Der besondere Fall

Die vermisste Zahnbürste

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Eine 65-jährige Patientin stellte sich in der Notfallabteilung des Marienkrankenhauses Hamburg vor, nachdem sie zwei Wochen zuvor während des Zähneputzens mit einer elektrischen Zahnbürste im Mund häusliche Tätigkeiten verrichtet hatte und dabei gestürzt war. Anschließend war der Bürstenkopf verschwunden.

Bei der Erstvorstellung im Marienkrankenhaus zeigte sich in der Notaufnahme lediglich eine kleine Schleimhautläsion retro-molar/intermaxillär links, dabei entstand die Vermutung, die Patientin habe die Zahnbürstenteile verschluckt. Die daraufhin durchgeführte Thorax- und Abdomenübersichtsaufnahme zeigte keinerlei Anhalt für einen verschluckten Fremdkörper, so dass eine Ösophago-Gastro-Duodenoskopie veranlasst wurde, die keine weiteren Erkenntnisse bezüglich des Verbleibs des Zahnbürstenkopfes brachte. Die Patientin wurde nach Hause entlassen.

Nach wenigen Tagen stellten sich zunehmende Schmerzen ein, so dass die Patientin ihren Hausarzt aufsuchte, der sie an einen niedergelassenen MKG-Chirurgen überwies, der eine Orthopantomogrammaufnahme veranlasste (Abbildung 1), die keine wegweisenden Erkenntnisse erbrachte. Die Patientin wurde erneut vertröstet und nach Hause geschickt.

Nach weiteren Tagen gesellte sich zu den Schmerzen auch eine Kieferklemme, die die Nahrungsaufnahme deutlich erschwerte. Die Patientin suchte erneut ihren Hausarzt auf, der eine MRT-Bildgebung in einer radiologischen Praxis veranlasste, in der eindeutig die verbliebenen Zahnbürstenanteile von einer Länge von sechs Zentimetern zu erkennen waren (Abbildungen 2 und 3).

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Radiologischer Befund

Der radiologische Befund lautete: „Nachweis der wohl abgebrochenen Spitze der Zahnbürste, welche sich über sechs Zentimeter in die internen Halsweichteile gebohrt hat vom M. pterygoideus medialis bis zum Querfortsatz des Atlas reichend mit Verdacht auf Fraktur des selben ohne Dislokation und Ende auf Höhe der Atlasschlinge, leicht lateral der A. carotis interna verlaufend.“

Die Patientin wurde erneut in die Notaufnahme des Marienkrankenhauses Hamburg eingewiesen und am selbigen Tag in Kooperation von der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie sowie der Abteilung für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde operiert.

Der vorgefundene Situs erschien unauffällig (Abbildung 4), auf Druck entleerte sich jedoch putrides Sekret aus der Eintrittsstelle. Nach Wiedereröffnung und Erweiterung des Eintrittkanals und Darstellung sowie Schonung des N. lingualis (Abbildung 5) wurde das Ende der Zahnbürstenschaftes sichtbar und konnte komplett entfernt werden (Abbildungen 6 und 7).

Nach ausführlicher Lavage der Wundhöhle erfolgte das Einlegen einer Silikonlasche, die mehrfach mit Nähten fixiert wurde (Abbildung 5), um einen weiteren sicheren Abfluss zu gewährleisten. Als Adjunct folgten eine i.v.-antibiotische Therapie sowie Mundöffnungsübungen. Die Lasche konnte bei zunehmenden Wohl- befinden der Patientin nach drei Tagen entfernt werden. Am fünften postoperativen Tag konnte die Patientin in die ambulante Weiterbehandlung entlassen werden.

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Fazit für die Praxis

Aus diesem Verlauf müssen einige Schlüsse gezogen werden, um bei ähnlichen Unfällen die Patientenversorgung zu verbessern:

  • Die Empfehlung, dass während des Zähneputzens keine weiteren Tätigkeiten ausgeführt werden sollen, muss mit ausreichender Vehemenz in die Erinnerung aller Patienten – nicht nur bei Kindern – gebracht werden. Ein entsprechender Hinweis sollte sich auf jeder Verpackung von Zahnbürsten finden.

  • Weiterhin sollten Patienten, die nach einen Sturz in der zahnärztlichen Praxis vorstellig werden, nach den Verbleib der gegebenenfalls verlustigen Zahnbürstenanteile gefragt werden. Sollten Unklarheiten bestehen, ist die sofortige Überweisung in eine Klinik anzuraten. Auch die Indikation für eine 3-D-Bildgebung ist gerechtfertigt, vor allem eine MRT-Diagnostik, da die Kunststoff- anteile von Zahnbürsten nicht zwingend röntgendicht sind und diese mit keiner Strahlenbelastung für den Patienten verbunden ist. Sollte die Zahnbürste Metallteile enthalten, ist eine MRT jedoch gegebenenfalls kontraindiziert.

  • Eine Sonderstellung nehmen Verletzungen des Weichgaumens mit Muskelbeteiligung auch ohne Fremdkörper ein. Diese Patienten müssen einer Klinik zugeführt werden, um eine Rekonstruktion der Muskelschichten mittels mikrochirurgischer Technik zu gewährleisten. So kann eine funktionelle Beeinträchtigung des Weichgaumens minimiert beziehungsweise verhindert werden.

PD Dr. Dr. Felix Blake M.Sc.Dr. Dr. Heiner Werle M.Sc.MKG am Kurpark-Bad Oldesloe/ MKG Reinbek-HamburgKurparkallee 4, 23843 Bad Oldesloeblake@mkgamkurpark.de

Dr. med. Hans-Jürgen von LückenProf. Dr. med. Wolfgang Kehrl Fachärzte für Hals-Nasen-OhrenheilkundeMarienkrankenhausAlfredstr. 9, 22087 Hamburg

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