60 Jahre KZBV

Selbstverwaltung – ein Geniestreich

60 Jahre KZBV, 60 Jahre Selbstverwaltung. Die Arbeit in den gemeinsamen Gremien ist für Kassenvertreter, Ärzte und Zahnärzte in der Regel nicht vergnügungssteuerpflichtig. Und doch: Wenn es ums Ganze geht, bekennen sich alle einmütig zu diesem weltweit einmaligen Konstrukt. Warum, das diskutierten auf dem Festakt der KZBV in Berlin „Betroffene“.

Mundgesundheit, Behandlungsmethoden und Abrechnung – das sind und bleiben die Themen des Zahnarztes und damit auch der KZBV“, konstatierte der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Günther E. Buchholz zur Begrüßung der Gäste zum 60. Geburtstag der KZBV am 1. Juli im Berliner Humboldt-Carré. Buchholz, der selbst aus einer Zahnarztfamilie kommt, erinnerte sich: „Die Gründung der KZBV 1955 fiel in meine Kindheit. Das Engagement für die Patienten und für den Berufsstand ist für mich fest mit dem Bild des Zahnarztes verbunden.“ Was die Zahnärzte damals antrieb, steht laut Buchholz auch heute noch an erster Stelle: die täglich praktizierte Verantwortung für die Mundgesundheit der Patienten: „Mit den gelockerten Voraussetzungen für die Kassenzulassung Anfang der 60er-Jahre konnten die Zahnärzte dieser Verpflichtung endlich nachkommen.“ Im Zentrum damals: die reparative Grundversorgung. Buchholz: „Die Aufnahme der Kieferorthopädie in die vertragszahnärztliche Versorgung sorgte dann in den 70er-Jahren für Aufreger im Berufsstand.“ Die 70er, das waren aber natürlich auch die goldenen Zeiten des Everything goes – die mit den sich bis heute fortschreibenden Kostendämpfungsgesetzen endeten, wie Buchholz in seiner Tour de Force durch die KZBV-Geschichte verdeutlichte. „Jetzt blicken wir auf zehn Jahre Festzuschüsse und eine flächendeckende Präventionsstrategie zurück – fort vom Reparaturprinzip, hin zu einer flächendeckenden Präventionsstrategie in der Zahnmedizin, auf die wir zu Recht stolz sind.“

„Ein Bekenntnis zur Selbstverwaltung als Ausdrucksform des freien Berufs“ , so wollte Hermann Gröhe seinen Besuch verstanden wissen. „1955 wie 2015 konnten sich die Menschen darauf verlassen, beim Zahnarzt bestmöglich behandelt zu werden“, betonte der Bundesgesundheitsminister. „Wer in den 50ern eine Zahnarztpraxis aufsuchte, der hatte Schmerzen. Heute sind die Zahnärzte Präventionsweltmeister, und für alle Altersklassen hat sich die Mundgesundheit immens verbessert.“ Die KZBV gewährleiste seit 60 Jahren verlässlich die zahnärztliche Versorgung im Land. Gröhe: „In dieser ganzen Zeit konnte der zahnmedizinische Leistungsumfang immer wieder sinnvoll ausgebaut werden und bei dem Paradigmenwechsel von der reparativen zur präventiven Zahnheilkunde war die KZBV der entscheidende Treiber.“ Die Hinwendung zur Prävention beschreibe den Beginn dieser Erfolgsgeschichte. Richtungsweisend dabei: die Studien zur Mundgesundheit als wissenschaftliche Grundlage.

Sein Fazit: „Es ist der Arbeit der Zahnärzte zu verdanken, dass Menschen heute sehr viel mehr Zeit und Mühe in ihre Zahngesundheit investieren.“ Gröhe betonte, dass sich die Zahnärzteschaft insbesondere für die Personengruppen einsetzt, die nicht in der Lage sind, sich selbst um ihre Mundgesundheit zu kümmern: Babys und Kleinkinder, alte, pflegebedürftige und behinderte Menschen. „Mich hat der Besuch einer Pflegeeinrichtung in München mit Wolfgang Eßer sehr beeindruckt“, berichtete er. „Ebenso angetan bin ich von den Special Smiles. Dort wurden auf einer Veranstaltung behinderte Tennisspieler zahnmedizinisch untersucht. Zu sehen, welchen Spaß es jungen Zahnärzten macht, diese Sportevents zu begleiten und sich in so herausfordernder Weise zu engagieren, hat mir imponiert.“ Gröhes Bilanz: „In Sachen Solidarität reihen sich die Zahnärzte in die Gruppe der Leistungserbringer ein, bei der Eigenverantwortung übernehmen sie eine herausragende Rolle und bei der Vorsorge haben sie ein Alleinstellungsmerkmal.“ Die tägliche Mundhygiene falle gerade behinderten Menschen schwer. „Mit den neuen Gesetzen stellen wir sicher, dass auch sie künftig Anspruch auf Prophylaxeleistungen haben.“

###more### ###title### Selbstverwaltung ist Betroffenheitspartizipation ###title### ###more###

Selbstverwaltung ist Betroffenheitspartizipation

Wie das Konstrukt Selbstverwaltung überhaupt – erfolgreich – funktionieren kann, erklärte der Direktor des Münchner Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik, Prof. Dr. Ulrich Becker. Seine Antwort: nur, indem man gesellschaftliche Eigenverantwortung und staatliches Lenken in die richtige Balance bringt.

„Selbstverwaltung, das ist im Grunde nichts anderes als Betroffenheitspartizipation mit dem Ziel, Freiräume im Rahmen der Sicherstellung der Versorgung zu erhalten.“ Dabei stehe bei den Ärzten und Zahnärzten die Mitwirkung an der Gesundheitsversorgung und beim Staat die Nutzung eben dieses Fachwissens im Mittelpunkt. „Staatliche Ressourcen zu entlasten und die Akzeptanz der beteiligten Akteure für das System zu erhöhen“, charakterisiert Becker die Existenzberechtigung der Selbstverwaltung. Seine Prognose: „Die Selbstverwaltung wird sich dem zunehmenden Wettbewerb stellen und damit leben müssen, durch klare gesetzliche Vorgaben rückgebunden zu werden.“

Gefährdungen sieht er in der Verengung der Handelsspielräume durch Überregulierung, in den Eingriffen des Gesetzgebers in die Durchführung und in der Zentralisierung der Entscheidungen. Diese Entfernung der Selbstverwaltung von der Sache – „sozusagen Wissen auf Distanz“ – wirke den Betroffeneninteressen diametral entgegen. „Damit Ärzte und Zahnärzte aber mit Freude an der Gesundheitsversorgung mittun, muss der Staat ihnen auch ausreichend Raum für eigenverantwortliches Handeln lassen.“

Steht das Gesundheitswesen wirklich im Spannungsverhältnis zwischen Selbstverwaltung und Staatsmedizin? Und welche Aufgaben hat denn nun die Selbstverwaltung? Vor welchen Herausforderungen steht sie? Diese Fragen beantworteten die Experten der anschließenden Themenrunde unterschiedlich.

Für Dr. Ulrich Orlowski, im Bundesgesundheitsministerium zuständig für Gesundheitsversorgung, Krankenversicherung und Pflegeversicherung, ist entscheidend, wie das System aus funktionaler Selbstverwaltung in Zukunft weiter organisiert wird.

###more### ###title### Grundsatzdiskussionen sind von gestern ###title### ###more###

Grundsatzdiskussionen sind von gestern

„Selbstverwaltung versus Staatsmedizin – das ist für mich ein Gegensatz der Vergangenheit“, stellte er klar. „Und wer die Vorgabe von Qualitätsparametern zum Anlass nimmt, die Selbstverwaltung infrage zu stellen, führt ebenfalls eine Diskussion von gestern.“ Orlowski: „Gerade der Gesetzgeber geht doch den Weg, die Selbstverwaltung zu beauftragen und weiterzuentwickeln und bekennt sich damit klar zu dieser Organsisationsstruktur und zu den Kollektivverträgen.“

Die Selbstverwaltung könne im G-BA auch Normen setzen – und sie funktioniere selbst dann, wenn sich zwei Parteien zulasten einer dritten solidarisieren. „Schon deshalb, weil ich den G-BA mit aufgebaut habe, bewerte ich dessen Existenz natürlich positiv“, schickte Prof. Josef Hecken als Unparteiischer G-BA-Vorsitzender voraus.

„Vor dem Hintergrund, dass medizinische Leistungsbereiche zunehmend verzahnt werden, war diese Gründung aber auch folgerichtig.“ Und: „Trotz aller Kritik am G-BA werden immer neue Aufgaben auf dieses Gremium verlagert.“ Der medizinische Fortschritt zwinge den G-BA, binnen definierter Zeiträume zu belastbaren Ergebnissen zu kommen. Freilich müsse man bei der Umsetzung schneller werden und die Verfahren beschleunigen. Das erfordere aber auch höhere Kapazitäten und höhere Sitzungsfrequenzen. Die Selbstverwaltung habe zudem dafür zu sorgen, dass Entscheidungen nicht von einzelnen Arztgruppen begrüßt und von anderen verdammt werden: „Die tragenden Säulen müssen möglichst dicht beisammen stehen, ansonsten verliert man die Legitimation.“ Dass Zahnärzte im G-BA Besonderheiten unterliegen, werde durch extra Beschlüsse berücksichtigt, die diesen Spezifika Rechnung tragen.

Der Erfolg fiel nicht vom Himmel

Hecken wandte sich massiv gegen „verbale Vereinfachungen, die suggerieren, mit Qualitätsinstrumenten sollten die Akteure reglementiert werden“. Erfolge seien Ausdruck eines gesteuerten Prozesses und nicht vom Himmel gefallen: „Es gibt kein zehntes Gebot auf der Rückseite der Approbation, das besagt, dass ihr Träger sein ganzes Leben auch gute medizinische Leistungen erbringt. Deshalb ist Qualitätskontrolle wichtig und ein legitimer Anspruch.“ Gefahr drohe immer dann, wenn die Selbstverwaltung das aufgibt, was sie auszeichnet – „ihre Konsens- und Konfliktlösungsbereitschaft“.

„Der Staat muss den Rahmen setzen, den wir ausfüllen“, beschrieb die Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Dr. Doris Pfeiffer, die Rolle der Krankenkassen in der Gemengelage. Das Problem sei jedoch, dass die Politik die Ziele oft nicht so klar definiert, so dass die Kassen am Ende Schwierigkeiten haben, diese Vorgaben passgenau umzusetzen. „Wir bemerken, dass das BMG in das Geschäft der Selbstverwaltung eingreift, wenn die Ergebnisse nicht so ausfallen, wie es sich die Politik vorstellt“, rügte sie in dem Zusammenhang.

„Wir genügen dem Gesetz, aber die Aufsicht überschreitet ihre Kompetenzen mit diesen Interventionen, indem sie versucht, die Inhalte zu beeinflussen. Übergriffig halten wir beispielsweise auch die Vorlagepflicht der Vorstandsverträge. Das ist alles in allem eine problematische Vermischung.“

Sektorenübergreifende Verfahren mit allen Akteuren im G-BA zu implementieren – dies sei ein zentrales Anliegen der Kassen, um die Sektoren zusammenzuführen. Was die Methodik betrifft, setze der Kassenverband auf evidenzbasierte Medizin: „Wir brauchen einfach Studien zur Klärung der Frage, ob medizinische Leistungen den GKV-Ver- sicherten zugute kommen oder nicht.“

Pfeiffer: „In Sachen Qualität haben wir eine hohe Transparenz bei den Krankenhäusern und im ambulanten Bereich eine Blackbox. Hier wünschen wir uns mehr Transparenz – auch um diese Informationen an die Ver- sicherungen zu geben, damit diese wissen, wo ihre Kunden gut aufgehoben sind.“

KBV-Chef Dr. Andreas Gassen hält Qualität für ein Mittel, um die Versorgung zu verbessern, aber auch für „ein Quälinstrument“. „Es gibt ärztliche Breiche, die aus den messtechnischen Möglichkeiten herausfallen. Wie soll ich beispielsweise die Versorgung eines sterbenden Patienten messen? Am Ende sieht alles aus wie ein Nagel, weil ich als Werkzeug nur einen Hammer habe“, gab er zu bedenken. „Der Staat tut gut daran, Leitplanken zu bauen und uns innerhalb dieses Korridors ausreichend viel Spielraum zu gewähren. Wenn er seine Eingriffe auf ein Minimum begrenzt, dann sind wir nicht bange um die Selbstverwaltung.“

Als „David in der Selbstverwaltung“ bezeichnete KZBV-Chef Dr. Wolfgang Eßer die Position der Zahnärzte im G-BA. „Wir haben die geringsten personellen Kapizitäten“, erzählte er. „Im G-BA gibt es 100 AGs und 9 Unterausschüsse für die sektorenübergreifende Versorgung. Und ich muss für meinen kleinen Laden sicherstellen, dass wir in allen Ausschüssen vertreten sind, wo möglicherweise zahnmedizinisch relevante Themen verhandelt werden.“ Wo man früher von Angesicht zu Angesicht diskutiert und dann eine Entscheidung gefällt habe, gebe es heute eine komplizierte Verfahrensordnung auf deren Basis langwierig Entscheidungen getroffen werden. „Ein Beispiel: Ich muss akzeptieren, dass die Aufnahme der ECC-Behandlung kleiner Kinder in den GKV-Leistungskatalog zwei Jahre dauert, weil Verfahrensentscheidungen im G-BA sich so lange hinziehen.“

###more### ###title### Mit der Krankenhausmütze sehen wir nichts ###title### ###more###

Mit der Krankenhausmütze sehen wir nichts

Petitum der Zahnärzte sei nicht, von QS und QM freigestellt, sondern in adäquater Form berücksichtigt zu werden. „Harmonisierung um der Harmonisierung willen kann doch keine Lösung sein“, appellierte Eßer. „Uns permanent die große Mütze der Ärzte oder die noch größere Mütze der Krankenhäuser aufzusetzen, führt nur dazu, dass uns diese Mütze ins Gesicht und über die Nase rutscht, so dass wir gar nichts mehr sehen können – siehe Hygieneverordnung.“ Mit ihrem Gut achterwesen, den Patientenberatungsstellen und Zweitmeinungsmodellen sicherten die Zahnärzte nicht nur die Beratungs- und die Strukturqualität, sondern ganz entscheidend auch auch die Ergebnisqualität. Aber: „Evidenzstufen wie im G-BA vorgeschrieben, gibt es in unserem sehr granularen Versorgungssystem der Zahnmedizin nicht.“

Dass Gremien der Selbstverwaltung aufgrund ihrer beruflichen Expertise immer bessere Ergebnisse erzielen als Regierungsinstitute, hielt der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz abschließend fest. „Wir wollen, man muss uns nur lassen“, bekräftigte er. „Wichtig ist ein gemeinsames Ringen, denn ritualisierte Entscheidungsprozesse würden die Kraft der Selbstverwaltung zerstören.“

Fedderwitz betonte: „Die Gesellschaft will das deutsche GKV-System – das hat sozusagen Grundrechtscharakter – und dann will sie auch diese Form der Selbstverwaltung und die Struktur der KZBV und der Kassen.“ Seine abschließende These: „Der G-BA ist nichts anderes als ein Geniestreich der Politik: Das BMG hält sich aus politischen Geschäften fern, indem der G-BA alle Beteiligten zusammenführt und auf einen Interessenausgleich verpflichtet.“

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