Aktualisierung der S2k-Leitlinie

Operative Entfernung von Weisheitszähnen

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Der folgende Text liefert eine Kurzzusammenfassung der Aktualisierung der Leitlinie: „Operative Entfernung von Weisheitszähnen“. (AWMF-Register Nr. 007-003)

Einleitung

Wissenschaftliche Erkenntnisse unterliegen in der Zahnheilkunde, wie in jeder anderen Disziplin, einer stetigen Entwicklung. Insofern müssen auch Leitlinien, die als Instrumente der Aufbereitung, Zusammenfassung und Verdichtung von Informationen dienen, in regelmäßigen Zyklen aktualisiert werden. Die S2k-Leitlinie „Operative Entfernung von Weisheitszähnen“ war als eine der Pilotleitlinien der Bundeszahnärztekammer unter federführender Beteiligung der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie zuletzt im Jahr 2006 aktualisiert worden und stand daher turnusgemäß ab 2011 zu einer Überarbeitung an. In die Überarbeitung flossen Erkenntnisse aus der Literatur des Zeitraums 2005 bis 2011 [Hinweis: Durch die Verfügbarkeit elektronischer Publikationen vor dem Erscheinungsdatum des gedruckten Manuskripts sind im Literaturverzeichnis auch Referenzen mit dem Erscheinungsjahr 2012 möglich, obwohl der Stichtag der Literaturanalyse in 2011 lag.], die Ergebnisse einer interdisziplinären Konsensuskonferenz (Tabelle 1) in Köln am 19.01.2012 unter Moderation und methodischer Begleitung der AWMF sowie ergänzende Beiträge im Rahmen eines Delphi-Verfahrens aus dem Zeitraum November/Dezember 2012 ein.

Fortbestehende Inhalte

Die Kernaussagen der Leitlinie, insbesondere im Hinblick auf die (zahn)medizinischen Indikationen, möglichen Indikationen und Kontraindikationen haben auch unter Würdigung der aktuellen wissenschaftlichen Literatur im wesentlichen Bestand und konnten damit, auch im formalen Konsens der Expertengruppe, ganz überwiegend fortgeschrieben werden.

Ergänzungen und Neuerungen

Wesentliche Ergänzungen betreffen Begriffsdefinitionen (prophylaktische versus therapeutische Maßnahmen), die Indikationen zur bildgebenden Diagnostik (DVT), die alternative Technik der Koronektomie und die Indikation zur Antibiotikaprophylaxe. Für diese Neuerungen wurden erläuternde Informationen in Form von Hintergrundtexten erarbeitet, die in der Langversion der Leitlinie enthalten sind. Diese Texte beschreiben die wesentlichen Änderungen und sollen hier auszugsweise wiedergegeben werden.

Hintergrund: Indikationen

Bei der Indikation zur Therapie wurde traditionell zwischen klinisch beziehungsweise radiologisch symptomlosen und symptomatischen Zähnen unterschieden. Während die Entfernung klinisch oder radiologisch symptomatischer Zähne in der Literatur weitgehend einheitlich befürwortet wird, konnte eine generelle Empfehlung zur Entfernung klinisch symptomloser Weisheitszähne nicht wissenschaftlich belegt werden. Diese strikte Einteilung nach klinischer Symptomatik kann aber nach neueren Untersuchungen nicht ohne Weiteres aufrechterhalten werden. Unabhängig von einer klinisch erkennbaren Perikoronitis und radiologisch nachweis- baren perikoronaren Aufhellungen zeigen Weisheitszähne zu einem relevanten Anteil (20 bis 60 Prozent) pathologische Veränderungen [Baycul et al., 2005; Blakey et al., 2002; Simsek-Kaya et al., 2011; Yildirim et al., 2008], die sich auch auf die parodontale Situation der angrenzenden Molaren und darüber hinaus auswirken können [Blakey et al., 2010]. Insofern erscheint eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen prophylaktischer und therapeutischer Weisheitszahnentfernung nicht mehr gerechtfertigt (Abbildung 1).

Longitudinale Untersuchungen zeigen, dass sich rund 30 Prozent der um das 18. Lebensjahr zur Entfernung vorgesehenen Weisheitszähne im weiteren Verlauf bis zum 30. Lebensjahr regulär in die Zahnreihe einstellen [Kruger et al., 2001]. Andererseits zeigen sich mit zunehmendem Alter zwei gegenläufige Entwicklungen im Hinblick auf die Komplikationen. Während die Häufigkeit von inflammatorischen Komplikationen in der Altersgruppe zwischen 18 und 35 Jahren ein Maximum hat und danach mit zunehmendem Lebensalter abnimmt [Fernandes et al., 2009], ergeben sich gleichzeitig mit zunehmendem Alter vermehrt Komplikationen bei der operativen Entfernung [Chuang et al., 2007].

Hintergrund: Bildgebung

Mit der digitalen Volumentomografie ist in den vergangenen Jahren eine dreidimen-sionale Bildgebungsmethodik für die Indikationsstellung und Behandlung innerhalb der Zahnheilkunde, Oralchirurgie und Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie umsetzbar geworden. Die Vorzüge der DVT-Diagnostik im Hinblick auf topografische Information, Auflösung und Dimensionsgenauigkeit sind in den vergangenen Jahren umfangreich beschrieben worden. Mit der Verfügbarkeit des DVT erlangt die Frage nach der Notwendigkeit einer 3-D-Diagnostik vor der operativen Weisheitszahnentfernung eine zentrale Bedeutung.

In mehreren Studien wurde gezeigt, dass das DVT geeignet ist, morphologische Besonderheiten, Lageanomalien und ins-besondere auch die fehlende Abgrenzung zwischen Zahnfach und Nervkanal darzustellen (Abbildung 2) und damit für die Einschätzung des Risikos einer Nervschädigung geeignet ist [Ghaeminia et al., 2009; Lübbers et al., 2011; Neugebauer et al., 2008; Suomalainen et al., 2010; Sursala and Dodson, 2007; Tantanapornkul et al., 2007].

Aus der Tatsache, dass diese Merkmale in der 3-D-Bildgebung gut dargestellt werden können, leiten die Autoren dann jeweils die Indikation einer präoperativen 3-D Bild- gebung ab. Daneben gibt es erste Hinweise, dass die chirurgische Vorgehensweise durch die Einbeziehung der DVT-Informationen im Einzelfall verändert werden kann [Ghaeminia et al., 2011].

Allerdings konnte bislang nicht gezeigt werden, dass der Gewinn an Informationen über die Wurzelmorphologie und die Topografie durch die 3-D-Diagnostik tatsächlich zu einer anderen operativen Vorgehensweise geführt hat und dass diese dann auch in einer verminderten Nerv-Schädigungsrate resultiert. Der Nachweis einer Verminderung des Risikos einer Nervschädigung ist aber in Anbetracht der ohnehin geringen Häufigkeit eines solchen Ereignisses unter den Rahmenbedingungen einer randomisierten Studie praktisch nicht zu führen, da plausible Annahmen für die Studien- parameter zu einer Fallzahlschätzung von jenseits 150 000 Patienten führen [Roeder et al., 2012]. Insofern kann eine Bewertung der Notwendigkeit praktisch nur unter Verwendung von Surrogatparametern, wie der Darstellung von Risikoindikatoren, erfolgen.

Hintergrund: Koronektomie

In den vergangenen Jahren ist die Methode der selektiven Kronenentfernung unter Belassen der Wurzel des Weisheitszahns neu aufgegriffen worden. Diesem Behandlungskonzept liegt die Überlegung zugrunde, bei hohem Risiko einer Verletzung des N. alveolaris inferior auf die vollständige Wurzelentfernung zu verzichten und allein die Krone und das Follikelgewebe des Weisheitszahns als Ursache der Perikoronitis zu beseitigen. Mittlerweile wurden einige Fallserien, mehrere vergleichende Kohortenstudien [Cilasun et al., 2011; Hatano et al., 2009; O´Riordan, 2004; Pogrel et al., 2004] und auch zwei prospektiv randomisierte Studien [Leung and Cheung, 2009; Renton et al., 2005] vorgestellt, die erwarten lassen, dass das Risiko der Schädigung des N. alveolaris inferior durch die Koronektomie vermindert wird. Allerdings sind die langzeitigen Folgen des Belassens von Zahnanteilen bislang nur unzureichend untersucht, so dass neben der Koronektomie mittlerweile auch Modifikationen, wie eine geplante zweizeitige Entfernung nach Teilentfernung der Zahnkrone [Landi et al., 2010], nach Teilentfernung des Knochens [Tolstunov et al., 2011] oder ergänzt durch kieferortho-pädische Maßnahmen [Wang et al., 2012] beschrieben wurden. Für die jeweiligen Modifikationen liegen aber bislang nur Erkenntnisse aus kleinen Patientenkohorten vor.

Hintergrund: Antibiotika-Prophylaxe

Die Diskussion um den Nutzen einer prophylaktischen antibiotischen Therapie begleitet jedes chirurgische Fach seit Anbeginn der antibiotischen Ära. Der Nutzen einer antibiotischen Prophylaxe im Rahmen der Weisheitszahnentfernung blieb dabei über lange Zeit umstritten. In den vergangenen Jahren haben aber sowohl methodisch gut konzipierte randomisierte Studien [Lopez-Cedrun et al., 2011; Monaco et al., 2009] als auch ein Review über 16 randomisierte Studien zu dieser Fragestellung [Ren and Malmstrom, 2007] einen Nutzen der perioperativen antibiotischen Therapie sowohl für die Reduktion der Häufigkeit alveolärer Ostitiden als auch für die Reduktion von Wundinfektionen dargestellt.

Es ergeben sich daher einige ergänzende Empfehlungen, die in Tabelle 3 zusammengefasst sind.

Als Informationsquellen stehen neben der Langfassung der Leitlinie eine Kurzversion mit den Kerninhalten und eine Patienten- information zur Verfügung. Sämtliche Dokumente können über Download-Bereiche der Bundeszahnärztekammer, der zzq, der DGZMK und der AWMF abgerufen werden. Die nächste Überarbeitung der Leitlinie ist ab dem Jahr 2017 vorgesehen.

Prof. Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- und plastische GesichtschirurgieUniversitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus BochumIn der Schornau 23-25, 44892 Bochummartin.kunkel@ruhr-uni-bochum.de

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