Gastkommentar

Revolution Gesundheits-IT

Der Einsatz digitaler Hilfsmittel ist aus der Gesundheitsversorgung nicht mehr wegzudenken, meint Thomas Grünert, Fachjournalist im Gesundheitswesen und Chefredakteur bei Vincentz Network in Berlin.

Der Einsatz digitaler Hilfsmittel ist aus der Gesundheitsversorgung nicht mehr wegzudenken, meint Thomas Grünert, Fachjournalist im Gesundheitswesen und Chefredakteur bei Vincentz Network in Berlin. Politische Entwicklungen werden schon mal von der sogenannten „normativen Kraft des Faktischen“ überholt. Gelegentlich trifft das auch auf die Gesundheitspolitik zu. Beim rasanten Tempo der medizinischtechnischen Entwicklungen ist das nicht unbedingt überraschend. In Sachen Gesundheits-IT fallen in Deutschland Entscheidungen allerdings seit Jahren im Schneckentempo. Ausgerechnet der IT-Gigant Apple könnte nun für Änderungen sorgen. Bei der Vorstellung der i-Watch und des neuen MacBook ging eine kleine, aber bedeutende Information nahezu unter. Ab April wertet Apple-Research millionenfach Gesundheitsdaten von Nutzern aus und will sie für Forschungszwecke zur Verfügung stellen.

Daten, die Nutzer von iPhones, i-Watch oder anderen Geräten mehr oder weniger freiwillig verfügbar machen, um dafür eine Übersicht der eigenen Gesundheits- und Vitaldaten zu bekommen. Warum ist das so revolutionär? In Deutschland wird endlos über patientenbezogene Daten und Mechanismen des Datenschutzes debattiert. Versorgungswege werden erschwert, Ärzte und Pfleger und andere Heilberufler mit immer mehr Bürokratie überflutet, ohne dass Fortschritte zu erkennen sind. Nun bekommt der Patient – unterstützt durch moderne Apps – sein Gesundheitsdaten-Management selbst in die Hand. Das Besondere daran ist die Dimension. Weltweit sind knapp 400 Millionen iPhones im Einsatz. Gerechnet wird damit, dass mindestens ein Drittel der Nutzer auch die kostenlosen Gesundheits-Apps nutzt. Apple kann aus diesen Daten Statistiken ermöglichen, wie sie kaum eine aktuelle Gesundheitsstudie zu bieten hat. Aber auch Google, Microsoft und andere Anbieter sind längst auf dem Weg, den Gesundheitsmarkt damit zu revolutionieren.

Eine aktuelle Umfrage aus den USA zeigt, dass etwa ein Drittel der befragten Kliniken künftig Apps beim Entlassmanagement verwenden wollen. Einerseits, um den Patienten möglicherweise noch telemedizinisch im Auge zu behalten und ein Bindeglied zum behandelnden (und zuweisenden) Mediziner zu schaffen. Andererseits natürlich auch zur nachhaltigen Bemessung (und Honorierung?) der Behandlungsqualität und schließlich als Grundlage bisher in solchem Umfang kaum möglicher Versorgungsstudien. Bekanntlich wird in den USA das Thema Datenschutz liberaler gesehen. Doch selbst Datenschützer und Politiker sehen mittlerweile eine kaum zu stoppende Eigendynamik. „Es ist wie bei der Erfindung der Eisenbahn“, so ein Mitglied des Gesundheitsausschusses. „Sehr schnell sind auch die Fahrgäste geworden, die am Anfang überzeugt waren, Bahnfahren gefährde die Gesundheit.“ Die große Frage ist am Ende, wer ist der Herr der Daten? Die Begehrlichkeiten sind groß. Kassen möchten damit die Versorgung steuern und preiswerter machen, Ärzte ihre Patienten schützen, indem sie diese vor falschen Eigendiagnosen oder Verunsicherung bewahren. Das Verständnis vom Bürger als mündigen Patienten ist jedoch noch nicht überall angekommen. Genau dieses ist eine Aufgabe der Gesundheitspolitik und des Datenschutzes in der neuen digitalen Gesundheitswelt. Klar, dass selbst der „mündige Patient“ am Ende Berater braucht. Fachlich kann das wohl nur der Arzt/Zahnarzt des Vertrauens sein, weniger ein Versorgungsmanager. Auch wenn besonders ältere Patienten nicht ohne Weiteres in der Lage sind, das Datenmanagement zu realisieren, ändert dies nichts am Grundprinzip, das bereits das Patientenrechtegesetz vorgibt. Die digitale Revolution ist nicht aufzuhalten. Ideal wäre, wenn insbesondere die Mediziner hier ihre natürliche Vertrauensstellung beim Patienten stärken, indem sie ihn unterstützen, seine eigenen Gesundheitsdaten zu managen. Ansonsten tun dies andere. Revolutionen dienen eben nicht immer jenen, für die sie angeblich veranstaltet wurden.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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