Zwischenruf der KZV Hessen

Man muss nicht auf jeden Zug aufspringen

Die 9. Vertreterversammlung der KZBV hat sich im November 2014 zu einem Beschluss für das Primat der selbstständig geführten freiberuflichen Zahnarztpraxis in der ambulanten Versorgung ausgesprochen.

Sie forderte den Gesetzgeber deshalb auf, im Bereich der Zahnmedizin weder Medizinische Versorgungszentren (MVZ) noch Kettenpraxen zuzulassen. Als Begründung wurde genannt, die Förderung Medizinischer Versorgungszentren führe zur Zentralisierung und Kommerzialisierung der Zahnmedizin und gefährde die flächendeckende patientennahe Versorgung. Zahnarztketten in Fremdbesitz widersprächen den Grundsätzen der Freiberuflichkeit.

Mit dem am 23. Juli 2015 in Kraft getretenen GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) hat sich der Gesetzgeber über dieses Monitum unseres Berufsstands hinweggesetzt. Das MVZ wurde zwar schon zum 1. Januar 2004 ins SGB V aufgenommen, aber bis dato war die Führung eines MVZ nur fachübergreifend mit mindestens zwei Fachgebieten gestattet. Das GKV-VSG ermöglicht nun auch fachgruppengleiche Zusammenschlüsse. Durfte die Einzelpraxis gemäß Bundesmantelvertrag bisher nur zwei Zahnärzte in Vollzeit anstellen, so fehlt eine entsprechende Aussage zur möglichen Größe eines MVZ. Ob also in einem MVZ eine unbeschränkte Anzahl von Zahnärzten angestellt tätig werden kann, ist klärungsbedürftig.

Die Befürworter dieser neuen Möglichkeiten überbieten sich seitdem gegenseitig mit ihrer Wachstumseuphorie, ein Heer von Advokaten und Steuerberatern bietet Beratung für die rechtliche Konstruktion der neuen Versorgungsform auch hinsichtlich von Haftungsaspekten oder Steuerfolgen an, verschiedene Anbieter offerieren Seminare für MVZ-Interessierte.

Uns wird nun eingeredet, Einzelpraxen und Berufsausübungsgemeinschaften seien anachronistisch, der zahnärztliche „Markt“ verlange nach größeren Strukturen, für Zahnärzte beginne eine neue wirtschaftliche Ära. Gepriesen wird das MVZ als Versorgungsform der Synergie- und Einsparpotenziale, Einkaufsvolumina könnten gebündelt und höhere Rabatte erzielt werden, flexible Arbeitszeitmodelle lockten insbesondere die in den Zahnarztberuf drängenden Frauen an und insgesamt gebe es mehr Life als Work.

Ist dies alles wirklich so ausnahmslos positiv, gibt es nicht auch ernst zu nehmende kritische Aspekte? Der MVZ-Begeisterung entgegen stehen die Kosten für einen Geschäftsführer oder kaufmännischen Leiter, die erst einmal erarbeitet sein müssen, ein höherer Koordinationsaufwand, die Erweiterung der Rechte aus dem Betriebsverfassungsgesetz, Controlling-Instrumente etc. Der Sitz des Vertragszahnarztes ist nicht mehr an dessen Person gebunden und geht ans MVZ über, der Zahnarzt muss sich mit der Einschränkung seiner Entscheidungssouveränität abfinden und ist unter Umständen weisungsgebunden. Ob sich die Patienten, die sich erfahrungsgemäß lieber langfristig an einen Behandler ihres Vertrauens binden, überhaupt einer solchen Großpraxis anvertrauen möchten, ist ungewiss.

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Die Ökonomisierung der Zahnmedizin geht weiter

Von beruflichem Ethos und der Fürsorge für die Patienten ist in der MVZ-Diskussion überhaupt keine Rede mehr. Vielmehr mutiert der Zahnarzt immer mehr zum Betriebswirtschaftler, weil ökonomische Zielsetzungen systembedingt Vorrang haben. Nicht unterschätzt werden sollte dabei der Aspekt, dass im sonstigen Leben der Preis für eine Ware sinkt, wenn günstiger produziert oder eingekauft werden kann. Die Einzelpraxis verhält sich dann zum MVZ wie der Einzelhandel zum Discounter. Das MVZ generiert

Wettbewerbsvorteile gegenüber den bewährten freiberuflichen Praxisformen, die auch für die kollektivvertraglichen Preisfindungen mittelfristig nicht ohne Folgen bleiben werden. Absinkende oder stagnierende Vergütungen befördern indes weitere Wettbewerbsverzerrungen zulasten der Praxisformen, die über Jahrzehnte die flächendeckende Versorgung sichergestellt haben.

Ein Run auf MVZ oder dass sich die finanziell ohnehin klammen Kommunen zu zahnmedizinischen MVZ-Gründern aufschwingen, ist eher nicht zu erwarten. Sollte sich die neue Versorgungsform aber außerhalb der Ballungsgebiete etablieren, könnte dies Konsequenzen für die Erfüllung des Sicherstellungsauftrags in der Fläche haben.

So muss der potenziell selbstständige Freiberufler selbst entscheiden, ob die genannten Vorteile eines MVZ das Abgeben der eigenen Verantwortung und Selbstbestimmung aufwiegen. Und ob ein MVZ ein Erfolgsmodell wird, entscheiden am Ende stets die Patienten.

Kassenzahnärztliche Vereinigung Hessen – Michael Matthes, Stellv. Vorsitzender des Vorstands

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