60 Jahre KZBV

Gestalten statt verwalten

60 Jahre Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung: Das sind auch 60 Jahre Gesundheitspolitik und zahnmedizinische Versorgung in Deutschland. Der derzeit amtierende Vorstand blickt im Interview zurück – und nach vorn.

Herr Dr. Buchholz, eine der Aufgaben der KZBV ist die Ausgestaltung der zahnärztlichen (Grund-)Versorgung, wie ist es denn aktuell um diese bestellt?

Die KZBV leistet einen Beitrag für die gesellschaftliche und politische Konsensfindung darüber, wie Grundversorgung definiert wird und was die Solidargemeinschaft zu tragen hat. Dabei hat sich das, was als Grundversorgung definiert wird, in den vergangenen 60 Jahren stark verändert. Standen früher eher Füllungen und der Ersatz fehlender Zähne im Vordergrund, ist dies heute die Prävention. In den 80er-Jahren sind dann die Kieferorthopädie und die Parodontologie hinzugekommen. Wir sind laufend in der Diskussion, was angesichts des technischen Fortschritts medizinisch notwendig ist und was sich die Gesellschaft als Grundversorgung leisten kann und will.

Inwiefern hat sich die Grundversorgung verändert?

Wir haben uns von der reparativen Grundversorgung weg entwickelt. Im Rückblick lassen sich 60 Jahre Zahnmedizin in Stichworten in etwa so zusammenfassen: Füllungstherapie, Chirurgische Therapie, Prothetik. Dann kam es zum Paradigmenwechsel: Prävention statt kurative Zahnmedizin.

Wie passt der Anspruch auf Grundversorgung zum Solidarprinzip?

Deutschland hat auch im europäischen Vergleich eine sehr weitreichende zahn- medizinische Grundversorgung, die von der Solidargemeinschaft getragen wird. Für Leistungen, die über die Grundversorgung hinausgehen, hat die Solidargemeinschaft nicht mehr aufzukommen. Denn nicht alles, was heute zahnmedizinisch machbar ist, ist von den knappen Versichertengeldern zu bezahlen. Wir müssen daher den Leistungskatalog fortlaufend überprüfen.

Wie setzt sich denn eine Grundversorgung zusammen, und wer entscheidet, was dem Patienten zusteht?

Prinzipiell entwickelt sich die Grundversorgung mit den Ansprüchen der Gesellschaft weiter. Hier gilt es, einen Ausgleich zwischen Solidarität und Subsidiarität zu finden. Denn gerade für den Anteil der Grundversorgung, der von der Solidargemeinschaft getragen wird, müssen wir sachgerechte Voraussetzungen schaffen. Wir haben daher aus gutem Grund frühzeitig die finanzielle Eigenbeteiligung in den Vordergrund gerückt. Über die Frage, was speziell zur Regelleistung zählt, wird konkret im G-BA entschieden.

Worin liegen die zukünftigen Herausforderungen bei der Grundversorgung?

In einer älter werdenden Gesellschaft geht es um eine bedarfsadäquate Versorgung und die Gewährleistung des Zahnerhalts bis ins hohe Alter. Gleichzeitig darf aber der einzelne Patient in seinen finanziellen Möglichkeiten nicht überfordert werden. Zudem haben wir bei der Zahngesundheit in Deutschland ein Versorgungsniveau erreicht, das international beispielhaft ist. Dieser Status ist zu sichern. Und es geht um die Versorgung von Risikogruppen, ältere und mobil eingeschränkte Patienten etwa oder die Versorgung von Kleinkindern. Für mich liegt die Zukunft der Zahnheilkunde in der stärkeren Vernetzung mit anderen medizinischen Disziplinen.

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Fragen an Dr. Eßer

Herr Dr. Eßer, wie hat die KZBV die politischen Rahmenbedingungen in den vergangenen 60 Jahren mitgestalten können?

Die politische Gestaltungsmöglichkeit konzentrierte sich in den ersten 30 Jahren vor allem auf Honorarpolitik und Vertragsgestaltung. Da ging es noch gar nicht so sehr um versorgungspolitische Themen. Die Aufbauphase thematisierte Grundlegendes wie Organisation und Strukturen der Selbstverwaltung. Heute sind wir viel mehr Gestalter von Gesundheitskonzepten, bringen unsere Expertise ein und vernetzen uns sehr stark mit den Gremien der Selbstverwaltung und der Politik.

Wie sehen Sie die Rolle der KZBV in der Gesundheitspolitik?

Wir sind als Körperschaft des öffentlichen Rechts und gleichzeitig als Interessenvertreter der Zahnärzteschaft ein Player mit Gewicht im Gesundheitswesen. Dabei verstehen wir uns als Gestalter, nicht als Verwalter. Gerade den Körperschaften kommt die Aufgabe zu, zukunftsgerichtete und nachhaltige Perspektiven zu entwickeln und zu einem Gesamtkonzept zu verdichten.

Wo konnte die KZBV Marksteine setzen in der Gesundheitspolitik?

Die KZBV hat eine ganze Reihe wichtiger Akzente gesetzt. Dazu zählt zum Beispiel die Abschaffung der Budgetierung, mit der uns die Wiederherstellung der Honorargerechtigkeit gelungen ist. Insgesamt dürfen wir auch sagen, dass die präventionsorientierte Versorgung in der Zahnmedizin maßgeblich auch auf den Einfluss der KZBV und der KZVen zurückgeht. Ebenso wie das System der Festzuschüsse und aktuell die Gewährleistung der Teilhabe am medizinischen Fortschritt für Risikogruppen.

Wie soll das Gesundheitssystem der Zukunft gestaltet sein, besonders im Hinblick auf die Zahnmedizin?

Wir müssen uns fragen: Was ist das Ziel von Gesundheitsversorgung in 5, 10 oder 20 Jahren? Unser Ziel als Zahnärzteschaft ist es, die Mundgesundheit der Bevölkerung immer weiter zu verbessern. Darauf müssen die Strukturen im Gesundheitswesen ausgerichtet sein. Wichtig für alle Akteure ist es, für die gesamte Bevölkerung unter Berücksichtigung von Aspekten wie Fortschritt und demografischer Wandel eine sozial gerechte, berechenbare und finanzierbare Gesundheitsversorgung zu gestalten. Dabei müssen alle Instrumente, die wir heute anwenden, hinterfragt werden, ob sie geeignet sind, dieses Ziel zu erreichen.

Die Politik hat bereits seit einigen Jahren sehr stark auf das Prinzip des Wettbewerbs gesetzt, wie sehen Sie das?

Ja, das stimmt. Doch was hat dies dem Gesundheitswesen genutzt? Unser Ansatz von Wettbewerb ist der um die qualitativ beste Versorgung, nicht um den niedrigsten Preis der Leistung. Ein solcher Wettbewerb führt zu einer Fehlsteuerung im Gesundheitssystem.

Wie steht es um den Nachwuchs, viele junge Berufsanfänger ziehen eine Anstellung der Niederlassung vor?

Wir müssen verlässliche Rahmenbedingungen schaffen, dass junge Menschen künftig noch Lust haben, den Beruf des Zahnarztes in eigener Niederlassung zu ergreifen. Dazu müssen wir die sogenannte Generation Y motivieren, diesen Beruf mit Freude wahrzunehmen. Sonst kann das Prinzip einer flächendeckenden und wohnortnahen Versorgung dauerhaft nicht sichergestellt werden.

Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung des Berufsstands?

Wir müssen in der Politik ein Umdenken bewirken: Freiberuflichkeit muss wieder mehr gefördert werden. Die real existierenden Rahmenbedingungen für einen Zahnarzt haben mit dem Bild des freiberuflichen Unternehmers nicht mehr viel zu tun. Wir müssen daher dafür kämpfen, dass die Zentralisierungs-bestrebungen der Politik aufgegeben werden und die Selbstverwaltung wieder gestärkt wird.

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Fragen an Dr. Fedderwitz

Herr Dr. Fedderwitz, welche Assoziationen haben Sie zum Thema Eigenverantwortung, wenn Sie an früher denken?

Als ich Kind war, schenkte mir der Zahnarzt noch zur Belohnung ein Bonbon, wenn ich brav den Mund aufgemacht hatte. Heutzutage unvorstellbar! Dass die Menschen selbst am meisten dafür tun können, um möglichst lange gesunde Zähne zu haben, war in den 60er Jahren noch kein Thema. Die Idee, Eigenverantwortung der Patienten einzufordern wurde durch die KZBV bereits in den 70er Jahren thematisiert.

In der Zahnmedizin gibt es eine besonders hohe Eigenverantwortung für die individuelle Mundhygiene. Haben Sie den Eindruck, dass sich die Patienten dies über die Jahre zu Herzen genommen haben?

Ja, da haben wir in der Tat einiges erreicht. Wir sind weg von einer Nulltarifmentalität nach dem Motto „Alles für alle“. Die Patienten haben heute ein ausgewiesenes Interesse daran, ihre Zähne gesund zu halten und dafür sind sie auch bereit, sich an den Kosten zu beteiligen. Für mich sind die Entwicklungen in der zahnmedizinischen Versorgung eine echte Erfolgsgeschichte, allein schon deshalb, weil wir Präventionsweltmeister sind. Zudem wird immer deutlicher, dass die Mitsprache und -arbeit der Patienten Parameter sind, die sich positiv im Behandlungsablauf auswirken.

Wie würden Sie die Entwicklung der Mundgesundheit in Deutschland über die letzten 60 Jahre beschreiben, auch unter dem Blickwinkel des wachsenden Kostendrucks?

Die weit verbreitete Forderung „Alles für alle“ führte zu explodierenden Kosten. Allein in den Jahren 1960 bis 1986 stiegen die Gesundheitsausgaben in Deutschland um ein Vielfaches. Seither wird verhandelt: zwischen dem was wünschenswert ist, und dem, was finanzierbar und verantwortbar ist. Ein Blick in die Geschichte der KZBV ist ein Blick auf die Auseinandersetzung mit Kostendämpfungs- und Reformgesetzen. Dabei ging es dann etwa um Streichung von Leistungsansprüchen, Einschränkungen der Vertragsfreiheit, Standardisierungen oder Reglementierungen. Das Schlimmste war die Einführung der Budgetierung im Jahr 1992. Zwar braucht der Heilberuf Freiräume, um sich mit Bedacht auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten einzustellen. Doch die Entscheidungsfreiheit des Zahnarztes ist durch Reglementierungen und Kostendämpfungsgesetze der Politik zunehmend eingeschränkt worden.

Die Qualität medizinischer Leistungen wird immer wichtiger, was sagen Sie dazu?

Die KZBV setzt sich schon lange für eine vorbildliche Qualität in der Zahnheilkunde ein. Jedoch sehen wir den politischen Willen, Qualität als Ergebnisqualität – Stichwort „pay for performance“ –kritisch, wenn Qualität einzig als Steuerungselement genutzt werden soll. Es muss uns auch um die Qualität von Prozessen und Strukturen gehen.

Was ist Ihr Wunsch für die nächsten 60 Jahre KZBV?

Größtmögliches Vertrauen zwischen Zahnarzt und Patient ist die wichtigste Voraussetzung für Erfolg. In den vergangenen Jahren ist leider ein Klima des Misstrauens gegenüber den Heilberufen gewachsen. Wir müssen dieses Vertrauen wieder herstellen. Ich würde mich freuen, wenn wir Zahnärzte wieder mehr direkt mit dem Patienten arbeiten könnten und weniger mit Regulierung und Reglementierung zu kämpfen hätten.

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