Repetitorium Zöliakie

Das Chamäleon der Gastroenterologie

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Ein Krankheitsbild, das in seiner Häufigkeit und in seiner Bedeutung noch weit unterschätzt wird, ist die Zöliakie. Die Dunkelziffer der Erkrankung, bei der die Betroffenen auf den Verzehr von Gluten mit Entzündungen im Dünndarm reagieren, ist mit bis zu 90 Prozent sehr hoch. Eine Ursache hierfür ist der nicht selten subklinische Verlauf. Ein anderer Grund liegt darin, dass sich die facettenreiche Erkrankung mit einer Vielzahl extraintestinaler Symptome manifestieren kann, so dass oft auch vom „Chamäleon in der Gastroenterologie“ die Rede ist.

Weltweit leidet rund ein Prozent der Bevölkerung unter einer Zöliakie. Die Prävalenz ist jedoch regional unterschiedlich, ohne dass die Gründe hierfür genau bekannt sind. In Deutschland wird die Häufigkeit der entzündlichen Erkrankung des Dünndarms auf knapp 0,5 Prozent geschätzt. Allerdings weiß die Mehrzahl der Betroffenen nicht, dass sie eine Glutenunverträglichkeit hat.

Denn an die Zöliakie, früher auch als „einheimische Sprue“ bezeichnet, wird vor allem bei Kindern mit Wachstums- und Gedeihstörungen und allgemeinen Anzeichen einer Malabsorption gedacht. Die Erkrankung wurde lange als relativ seltene, sich im Kindesalter bereits manifestierende Störung angesehen. Das hat sich dank verbesserter Diagnosemöglichkeiten inzwischen geändert, was bereits zu einer Verschiebung des Diagnosealters bis ins Erwachsenenalter geführt hat.

Neun von zehn Fällen werden nicht erkannt

Dennoch steht die Zöliakie bislang kaum im diagnostischen Fokus bei Erwachsenen, die normgewichtig sind, an einem Diabetes mellitus oder an einer Schilddrüsenerkrankung leiden. Auch Patienten, die über Müdigkeit, Leistungsschwäche und Durchfälle klagen oder die häufig Gelenkentzündungen, chronische Hauterkrankungen oder immer wieder Aphthen im Mundbereich aufweisen, können betroffen sein. Denn all diese Symptome und Erkrankungen können auf eine Zöliakie hinweisen, wie internationale Experten bei einem Falk-Symposium in Amsterdam berichteten.

Charakteristisch für die Zöliakie sind Beschwerden wie eine Dyspepsie, Flatulenz und ein Wechsel der Stuhlgewohnheiten. Doch auch Schlaflosigkeit und eine Obstipation, eine Osteopenie und eine Osteoporose können als Folge respektive im Zusammenhang mit einer Glutenunverträglichkeit auftreten. An eine Zöliakie zu denken ist ferner bei einer unspezifischen Erhöhung der Leberwerte, bei neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen von der Migräne über die Epilepsie bis hin zur Depression und zu Angststörungen. Auch Hautveränderungen wie die Dermatitis herpetiformis und die Psoriasis können Hinweise auf eine Zöliakie sein.

Deshalb muss auch bei extraintestinalen Symptomen und Erkrankungen unbedingt differenzialdiagnostisch die Möglichkeit einer Zöliakie in Betracht gezogen werden. Denn das Erkennen der Glutenunverträglichkeit und eine entsprechende Behandlung sind wichtig, da eine ausgeprägte Assoziation zu Autoimmunerkrankungen, etwa der rheumatoiden Arthritis, dem Diabetes mellitus, einer Autoimmunhepatitis, einer Autoimmunthyreoiditis, den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und anderen mehr, bekannt ist. Damit besteht auch die Gefahr, dass eine fortgesetzte Glutenexposition die Entwicklung solcher Erkrankungen triggern kann.

Fehlgerichtete Immunreaktion

Erstmals beschrieben wurde die Zöliakie in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als der niederländische Pädiater K. W. Dicke einen Zusammenhang der Symptomatik zur Aufnahme von Weizen mit der Nahrung erkannte. Ähnlich wie bei den etablierten chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie dem Morbus Crohn und der Colitis ulcerosa handelt es sich auch bei der Zöliakie um eine lebenslange, chronisch-entzündliche Darmerkrankung. Vor dem Hintergrund einer genetischen Prädisposition kommt es dabei zu einer fehlgerichteten Immunantwort auf Bestandteile von Gluten, das als Klebereiweiß in vielen Getreidesorten, allen voran Weizen, enthalten ist.

Die Immunreaktion bedingt primär entzündliche Veränderungen im Dünndarm, kann jedoch entsprechend der Angaben in den aktuellen Leitlinien auch systemische Komplikationen hervorrufen. In der Folge kommt es zu einer Zottenatrophie der Dünndarmschleimhaut mit Kryptenhyperplasie und damit zu einer Reduktion der resorptiven Oberfläche im Darm. Den Betroffenen droht damit eine Malabsorption von Nährstoffen, was seinerseits Komplikationen und Folgeerkrankungen nach sich ziehen kann.

Es ist, so heißt es in den Leitlinien, zwischen einer potenziellen, einer subklinischen, einer symptomatischen, einer klassischen und einer refraktären Krankheitsform zu differenzieren. Bei der klassischen Form liegt neben potenziellen anderen Symptomen ein Malabsorptionssyndrom vor. Das ist bei der symptomatischen wie bei der potenziellen Form nicht zwingend erforderlich. Charakteristisch für alle Krankheitsformen aber ist der positive Nachweis von spezifischen Antikörpern gegen Glutenbestandteile, von Gliadin sowie von Antikörpern gegen das abbauende Enzym Tissue-Transglutaminase.

Verknüpfung von Genetik und Umweltfaktoren

Charakteristisch ist ferner die Assoziation zum HLA-System und speziell den Allelen HLA-DQ2 und HLA-DQ8. So sind von einer Zöliakie fast ausschließlich Menschen mit den HLA-Risikogenen DQ2 und/oder DQ8 betroffen. Gemäß den Zöliakie-Leitlinien sind das in Deutschland rund 30 Prozent der Bevölkerung. Doch nur weniger als fünf Prozent der Betroffenen entwickeln eine glutenabhängige Enteropathie.

Folglich müssen Umweltfaktoren hinzukommen, damit sich das Krankheitsbild manifestiert. Als potenzielle Einflussfaktoren werden Infektionen diskutiert, die Ernährung, insbesondere die frühkindliche Ernährung, wie auch psychosoziale Faktoren. Eindeutige Forschungsergebnisse zu dieser Frage aber fehlen bislang.

Antikörpertest sichert die Diagnose

Besteht klinisch der Verdacht auf eine Zöliakie, so erfolgt die Diagnosestellung anhand serologischer Untersuchungen, beispielsweise durch einen Test auf Transglutaminase-Ig-Antikörper (TG-IgA-Ak). Die Antikörpertests sollten bei Kindern wie Erwachsenen vor und unter einer Glutenbelastung erfolgen. Bei ausgeprägten Symptomen ist zeitnah eine Biopsie angezeigt.

Eine Glutenbelastung zur Bestätigung der Zöliakie ist ganz allgemein nicht notwendig, kann in Zweifelsfällen aber hilfreich sein. Die Leitlinien empfehlen eine solche Maßnahme bei Zweifeln an der initialen Diagnose, bei negativen, Zöliakie-spezifischen Antikörpern oder bei einer untypischen Konstellation bei der initialen Diagnostik und auch, wenn von den Betroffenen oder deren Eltern ein entsprechender Wunsch geäußert wird.

Generelles Screening im Kindesalter

Unabhängig davon sprechen sich die Leitlinien für Screeninguntersuchungen bei Personen mit erhöhtem Zöliakierisiko aus. Deshalb sollte, so die Vorgaben, Menschen mit einem engen Verwandten, der an einer Zöliakie leidet, unbedingt ein entsprechender Test angeboten werden. Ebenso sollten Kinder und Jugendliche mit Typ-I-Diabetes bei der Diagnosestellung und in der Folge bis zum 18. Lebensjahr alle ein bis zwei Jahre auf eine Zöliakie hin untersucht werden. Bei Erwachsenen ist mindestens einmal ein Antikörpertest angezeigt, wenn nicht die Untersuchungen schon in der Kindheit oder Jugend durchgeführt wurden. Ergibt sich bei Risikopersonen eine positive Serologie, ist laut Leitlinie die Diagnose durch eine histologische Untersuchung der Dünndarmschleimhaut zu sichern.

Ein generelles Screening bei Neugeborenen oder Kleinkindern ist derzeit nicht vorgesehen, wird aber wegen der Häufigkeit der Erkrankung, deren Bedeutung und auch wegen der hohen Dunkelziffer von nationalen und internationalen Experten gefordert.

Behandlung der Zöliakie

Eine medikamentöse Therapie der Zöliakie ist nicht verfügbar, die einzige effektive Therapieoption besteht bislang in einer glutenfreien Ernährung. Ziel dieser Maßnahme ist zum einen die Besserung gastrointestinaler wie auch extraintestinaler Beschwerden und somit auch eine Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität.

Die Behandlung zielt außerdem darauf ab, eine Reduktion des Risikos von Krankheitskomplikationen zu erwirken. Dazu gehören das Triggern von Begleit- und Folgeerkrankungen wie zum Beispiel einer Osteopenie, einer Osteoporose oder sogar eines Lymphoms, aber auch das Verhindern einer Mangelernährung mit den damit verbundenen Risiken wie etwa dem Auftreten einer Anämie. Bei Kindern geht es ferner darum, Gedeihstörungen und Wachstumsverzögerungen zu verhindern.

Die Auswirkungen der Zöliakie bessern sich bei streng glutenfreier Kost unterschiedlich schnell. Innerhalb weniger Wochen bis Monate kann bei Kindern eine Malnutrition ausgeglichen und der Ernährungsstatus normalisiert werden. Auch eine verminderte Wachstumsgeschwindigkeit wird innerhalb von sechs Monaten korrigiert, so heißt es in den Leitlinien. Die Kinder zeigen unter der glutenfreien Kost sogar oftmals ein Aufholwachstum. Eine frühzeitige Diagnosestellung ist wichtig, damit die Kinder und Jugendlichen eine normale Endgröße erreichen.

Langwieriger vollziehen sich oft Besserungen – vor allem der extraintestinalen Symptome– bei Erwachsenen. So kann es Jahre dauern, ehe eine Reduktion neurologischer oder psychiatrischer Auffälligkeiten zu registrieren ist, und auch bei bereits manifesten Begleiterkrankungen wie einer Osteoporose ist – wenn überhaupt – eine Besserung des Status erst nach langjähriger glutenfreier Ernährung zu erwarten.

Da die Zöliakie auf dem Boden eines gene-tischen Hintergrunds entsteht, ist zudem lebenslang eine glutenfreie Kost erforderlich.

Glutenhaltige und glutenfreie Lebensmittel

Ziel ist deshalb eine möglichst strikt glutenfreie Ernährung. Gluten ist insbesondere enthalten in Weizen, Dinkel, Roggen, Hafer, Gerste und Grünkern. Lebensmittel, die diese Getreide auch nur in Spuren aufweisen, sind damit, so eine Information der Deutschen Zöliakie Gesellschaft e.V. (DZG), für Personen mit der Erkrankung ungeeignet. In unverarbeitetem Zustand glutenfrei sind nach Angaben der Gesellschaft Obst und Gemüse, Kartoffeln, Salate, Milch und Naturjoghurt, Butter, Naturkäse, Pflanzenöle, Fleisch, Fisch und Meeresprodukte, Zucker und Konfitüren, Hülsenfrüchte, Eier und als Getreidesorten Reis, Mais sowie Hirse, Buchweizen, Amaranth und Quinoa.

Probleme gibt es bei der Ernährung jedoch auch beim Verzehr solcher Nahrungsmittel, wenn diese verstecktes Gluten enthalten. Damit ist nach Angaben der DZG zu rechnen bei gebundenen Soßen und Suppen, bei Fertiggerichten, Pudding, Pommes frites und Kroketten, bei Wurst und Würstchen, bei Frischkäsezubereitungen mit Kräutern, bei Eis, Schokolade, Milchprodukten mit Früchten sowie bei Gewürzmischungen und vielen anderen Lebensmitteln. Denn aus Gründen der Lebensmitteltechnologie werden heutzutage vielen Halbfertig- und Fertigprodukten glutenhaltige Bestandteile wie zum Beispiel Weizenstärke und Weizenkleie zugegeben.

Das zeigt, wie schwierig es für die Betroffenen ist, sich strikt glutenfrei zu ernähren. „Ein Besuch in einem normalen Restaurant ist kaum möglich“, sagt Prof. Dr. Dr. Detlef Schuppan aus Mainz. Daher wird intensiv an der Entwicklung einer medikamentösen Therapie gearbeitet. Erfolg versprechend scheint vor allem die Entwicklung von Glutenasen zu sein, die das mit der Nahrung aufgenommene Gluten abbauen. Zwar werden sich die Betroffenen, auch wenn eine solche Option verfügbar wird, weiterhin glutenfrei ernähren müssen. Die Enzymtherapie aber könnte helfen, geringe Mengen an Klebereiweiß, wie sie in Form des versteckten Glutens aufgenommen werden, unschädlich zu machen. Dann könnte es wahrscheinlich Menschen mit Zöliakie, die sich strikt glutenfrei ernähren müssen, zumindest wieder möglich werden, gelegentlich unbesorgt ein Restaurant zu besuchen.

Refraktäre Zöliakie – hohes Lymphomrisiko

Von einer refraktären Zöliakie ist auszugehen, wenn sich die Symptomatik auch bei streng glutenfreier Ernährung nicht bessert. Es handelt sich um ein seltenes, aber schwerwiegendes Krankheitsbild. Betroffen sind ein bis zwei Prozent der Patienten mit Zöliakie.

Kommt es bei vermeintlich glutenfreier Ernährung langfristig nicht zu einer Besserung der Symptomatik, so ist zunächst die Compliance des Patienten genau zu hinterfragen. Außerdem ist die Richtigkeit der Diagnose zu überprüfen.

An eine refraktäre Zöliakie ist dabei stets zu denken, wenn es trotz glutenfreier Ernährung zum Persistieren oder Wiederauftreten einer anhaltenden Diarrhoe kommt, wenn ein unklarer Gewichtsverlust auftritt oder wenn die Körpertemperatur sich auffällig erhöht. Und auch wenn ein Patient angibt, häufig müde zu sein und sich nicht mehr so leistungsfähig wie gewohnt zu fühlen und/oder unter Nachtschweiß zu leiden, muss die refraktäre Zöliakie in Betracht gezogen werden.

Bei dieser Krankheitsform besteht ein deutlich erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Lymphoms. Die Patienten sollten deshalb, so die Leitlinien-Empfehlung, in einem spezialisierten Zentrum betreut werden.

Nützliche Maßnahmen zur Prävention

Eine gezielte Prävention der Zöliakie scheint kaum möglich zu sein, allerdings gibt es Hinweise, dass die frühkindliche Ernährung das Krankheitsrisiko beeinflusst. Protektiv ist dabei offenbar das Stillen. Gluten sollte bei Kindern nur in kleinen Mengen mit der Beikost gegeben werden.

Das sollte, so raten die Leitlinien, nicht vor der 17. und nicht nach der 26. Lebenswoche geschehen. Während der Einführung von Gluten in die Nahrung sollten die Kinder möglichst weiter gestillt werden.

Ebenfalls unterschätzt: Die Weizensensitivität

Neben der Zöliakie gibt es mit der Weizensensitivität ein weiteres Krankheitsbild, das noch weitgehend unterschätzt wird. Es handelt sich dabei nicht um eine Allergie und die Betroffenen reagieren nicht auf Klebereiweiß, sondern vielmehr auf andere Inhaltstoffe des Weizens wie die Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs).

Auch bei der Weizensensitivität besteht die einzige Therapieoption bislang darin, den Verzehr von Weizen und weizenhaltigen Lebensmitteln strikt zu vermeiden. Im Vergleich zur Zöliakie sind allerdings ungleich mehr Menschen betroffen. Denn die Prävalenz der Weizensensitivität und weiterer weizenabhängiger Erkrankungen wie einer Weizenallergie schätzen die Experten auf etwa sieben Prozent der Bevölkerung. Umfragen unter Erwachsenen zufolge sind sogar bis zu 13 Prozent der Bevölkerung betroffen.

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