Gastkommentar

Klebrige Finger

Mit der Rücknahme seiner steuerlichen Verpflichtungen gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen beweist der Staat erneut, dass Versichertengelder in die Autonomie der Selbstverwaltung gehören, meint Dr. Jutta Visarius, gesundheitspolitische Fachjournalistin im LetV Verlag.

Im März wird das Bundeskabinett das GKV-Finanz- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz, kurz das GKV-FQWG (haben Sie schon einmal versucht, dieses Wort auszusprechen?) beschließen, das weitgehend den Vorgaben des Koalitionsvertrags entspricht. Das BMG will nach eigenem Bekunden mit diesem Gesetz die Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung nachhaltig stärken, auf eine dauerhaft solide Basis stellen, den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich in den Bereichen Krankengeld und Auslandsversicherte weiterentwickeln, die Annualisierung der Kosten für Verstorbene auf Grundlage der Rechtsprechung umsetzen und ein Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen gründen. Dies alles klingt positiv und man kann den genannten Zielen nur zustimmen.

Die Weichen für die GKV-Finanzierung werden neu gestellt. Die Krankenkassen erhalten ihre  Beitragsautonomie entgegen anderslautender Beteuerungen nicht zurück, sie werden nach wie vor aus dem Fonds bedient.

Der Beitragssatz wird auf 14,6 Prozent festgeschrieben, damit auch der Arbeitgeberbeitrag. Jene 0,9 Prozent, die der Beitragszahler allein tragen muss, werden entfallen. Damit entsteht eine aktuelle Unterdeckung von elf Milliarden Euro, die die Krankenkassen durch einkommensbezogene Zusatzbeiträge kompensieren müssen, das heißt, der Versicherte zahlt, und zwar allein.

Der Staat dagegen entlastet sich durch die Bezieher von Arbeitslosengeld II von 2015 bis 2018 um 1,02 Milliarden Euro, durch den Wegfall des Sozialausgleichs von 2015 bis 2018 um 3,8 Milliarden und durch die Kürzung des Bundeszuschusses von 2014 bis 2018 um fünf Milliarden Euro. Das macht summa summarum 9,82 Milliarden Euro, ein nettes Sümmchen!

Hermann Gröhe hat in einem kurzen Statement erklärt, dass man in wirtschaftlich guten Zeiten zur Haushaltssanierung in die Liquiditätsreserve greifen darf.

Jens Spahn hat vorsichtig Bedenken angemeldet, weil mit diesen Geldern Wahlversprechen wie die Mütterrente und die Frühverrentung in der Rentenversicherung finanziert werden sollen. Das alles bezahlt der Beitragszahler dann mit seinen Zusatzbeiträgen, der, nebenbei bemerkt, der Steuerzahler ist, dem versprochen wurde, dass es keine Steuererhöhungen geben wird.

Erinnern Sie sich, wie allen bei der letzten GKV-Finanzierungsreform versichert wurde, dass der Bundeszuschuss als Ausgleich für versicherungsfremde Leistungen so sicher ist wie das Amen in der Kirche? Wieder einmal hat die Politik unter Beweis gestellt, dass auf sie kein Verlass ist. Der Staat ist ein unsicherer Gesell, dem man keinen Zugriff auf Versichertengelder ermöglichen darf. Dies ist ein Grund, warum Versichertengelder in Beitragsautonomie besser bei den Krankenkassen aufgehoben sind. Es lebe die Selbstverwaltung, sie ist nicht perfekt, aber vertrauenswürdiger als Staat und Politik. Dieses Finanzmanöver hat noch eine zweite Seite: Wenn Zusatzbeiträge erhoben werden müssen – und dies wird der Fall sein –, werden die Krankenkassen alles daran setzen, so wenig Geld wie möglich auszugeben. Das werden auch die Leistungserbringer spüren. Sie können sich dafür bei der Politik bedanken.

Der Entwurf des GKV-FQWG birgt noch weitere Gefahren. Qualität und Qualitätssicherung sind die Leitthemen dieser Regierung für die Gesundheitspolitik. Auch dies klingt positiv. Ein neu zu gründendes Qualitätsinstitut soll dem GBA, der für Qualitätskriterien und Qualitätsvorgaben zuständig ist, zuarbeiten. Sicherlich wird dieses Institut hervorragende Arbeit leisten, aber die Versorgung nicht preiswerter machen.

Das alles ist in Zeiten guter Konjunktur durchaus vertretbar. Aber was geschieht, wenn uns die nächste Finanz- oder Wirtschaftskrise ereilt?

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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