Trichotillomanie

Wenn das Haar einfach raus muss

Die Störung beginnt nicht selten schon vor dem sechsten Lebensjahr, kann sich aber auch erst im Erwachsenenalter manifestieren: Bei der Trichotillomanie verspüren die Betroffenen einen unwiderstehlichen Drang, sich Haare auszureißen. Meist werden dabei Kopfhaare ausgerissen, was nicht als schmerzhaft, sondern nicht selten sogar als angenehm erlebt wird. Aus Scham aber wird versucht, die kahlen Stellen zu kaschieren.

Die Trichotillomanie – oft auch als Trich oder Tricho abgekürzt – wird als Impulskontrollstörung klassifiziert ähnlich wie die Kleptomanie, die Pyromanie und die Spielsucht. Der Name leitet sich aus drei griechischen Wortbestandteilen ab, wobei „tricho“ für das Haar steht, „tillo“ für rupfen oder reißen und „manie“ für ein triebhaftes oder suchtartiges Verhalten. Beschrieben wurde das Krankheitsbild, das zunächst als schlechte Angewohnheit angesehen wurde, bereits 1887 durch den französischen Dermatologen François Henri Hallopeau. Erst seit dem Ende des 20. Jahrhunderts aber wird die Trichotillomanie als eigenständiges Krankheitsbild betrachtet und erst 1991 wurde sie in die offizielle Krankheitsklassifikation ICD-10 aufgenommen.

Die Störung ist keineswegs selten: Rund ein bis sogar drei Prozent der Bevölkerung sind Schätzungen zufolge betroffen, wobei von einer relevanten Dunkelziffer auszugehen ist. Charakteristisch für die „Trich“ ist

  • ein sich wiederholender und unwiderstehlicher Impuls, die eigenen Haare auszureißen, mit der Folge sichtbaren Haarverlusts,

  • ein verstärktes Gefühl von Unruhe und Spannung unmittelbar vor dem Haareausreißen und

  •  ein Gefühl der Befriedigung oder Erleichterung während des Haareausreißens.

Dabei gibt es keinen Zusammenhang mit einer vorherigen Hautentzündung, und es bestehen keine Wahnvorstellungen oder Halluzinationen.

Manifestation oft in der Pubertät

Meist beginnt die Erkrankung in der Jugend oder in der Kindheit, in aller Regel zwischen dem 12. und dem 15. Lebensjahr, gelegentlich sogar schon deutlich früher und eventuell sogar bereits vor dem sechsten Lebensjahr. Jungen und Mädchen sind in der Kindheit und in der Jugend in etwa gleich häufig betroffen, während im späteren Erwachsenenalter der Anteil der Frauen überwiegt. Die Betroffenen können dabei dem Impuls, sich Haare auszureißen, nicht widerstehen. Sie zupfen, drehen und reißen an den Haaren, was auf die Umwelt durchaus befremdlich wirken kann. Anders als bei Zwangsstörungen und -handlungen, die im Allgemeinen sehr bewusst erfolgen, reagieren Menschen mit einer Trichotillomanie oftmals unbewusst. Nur etwa jeder Dritte erklärt auf Befragen, einen unwiderstehlichen Drang zu den Handlungen zu haben und das Ausrupfen der Haare direkt als entspannend zu erleben.

###more### ###title### Mögliche Ursache sind belastende life events ###title### ###more###

Mögliche Ursache sind belastende life events

Auslöser der Impulskontrollstörung können, müssen jedoch nicht, traumatische Erlebnisse sein wie beispielsweise der Tod eines nahen Angehörigen oder Missbrauchserfahrungen. Auch ein geringes Selbstwertgefühl sowie eine hohe Stressanfälligkeit und ein hohes Stresserleben können die Störung triggern. Üblicherweise reißen sich die Betroffenen Kopfhaare aus. Allerdings können durchaus auch alle anderen Körperregionen betroffen sein, es gibt Menschen, die sich die Haare der Augenbrauen, die Wimpern oder die Schamhaare ausreißen. Auch Brust-, Bein- und Barthaare können ausgerissen werden. Dabei wird im Allgemeinen kein Schmerz wahrgenommen. Kommt es zu Schmerzen, so werden diese ignoriert oder sogar als angenehm erlebt.

Das Rapunzelsyndrom – Verschlucken der Haare

Die Haare werden vor dem Ausreißen meist regelrecht ausgesucht, so werden zum Beispiel nur Haare mit besonderen Merkmalen wie etwa Rauheit oder mit anderen Besonderheiten ausgerissen. Möglich ist auch, dass nur Haare in speziellen Hautregionen ausgezupft werden, wobei die Hautstellen wechseln können, so dass die kahlen Stellen verteilt sind und weniger auffallen. Oft werden die ausgerissenen Haare genau untersucht, bevor sie weggeworfen werden. Die Betroffenen spielen nicht selten mit den ausgerissenen Haaren, betrachten genau die Haarwurzel, berühren mit dieser immer wieder die Lippen und die gesamte Mundregion oder bewegen die Haare quasi wie Zahnseide zwischen den Zähnen. Nicht unüblich ist zudem, dass die Haarwurzel abgebissen oder dass ganze Haare verschluckt werden, ein Verhalten, das als Trichophagie bezeichnet wird. Es kann dadurch zur Bildung sogenannter Trichobezoare kommen, die ihrerseits Komplikationen wie Oberbauchbeschwerden hervorrufen und eventuell sogar operativ entfernt werden müssen oder zu einem Darmverschluss führen können. Man spricht dann auch vom Rapunzelsyndrom.

Kaschieren kahler Hautstellen

Zwangsläufig kommt es als Folge des zwanghaften Haareausreißens zur Haarausdünnung und zu lichten oder sogar kahlen Hautstellen. Der Haarverlust muss aber nicht unbedingt auf den ersten Blick erkennbar sein. Denn viele Menschen mit Trichotillomanie versuchen, die betroffenen Hautstellen zu kaschieren, beispielsweise durch ihre Frisur oder durch bedeckende Kleidung oder durch das Tragen einer Kopfbedeckung. Auch das Nutzen von Haarspangen, Perücken, falschen Wimpern und das Nachzeichnen von Augenbrauen sind üblich, um die Störung optisch zu verbergen. Lassen sich die Probleme nicht mehr kaschieren, droht die Stigmatisierung, und es kann zum sozialen Rückzug kommen. Denn die Jugendlichen werden von ihren Schulkameraden wegen ihres Verhaltens oft gehänselt, was wie in einem Teufelskreis die Problematik verstärken kann.

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Besonderheiten im Kindesalter

Eine besondere Form der Trichotillomanie scheint vorzuliegen, wenn Kinder vor dem sechsten Lebensjahr beginnen, sich Haare auszureißen. Die Störung ist sogar bereits bei Kleinkindern beobachtet worden, wobei zum Teil ein Zusammenhang mit einem Eisenmangel gesichert werden konnte. Generell scheinen Kinder, die sich Haare ausreißen, zusätzliche körperliche Stimulation zu brauchen – das Haareausreißen scheint ähnlich wie das Daumenlutschen, das Hin- und Herschaukeln oder das wiederholte Streicheln eines Spielzeugs ein selbst- beruhigendes Verhalten zu sein. Oft tritt das Phänomen zu bestimmten Tageszeiten auf, beispielsweise am Abend vor dem Zubettgehen oder in speziellen Situationen wie etwa dem Fahren im Auto, beim Erledigen der Hausaufgaben oder beim Fernsehen. Wird ein solcher Zusammenhang beobachtet, kann in solchen Situationen versucht werden, dem Phänomen durch besondere Zuwendung und durch körperliche Stimulationen entgegenzuwirken.

Entscheidend für die Diagnose „Trichotillomanie“ sind zum einen die eindeutige Identifizierung betroffener Hautstellen und zum anderen der Ausschluss anderer Ursachen. Zu denken ist dabei vor allem an mögliche somatische Erkrankungen, die zum Haarausfall führen können, oder auch an eine Ticstörung. Bei der Differenzialdiagnostik kommt erschwerend hinzu, dass oftmals eine Komorbidität besteht. In erster Linie handelt es sich dabei um affektive Störungen, vor allem um Depressionen sowie Angststörungen. Das Ausreißen der Haare kann zudem durchaus auch im Zusammenhang mit einer Zwangsstörung oder einer Ticstörung auftreten.

Schwierige Differenzialdiagnostik

Nicht immer muss die Trichotillomanie gezielt behandelt werden, zumal sich die Störung nicht selten spontan bessert. Ist die Lebensqualität aber durch die Erkrankung relevant beeinträchtigt oder besteht sogar ein ausgeprägter Leidensdruck, so ist eine Therapie indiziert. Hilfreich sind oft bereits ein Stressabbau sowie Entspannungstechniken wie Autogenes Training oder eine progressive Muskelentspannung nach Jacobson. In schweren Fällen können weitere Maßnahmen wie eine Verhaltens- oder Psychotherapie sowie eine medikamentöse Behandlung zum Beispiel mit SSRI (Selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren) erforderlich werden. In der Diagnostik ist auch der Zahnarzt gefragt, denn wenn es sich bei ihm im Stuhl um Patienten mit derartigen sichtbaren Stellen auf der Kopf- oder auf der Gesichtshaut handelt, muss an eine Trichotillomanie mit entsprechenden Begleiterkrankungen wie einer starken Angststörung gedacht werden. Das bedeutet für ihn eine besondere Beachtung bei der Therapie beziehungsweise im Umgang mit diesem Patienten.

Christine VetterMerkenicher Str. 22450735 Kölninfo@christine-vetter.de

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