Chronische Schmerzen

Volkskrankheit mit Systemversagen

Rund 17 Prozent der Bevölkerung in Deutschland leiden an Schmerzen. Experten auf dem Jahreskongress der Schmerzmediziner monierten massive Defizite in der Versorgung und fordern die gemeinsame Selbstverwaltung zum Handeln auf.

Laut einer Studie der Barmer GEK geben etwa sieben Prozent der Erwachsenen und fünf Prozent der Kinder schwer beeinträchtigende Schmerzen im Alltag an. Vor einer Zuspitzung der bereits in weiten Teilen Deutschlands existierenden Unterversorgung von Patienten mit chronischen Schmerzen warnte der Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD) im Rahmen seines Jahreskongresses in Berlin.

Zu wenig Schmerzmediziner

Schmerzen als Volkskrankheit nehmen einen Spitzenplatz bei den Krankheitsfehltagen und bei den Neuzugängen der Erwerbsunfähigkeit ein. Der volkswirtschaftliche Schaden, der durch chronische Schmerzen verursacht wird, ist nach Angaben der Bundesregierung (2013) hoch: zwischen 20,5 und knapp 29 Milliarden Euro, bezogen auf Kosten für Behandlung, Medikamente und Rehabilitation sowie durch indirekte Kosten durch vorzeitige Verrentung oder Arbeitsunfähigkeit. Doch nur 1 043 ambulant tätige Vertragsärzte nehmen an der Schmerztherapie-Vereinbarung der KBV teil. Lediglich 381 von ihnen betreuen ausschließlich Schmerzpatienten. „1,5 bis 2 Millionen Patienten haben schwere und hochproblematische Schmerzen. Unser Gesundheitssystem ist nicht auf diesen Bedarf ausgerichtet. Wir haben schlicht zu wenig Schmerzmediziner“, kritisierte Joachim Nadstawek, BVSD-Vorsitzender. Die Schmerzmedizin in Deutschland stehe zudem vor einem akuten Nachwuchsproblem: „In sechs Jahren werden etwa zwei Drittel der heute ambulant tätigen Schmerzmediziner in den Ruhestand gehen. Die andauernden Unsicherheiten der Honorarsituation verschärfen diese Problematik zusätzlich, weil somit wenige Anreize für niedergelassene Ärzte bestehen, sich für Schmerzpatienten zu engagieren“, sagte Nadstawek.

Politische Rückendeckung aus der Opposition

Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Maria Klein-Schmeink sieht Belege für „ein Systemversagen in der schmerztherapeutischen Versorgung, das wir benennen müssen“. Sie will sich zukünftig für mehr Versorgungsforschung und Modellprojekte engagieren, die „sichtbare Impulse für die Regelversorgung setzen“. Harald Weinberg, gesundheitspolitischer Sprecher der Linken, sicherte gleichfalls seine Unterstützung zu: „Wir werden als Opposition unsere Mittel der politischen Einflussnahme geltend machen und eine entsprechende Anhörung im Bundestags-Gesundheitsausschuss initiieren.“ In Richtung der gemeinsamen Selbstverwaltung appellierten beide Politiker, geeignete Lösungswege umzusetzen. Vertreter der Regierungskoalition waren nicht zur Diskussionsrunde erschienen.

Vorschläge für eine Verbesserung der Versorgungssituation liegen nach Meinung des BVSD seit Langem auf dem Tisch. „Wir brauchen strukturelle Veränderungen, um die unterschiedlichen Versorgungsebenen stärker zu verbinden und die in vielen KV- Bereichen ungenügende Vergütungsproblematik spezieller schmerztherapeutischer Leistungen zu lösen. Immer wieder wird die Schmerzmedizin zum Spielball politischer Verteilungskämpfe von Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen. Die Besonderheiten, unter denen ambulante Schmerztherapie erbracht wird, müssen zukünftig stärker berücksichtigt werden“, forderte der BVSD-Vorsitzende.

KBV und Krankenkassen gefordert

Dass das Gesundheitswesen hier an Systemgrenzen stößt, machte die Diskussion zwischen den Vertretern der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der gesetzlichen Krankenkassen deutlich. Nach Ulrich Casser, KBV-Honorardezernent, liegt die Crux in der EBM-Architektur, die Honorare den jeweiligen Fachgebieten zuordnet. Da die Schmerzmedizin jedoch kein eigenes Fachgebiet sei, sondern „typisches Querschnittsfach“, müsste „pauschaliertes Geld für die Schmerztherapie anderen Fachgruppen entzogen“ werden. Einziger Ausweg sei eine Ausdeckelung der Honorare für schmerztherapeutische Leistungen, so Casser. Thomas Bodmer, Vorstandsmitglied der Krankenkasse DAK-Gesundheit, machte klar, dass dieser Weg für ihn „nur kostenneutral akzeptabel“ sei.

Aufgrund der in der Schmerztherapie-Vereinbarung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vorgegebenen Fallzahllimitierung und der Begrenzung der Fallzahlen können nur maximal 300 Fälle je Arzt im Quartal versorgt werden. Dies diene der Therapiequalität, sei dem hohen zeitlichen Aufwand geschuldet und solle auch nicht verändert werden, erklärte Nadstawek. „Wenn wir jedoch nicht einen Schutzraum für die Schmerztherapie schaffen, wird sich die Versorgungslage von chronischen Schmerzpatienten auch durch den fehlenden Nachwuchs von ausgebildeten Schmerztherapeuten noch weiter verschlechtern.“

Der BVSD fordert mit der Herauslösung des EBM-Kapitels 30.7.1 aus der morbiditäts-orientierten Gesamtvergütung eine bundeseinheitliche Honorierung für die Teilnehmer an der Qualitätssicherungsvereinbarung zur schmerztherapeutischen Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten gemäß § 135 Abs. 2 SGB V.

Wolfgang StraßmeirFachjournalist für Gesundheitws@pressebuerogesundheit.de

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