Der besondere Fall

Kiefergelenksschmerz durch Metastase

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Heftarchiv Zahnmedizin
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Dieser Fall präsentiert ein seltenes Beispiel für artikulationsunabhängige Kiefergelenksschmerzen aufgrund der Erstmanifestation einer Metastase im Kopf-Hals-Bereich.

Eine 58-jährige Patienten stellte sich beim zahnärztlichen Notdienst mit Schmerzen im linken Kiefergelenk vor, die intermittierend seit ungefähr fünf Wochen bestehen würden und progredient in ihrer Intensität seien.

Bei der Erstuntersuchung zeigten sich eine nicht verschiebliche, derbe Schwellung und eine Rötung der linken Gesichtshälfte mit punctum maximum präaurikulär über der Glandula parotis und geringer Druckschmerzhaftigkeit. Es zeigten sich keine zervikalen Lymphknotenschwellungen. Anamnestische oder klinische Hinweise auf Allgemeinsymptome wie Fieber oder Schüttelfrost ergaben sich nicht.

Weder ein Gelenkreiben noch ein -knacken über den Kiefergelenken ließen sich feststellen. Es bestand eine regelrechte Okklusion und es gab keinerlei Schlifffacetten als Hinweis auf Bruxismus. Der Ausführungsgang der Ohrspeicheldrüse wies keinen pathologischen Ausfluss auf.

Intraoral zeigte sich ein stark sanierungsbedürftiges Gebiss, bei dem die vorbehandelten Zähne 26 und 27 als kariös zerstört imponierten, so dass zunächst der klinische Verdacht auf ein entzündliches Infiltrat dentogener Ursache bestand.

Diagnostisch wurde zunächst ein Orthopantomogramm veranlasst, das multiple apikale Aufhellungen des Zahnapparats zeigte (Abbildung 1) und klinisch eine dentogene Genese weiter wahrscheinlich erscheinen ließ.

Daraufhin wurde die Verdachtsdiagnose eines dentogenen Abszesses gestellt und intraoral eine Inzision vestibulär des Zahnes 27 vorgenommen, woraufhin sich kein Pus entleerte. Weiterhin wurde ein Antibiotikum (Ampicillin und Sulbactam 750 mg 1-0-1) rezeptiert und eine engmaschige klinische Kontrolle durchgeführt.

Bei persistierendem Befund wurde am dritten Tag post incisionem eine erneute Bildgebung des Kopf-Hals-Gebiets mittels kontrastmittelgestützter Computertomografie durchgeführt. Hierbei imponierte eine 4,8 cm x 5,3 cm große, malignom-suspekte Raumforderung im Bereich der linken Glandula parotis (Abbildung 2).

Daraufhin wurde die Bildgebung durch ein CT des Thorax und des Abdomens ergänzt, auf dem sich zusätzlich multiple malignomverdächtige Raumforderungen in der Lunge (Abbildung 3a) und in beiden Nieren (Abbildung 3b) zeigten.

Nach klinischer Diskussion des Falles in der interdisziplinären Tumorkonferenz erfolgte eine Gewebebiopsie des Befunds von intra-oral.

Histologisch zeigte sich ein klarzelliges, entdifferenziertes Karzinom, das nach immunhistologischer Untersuchung als Nierenzellkarzinom diagnostiziert werden konnte. Daraufhin wurde die Patientin durch die Kollegen der Urologie übernommen und dort fortan palliativ mittels systemischer Chemotherapie behandelt.

Diskussion

Die unspezifischen Symptome der Patientin mit unregelmäßigen Schmerzen, Rötung und Schwellung der linken Wangenregion, einhergehend mit einem stark sanierungsbedürftigem Gebiss können – wie auch in diesem Fall geschehen – zunächst an einen dentogenen Abszess denken lassen (Kardinalsymptome: rubor, tumor, functio laesa, calor, dolor – Rötung, Schwellung, Funktionseinschränkung, Überwärmung, Schmerz).

Allerdings sprechen eine gering ausgeprägte Schmerzsymptomatik sowie der subakute Verlauf eher gegen diese Diagnose.

Systemische Erkrankungen wie zum Beispiel virale Infektionen oder Autoimmunerkrankungen sind wegen des unilateralen Erscheinungsbildes und des klinischen Verlaufs wenig wahrscheinlich.

Auch eine Parotitis bei Sialolithiasis er-scheint bei subakuter Verlaufsform wenig wahrscheinlich. Hierbei kann ein intermittierender Verlauf durch spontanen Steinabgang anamnestisch auffällig sein [Strutz, 2010]. Die Schwellung wäre in diesem Fall hoch druckdolent und mit eitrig exprimierbarem Speichel verbunden. Im beschriebenen Fall stellte sich der Tumor jedoch wenig druckdolent und ohne pathologische Sekretion der Parotis dar.

Gutartige Tumoren der Speicheldrüsen wachsen in der Regel langsamer und zeigen eine deutlich längere Anamnese, sind gut verschieblich und abgrenzbar, sollten aber trotzdem aufgrund einer potenziellen Entartung entfernt werden [Strutz, 2010].

Fernmetastasen im Bereich der Mundhöhle und der Wangen sind selten. Sie ereignen sich mit einer Rate von etwa einem Prozent aller kanzerösen Geschehen im Mundbereich und betreffen meist arterielle Endstrombereiche [Jain, 2013]. Die häufigsten Primärtumoren stammen aus dem Bereich der Lunge, der Mamma, der Niere und des Dickdarms [Jain, 2013]. Bei ungefähr einem Drittel der Patienten ist die Metastase die klinische Erstmanifestation des Tumors [Jain, 2013].

Klinisch entsprachen vor allem die Eigenschaften einer derben, auf der Unterlage nicht verschieblichen und wenig druckdolenten Schwellung den typischen Charakteristika eines Malignoms. Auch der subakute Verlauf mit progredientem Wachstum sowie das Nichtansprechen auf eine antibiotische Therapie können ex-post als Hinweise auf eine neoplastische Raumforderung interpretiert werden.

Auch in anderen Fallberichten über Patienten mit Fernmetastasen im Wangenbereich sind weitere Fernmetastasen vorhanden. In diesen Fällen ist oftmals nur ein palliativer Therapieansatz möglich. [Kumar Goyal, 2013; Kim, 2013]. An einer Stelle in der Literatur wird sogar über eine gleichzeitige Metastasierung in beide Wangen bei follikulärem Schilddrüsenkarzinom berichtet [Kim, 2013].

Alexander BartellaAida BurnicDr. Dr. Frank GerhardsProf. Dr. Dr. Frank HölzleKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieUniversitätsklinikum RWTH AachenPauwelsstr. 3052074 Aachenabartella@ukaachen.de

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