Der besondere Trauma-Fall

Luxation und Avulsion – extraoral behandelt

221404-flexible-1900
Heftarchiv Zahnmedizin
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Nach einem Zusammenstoß mit einem Auto auf dem Schulweg mit dem Fahrrad wurde ein zehnjähriger Junge in der Zahnklinik in Mainz mit seiner Mutter vorstellig. Der Patient trug einen Helm und zeigte anamnestisch und klinisch keine Commotiozeichen. Ein ausreichender Tetanusschutz bestand. Extraoral waren keine Frakturzeichen festzustellen. Sie hatten den herausgeschlagenen Zahn 11 in einer Dose mit Kochsalzlösung gelagert. Die exakte extra-orale Verweildauer war unklar. Intraoral zeigte sich der Zahn 21 als ins Vestibulum avulsiert und war minimal gingival gestielt. Die Alveolenwände zeigten sich bei Inspektion intakt. Der Zahn 12 war minimal intrudiert und reagierte desensibel auf den Kältetest. Die übrigen Zähne reagierten vital. In der angefertigten Panoramaaufnahme waren keine Anzeichen auf Knochenfrakturen zu erkennen (Abbildung 1). Aufgrund der starken Verschmutzung des avulsierten Zahnes 11 und der schlechten Compliance des Patienten wurde nach 30-minütiger Lagerung der Zähne in Dentosafe (Abbildung 2) die Entscheidung zur extraoralen Wurzelbehandlung an Zahn 11 und 21 getroffen.

Die Zähne wurden dazu mit einer Unterkiefer-Prämolaren-Zange an der Krone gehalten, um ein berührungsloses Arbeiten zu ermöglichen. Nach wassergekühlter Trepanation mit einem zylindrischen Diamanten wurden beide Zähne mittels Mtwo (VDW GmbH, München) bis auf ISO Größe 40 maschinell aufbereitet und mit Apexit (Ivoclar Vivadent, Ellwangen), α-Guttapercha Größe 40.06 und BeeFill (VDW GmbH, München) wurzelgefüllt. Zur Spülung wurde isotonische Kochsalzlösung verwendet, um das Desmodont nicht weiter zu traumatisieren. Beide Zähne wurden nach zwischenzeitlicher Lagerung in Dentosafe, das mit 100 mg Doxycyclin zur Resorptionsprophylaxe angereichert wurde, koronal mit VenusFlow in Säureätztechnik verschlossen. Nach vorsichtiger Reinigung der Alveolen von Koagelresten und Replantation erfolgte eine Schienung der betroffenen Zähne mittels Draht-Komposit-Schiene für 14 Tage (Abbildung 3). Systemisch erfolgte eine Antibiose mit Cefuroxim CT 125mg 2–0–2.

Die weitere Verlaufskontrolle mit Vitalitätsprüfungen im Abstand von einer Woche, einem Monat, drei Monaten, sechs Monaten und einem Jahr zeigten an Zahn 12 keine Rückkehr der Sensibilität. Die Röntgenbilder in den Abständen von drei Monaten, sechs Monaten und einem Jahr (Abbildung 4) zeigten eine zunehmende Obliteration des Pulpenkavums an Zahn 12 und ein fortschreitendes Wurzelwachstum, was für eine anhaltende Vitalität des Zahnes spricht. Anzeichen für eine Ankylose oder eine externe Wurzelresorption waren nicht zu beobachten.

Diskussion

Im vorliegenden Fall wurde der verlorene Zahn 11 in einer Dose mit Wasser mit unklarer extraoraler Verweildauer gelagert (am besten wäre hier H-Milch geeignet). Zahn 21, ins Vestibulum avulsiert, war somit mit Speichel kontaminiert. Wenn der Zahn in einem physiologischen Aufbewahrungsmedium bis zum Eintreffen beim Zahnarzt gelagert wird, sollte die Wurzeloberfläche mit physiologischer Kochsalzlösung gespült werden und daraufhin nach Applikation einer Lokalanästhesie manuell in seine Alveole reponiert werden [Andersson et al., 2012]. Eine flexible Draht-Komposit-Schiene sowie die systemische Antibiose sind obligatorisch. Sieben Tage später soll vor der Splintentfernung eine Wurzelkanalbehandlung eingeleitet werden.

Sind die parodontalen Ligamentzellen (PDL-Zellen) aber aufgrund trockener Lagerung über 60 Minuten, Verschmutzung und bakterieller Kontamination oder aufgrund Lagerung in einem unphysiologischen Medium kompromittiert, hat der Zahn eine deutlich schlechtere Prognose, wobei Ankylose und Ersatzresorption drohen. Das avitale Gewebe auf der Wurzeloberfläche sollte entfernt, der Zahn mit Bifluorid zur Resorptionsprophylaxe imprägniert und eine extraorale Wurzelbehandlung durchgeführt werden [Ingle, 2008; Andersson et al. 2012].

Einige Autoren empfehlen die Behandlung der Wurzeloberfläche mit Fluoriden [Panzerini et al., 2008; Selvig et al., 1992] zur Verhinderung einer entzündlichen Resorption, andere wiederum favorisieren die komplette Entfernung des Periodontalligaments [Panzerini et al., 2008]. Eine weitere Möglichkeit der antiresorptiven Therapie besteht in der Applikation von Glukokortikoiden, Schmelzmatrixproteinen [Pohl et al., 2005] oder Tetrazyklinen [Bjorvatn et al., 1989; Cvek et al., 1990]. Da die Zähne im vorliegenden Fall in einem feuchten Medium gelagert waren, aber trotzdem von einer starken bakteriellen Kontamination ausgegangen werden musste, wurden beide extra-oral trepaniert und immediär in einer Nährlösung mit Doxycyclin aufbewahrt. Daraufhin erfolgte die oben beschriebene Vorgehensweise. Bei Luxationsverletzungen mit hohem Dislokationsgrad, etwa laterale Luxation, Intrusion oder Avulsion, ist mit einem Abriss des apikalen Gefäßnervenstrangs zu rechnen. In diesen Fällen sollte bei bereits abgeschlossenem Wurzelwachstum eine Wurzelbehandlung zur Resorptionsprophylaxe eingeleitet werden [Andersson et al., 2012]. Eine systemische Antibiose unterstützt dabei die physiologische Einheilung und die Ausbreitung der ins Periodontalligament vorgedrungenen Bakterien.

PD Dr. Dan D. BrüllmannPoliklinik für OralchirurgieUniversitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität MainzAugustusplatz 255131 Mainzbruellmd@uni-mainz.de

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