ihren Einsatz finden, Knochen-nekrosen besonders im orofazialen Bereich auslösen können. Diese stellen für den behandelnden Zahnarzt zunehmend ein großes Problem dar. Der vorliegende Fall beschreibt eine solche Nekrose, die jedoch nicht durch die Bisphosphonatgabe, sondern durch eine andere, in der Krebstherapie verordnete Stoffklasse auftrat.

Oksana Petruchin et al.

Ein 62-jähriger Patient stellte sich im Januar 2011 in der Poliklinik für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie der Universitätsklinik Frankfurt am Main vor. Der Patient hatte seit etwa drei Monaten einen putriden Ausfluss aus dem rechten Nasenloch bemerkt, der vor allem nachts auftrat, sowie eine starke Zahnlockerung und einen spontanen Zahnverlust. Außerdem wurde er seitens seiner Ehefrau auf starken Mundgeruch hingewiesen, den er persönlich nicht wahrnahm.

Anamnestisch war zu eruieren, dass 2007 ein Nierenzellkarzinom diagnostiziert worden war, woraufhin eine Tumornephrektomie der linken Niere erfolgte. Bereits zwei Jahre später wurde eine Weichteilraumforderung im Bereich des Manubrium sterni mit ossärer Destruktion im Sinne einer Metastase des oben genannten Karzinoms diagnostiziert. Eine Regression der sternalen Tumormanifestation konnte unter täglicher Einnahme von 37,5 mg Sunitinib (Sutent®) erzielt werden. Seit April 2010 erfolgte zusätzlich eine intravenöse Gabe von 6 mg Bondronat im sechswöchigen Rhythmus. Die sonstige Medikation bestand aus ASS 100 und L-Thyroxin.

Bei der klinischen Inspektion imponierte ein desolates Gebiss bei starkem Knochenabbau und großflächigem Nekroseareal vestibulär im ersten Quadranten. Die Restbezahnung bestand aus den Zähnen 17, 15, 11 bis 24, 27 sowie 43 und 44. Alle Zähne wiesen Lockerungsgrad III auf. Neben einer spontanen Zahnfleischblutung konnte an mehreren Stellen eine putride Sekretion aus dem Parodontalspalt beobachtet werden. Des Weiteren wies der Patient einen enorm fauligen Foetor ex ore auf.

Die Computertomografie der Nasennebenhöhlen (NNH-CT) (nativ) zeigte dann das Ausmaß der knöchernen Destruktion. Neben der ausgedehnten generalisierten Nekrose des Oberkiefers konnte nebenbefundlich eine zystische Läsion im Bereich des Unterkiefers Regio 41 bis 45 diagnostiziert werden. Voraussichtlich ging diese vom Wurzelrest des Zahnes 41 aus. Weiterhin bestand eine totale Verschattung beider Sinus maxillaris und eine akzentuierte Lymphadenopathie in allen abgebildeten Leveln.

Als therapeutische Maßnahme erfolgte zunächst unter Intubationsnarkose die Extraktion aller Zähne im Oberkiefer. Hierbei konnte ein großflächiges Knochensequester aus dem ersten Quadranten in toto geborgen werden. Die rechte Kieferhöhle erschien dadurch breitflächig eröffnet, es erfolgte eine ausgiebige Ausräumung des Granulationsgewebes und die Einlage einer Furacintamponade mit Ausleitung zum unteren Nasengang. Der noch verbleibende Alveolarfortsatz des Oberkiefers wurde großflächig dekortiziert, bis sich eine Blutung aus dem Knochen zeigte. Die Deckung erfolgte dann lokal mit Mukoperiostlappen.

Nach der Extraktion der nun nur noch vorhandenen Unterkieferzähne 43 und 44, konnten über eine Erweiterung der Extraktionsalveolen sowohl der retinierte Wurzelrest 41 als auch der Zystenbalg vollständig entfernt werden. Im Hinblick auf die Anamnese des Patienten empfahl sich dieses Vorgehen, um die knöcherne Zugangskavität möglichst gering zu halten und den ohnehin geschädigten Knochen keinen größeren chirurgischen Traumata auszusetzen.

Um eine verbesserte Wundheilung zu gewährleisten, erhielt der Patient für insgesamt fünf Tage eine Magensonde. Während des stationären Aufenthalts erfolgte eineparenterale Antibiose. Die Nasentamponade wurde ab dem dritten postoperativen Tag reduziert.

Eine histopathologische Aufarbeitung des eingesandten Knochenmaterials bestätigte die Knochennekrose. Nach einer Heilungsphase von insgesamt drei Monaten konnte eine prothetische Versorgung mit einer Totalprothese in Ober- und Unterkiefer durch den Hauszahnarzt erfolgen. Der Patient wurde instruiert, bei auftretenden Druckstellen sofort den behandelnden Zahnarzt aufzusuchen, da diese als potenziell typische lokale Auslösefaktoren einer BPONJ (Bisphosphonate-induced osteonecrosis of the jaw) anzusehen sind [Dannemann C., 2007]. Alternativ zur tegumental getragenen Prothese hätte man eine Implantatgestützte Lösung zur Verringerung von Prothesenfreiheitsgrad in Betracht ziehen können. In einem systematischen Review von Grötz et al. [Grötz et al., 2010] wird die Möglichkeit einer Implantation bei Bisphosphonat-Patienten ausführlich diskutiert. Im vorliegenden Fall würde das Problem neben anderen Risikofaktoren auch rein anatomisch im fehlenden Alveolarfortsatz des ersten Quadranten vorliegen.

Diskussion

Bisphosphonate werden seit über 30 Jahren zur Beeinflussung des Knochenstoffwechsels bei Patienten mit Osteoporose, Knochenstoffwechselerkrankungen oder metastasierenden Tumorerkrankungen eingesetzt. Beionkologischen Patienten (wie Plasmozytom, Tumorleiden mit Knochenmetastasen) beträgt die Inzidenz einer Kiefernekrose zwischen drei und zehn Prozent (AWMF). Trotz zahlreicher Veröffentlichungen und Fortbildungsveranstaltungen zu den Nebenwirkungen einer Therapie mit Bisphosphonaten, vor allem im zahnärztlichen Bereich, besteht ein großes Wissensdefizit bezüglich der Behandlung dieser Patienten. Leider werden die Betroffenen mit dem Problem der Nebenwirkung einer möglichen Kiefernekrose (BPONJ) erst mit dem Eintreten dieser konfrontiert. Im klinischen Alltag offenbart sich ein enormes Aufklärungsdefizit. Die erste Reaktion der Patienten erfolgt im Absetzen oder in der Verweigerung einer Weitereinnahme des Präparats.

Ein spontanes Auftreten einer Bisphosphonatinduzierten Kiefernekrose – wie im vorliegenden Fall beschrieben – ist eher seltener anzutreffen, meist geht eine zahnärztlich-chirurgische Intervention voraus [Dannemann C., 2007].

Die Besonderheit des aktuellen Falles liegt im spontanen Auftreten einer massiven Kiefernekrose der eher selten betroffenen Maxilla [Bamais, 2005] nach bereits kurzfristiger Einnahme von Bondronat. Weiterhin sei auf die Therapiekombination aus Sunitinib und Bondronat hingewiesen. Bei Sunitinib handelt es sich um ein Zyto- statikum, das seine Indikation bei metastasierenden Nierenzellkarzinomen hat. Der Wirkstoff Sunitinib ist ein Kinaseninhibitor. Diese Enzyme spielen die entscheidende Rolle bei der Vermehrung von Zellen. Sunitinib schaltet auf molekularer Ebene die Signalwirkung von Wachstumsfaktoren aus, die der Tumor für sein Wachstum benötigt.

Der Hersteller Pfizer warnt in einem Rote-Hand-Brief vor der möglichen Entwicklung einer Kieferosteonekrose. Die Vermutungen gehen dahin, dass die antiangiogenetische Aktivität von Sunitinib den Heilungsvorgängen entgegenwirkt. Es erscheint deshalb wahrscheinlich, dass eine Kombinationstherapie aus Bisphosphonaten und anderen Zytostatika die Entstehung einer BPONJ begünstigt [Rote-Hand-Brief]. Der Wirkstoff wird derzeit als Ergänzungstherapie mit Bisphosphonaten bei einer Chemotherapie oder einer antihormonellen Therapie, zum Beispiel bei der Behandlung von Prostatakarzinomen, Nierenzellkarzinomen, Brustkrebs oder dem nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom, eingesetzt [Manegold, 2007].

Tipps für die Praxis

• Eine besondere Aufmerksamkeit ist bei Patienten mit malignen Grunderkrankungen erforderlich, beziehungsweise die häufige Aktualisierung der Anamnese ist nötig.

• Eine engere interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen dem behandelnden Zahnarzt und dem Onkologen sollte erfolgen.

• Eine zahnärztliche Sanierung vor Einleitung einer Radio-/Chemotherapie oder Therapie mit Bisphosphonat-Präparaten ist unumgänglich.

• Die Abstimmung der zeitlichen Therapieplanung mit anderen Fachdisziplinen ist unbedingt erforderlich.

• Cave, wenn der Patient eine Therapie mit Zytostatika erhält, da es unter antiangiogenetischer Therapie zu Wundheilungsverzögerungen kommen kann.

ZÄ Oksana Petruchin

Nicole Chambron

Dr. Dr. Oliver Seitz

Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. med. habil. Robert Sader

Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie

Universitätsklinikum Frankfurt

Theodor-Stern-Kai 7

60590 Frankfurt

petruchin@gmx.de

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