Arzneimittelmarkt im Umbruch

Gefährliche Engpässe

Immer häufiger kommt es bei Medikamenten zu Lieferengpässen, warnt die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Ist ein Wechsel auf ein Alternativmittel nötig, kann das für Patienten gefährliche Konsequenzen haben.

Ein Pharmariese teilt einen Lieferengpass für ein wichtiges Arzneimittel mit – nicht am Ende der Welt, sondern hier, in Deutschland. Es geht nicht etwa um ein selten verwendetes Exotenmittel, sondern um ein gängiges und überlebenswichtiges Medikament in der Krebstherapie. Bis Mitte 2013 wird das Mittel mit dem Wirkstoff Capecitabin nur rationiert und deshalb möglicherweise nicht für jeden Patienten verfügbar sein. Onkologen setzen es bei Darmkrebs und anderen Tumoren des Magen-Darm-Traktes sowie bei Brustkrebs ein. Die Substanz wird im Körper zu 5-Fluoruracil umgesetzt. Für die Substanz 5-Fluorouracil selbst besteht seit Monaten ebenfalls eine Verknappung auf dem Weltmarkt. 5-Fluorouracil (5-FU) ist das weltweit am häufigsten eingesetzte Krebsmittel. Rund jede vierte Infusion bei Patienten mit Darmkrebs, Brustkrebs oder einem Tumor in Hals, Nase oder Ohren enthält den Wirkstoff; seit 50 Jahren ist es aus der Krebstherapie nicht mehr wegzudenken.

Keine Ausnahme mehr

Solche Meldungen über Lieferengpässe, wie sie der Pharmariese Roche jüngst übermittelt hat, sind längst keine Ausnahme mehr. Immer häufiger kommt es zu kurzfristigen Lieferausfällen – betroffen sind vor allem wichtige und häufig eingesetzte Zytostatika, also Medikamente für die Therapie gegen Krebserkrankungen, aber auch altbewährte Antibiotika wie Fosfomycin oder Amoxicillin mit Clavulansäure ebenso wie intravenös zu verabreichende Acetylsalicylsäure zur Herzinfarktbehandlung oder andere Notfallmedikamente. Bei all diesen Mitteln handelt es sich in der Regel um Generika, also Arzneimittel, bei denen der Patentschutz ausgelaufen ist und die sich deshalb in einem preislichen Wettbewerb befinden. Die Folge: Bei diesen Medikamenten ist die Gewinnmarge für die Hersteller deutlich niedriger.

Pharmamarkt im Umbruch

Bereits seit einiger Zeit befindet sich der deutsche Pharmamarkt im Umbruch: Die zunehmende Globalisierung, neue Gesetze wie das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (Amnog) sowie Rabattverträge mit den Krankenkassen setzen die Unternehmen unter einen immer härteren Wettbewerbsdruck. Um Kosten zu sparen, lagern die meisten Pharmaunternehmen ihre Generika-Produktion aus. Die sogenannte pharmazeutische Auftragsherstellung – in der Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannt – spielt inzwischen in der Herstellung dieser Medikamente sowohl als Wirtschaftsfaktor als auch für die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung eine entscheidende Rolle. Bei den Auftragsherstellern rollt permanent dieselbe Substanz vom Band und wird nur noch in die Verpackungen der verschiedenen Auftraggeber wie beispielsweise Hexal, Teva oder Stada gepackt.

Um die Kosten maximal zu reduzieren, haben viele Pharmakonzerne ihre gesamte Generikaproduktion nach Asien verlagert, wo sie einer Kontrolle durch europäische und amerikanische Arzneimittelbehörden weitgehend entzogen sind. Gearbeitet wird prinzipiell nach dem Just-in-time-Prinzip, das heißt, die Medikamente werden immer nur in der Menge hergestellt, wie sie aktuell nachgefragt werden. Eine Lagerhaltung ist teuer und deshalb meist nicht vorgesehen. Kommt es bei einem Auftragshersteller zu Qualitäts- oder Sicherheitsproblemen, ist unter Umständen sofort der gesamte deutsche, mitunter sogar der Weltmarkt für ein bestimmtes Medikament betroffen. „Man sollte davon ausgehen, dass ein Pharmaunternehmen nur mit solchen Herstellungsbetrieben zusammenarbeitet, die auch zuverlässig liefern können“, kritisierte der Arzneimittelexperte Prof. Gerd Glaeske im Bayrischen Rundfunk diese Art der ausgelagerten Produktion. Obwohl Pharmaunternehmen in Deutschland den gesetzlichen Auftrag hätten, für alle zugelassenen Arzneimittel eine kontinuierliche Versorgung sicherzustellen, kämen solche Lieferengpässe immer wieder vor, so Glaeske weiter.

Deutliche Zunahmen

Engpässe bei Krebsmitteln, Antibiotika und anderen Medikamenten gefährden auch nach Darstellung der deutschen Krankenhäuser zunehmend schwer kranke Patienten. „Lieferengpässe von Arzneimitteln haben in den vergangenen Monaten deutlich zugenommen und betreffen vielfach lebenswichtige Arzneimittel, die zur Behandlung schwerster Erkrankungen zwingend benötigt werden“, warnt die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Bei einer weiteren Verschärfung der Situation könne die Versorgung schwerstkranker Patienten mit den notwendigen Arzneimitteln womöglich nicht mehr sichergestellt werden.

Die DKG hatte Ende des vergangenen Jahres in rund 100 Kliniken den aktuellen Versorgungstand mit Medikamenten abgefragt. In den beteiligten Krankenhäusern standen laut DKG in einem Monat im Schnitt 25 der 400 bis 600 verwendeten Mittel nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung. Dabei wurden die Kliniken in 80 Prozent der Lieferausfälle vorab nicht informiert. In 20 Prozent der Fälle mussten Patienten auf therapeutisch nicht gleichwertige Alternativen umgestellt werden.

Zentrale Erfassung fehlt

Eine zentrale Erfassung von Lieferengpässen gibt es, anders als etwa in den USA, in Deutschland nicht. Daher gibt es keine gesicherten Zahlen über Produktionsausfälle und damit verbundene Lieferengpässe. Bereits im November hatte die Deutsche Gesellschaft für Onkologische Pharmazie (DGOP) aufgrund der sich häufenden Lieferprobleme damit begonnen, das Bundesgesundheitsministerium und den Gesundheitsausschuss des Bundestags wöchentlich über aktuelle Lieferengpässe zu informieren. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) sagte Ende Februar gegenüber der Süddeutschen Zeitung, dass das BMG Ärzte, Apotheker und Hersteller zu Gesprächen zusammengerufen habe, „in denen mögliche Ursachen und geeignete Gegenmaßnahmen diskutiert worden sind“.

Diese würden derzeit ausgewertet. Nach Angaben der DGOP, die an den Gesprächen beteiligt war, sollen die Pharmahersteller künftig freiwillig selbst diese Meldungen an die jeweils zuständige Behörde übermitteln, sobald sich Lieferengpässe abzeichnen, die länger als zwei Wochen andauern könnten.

Auch der Hartmannbund sieht die Politik in der Verantwortung. Die Bundesregierung müsse nun Kontrollinstrumente entwickeln, die Qualitätsstandards garantieren, fordert Hartmannbund-Präsident Dr. Klaus Reinhardt.

Die Warnungen über zunehmende Lieferengpässe müssten sehr ernst genommen werden. „Bei allem Verständnis für die Verunsicherung über Pferdefleisch in der Lasagne steht uns da möglicherweise ein Problem noch ganz anderer Dimension ins Haus“, sagte Reinhardt. Es dürften weder Zweifel an der Qualität noch an der Verfügbarkeit dieser Wirkstoffe bestehen. Wenn die Politik keinen Einfluss auf die Produktionsstandorte nehmen könne, dann müssten mindestens Kontrollinstrumente entwickelt werden, die Qualitätsstandards garantierten.

Auch die Verlässlichkeit der ausreichenden und rechtzeitigen Bereitstellung benötigter Medikamente sei ein wichtiges Kriterium. In diesem Zusammenhang müsse auch der Vorschlag eines Melderegisters für drohende Engpässe geprüft werden. „Ich appelliere dringend an alle Verantwortlichen, nicht erst unter großem Getöse Zehn-Punkte-Pläne aufzulegen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist“, sagte Reinhardt und warnte vor „gefährlichen Folgen für die Patienten“.

Otmar MüllerGesundheitspolitischer Fachjournalist, Kölnmail@otmar-mueller.de

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