Soziales Engagement

Kräfte bündeln

Sie lieben fremde Kulturen, schwierige Herausforderungen und medizinische Grenzerfahrungen. Sie wollen helfen, lernen und lehren. Sie lassen den Alltag hinter sich, um sich in Regionen zu wagen, wo Menschen ihre Hilfe dringend benötigen. Das soziale Engagement der deutschen Zahnmediziner ist vielfältig und spiegelt sich in den unterschiedlichsten Hilfsprojekten wider. Es gibt nur ein Problem: Die breite Öffentlichkeit erfährt davon kaum etwas.

Zwölf Zahnärzte für elf Millionen Einwohner: Die zahnmedizinische Versorgung in Ruanda ist alles andere als flächendeckend. Grund genug für die rheinland-pfälzischen Zahnärzte Dr. Jürgen Raven und Dr. Franz-Josef Ratter sich vor zwei Jahren auf den Weg zu machen ins Land der tausend Hügel – 6 175 Kilometer entfernt der Heimat. Ihr Ziel: die Lebens- und Gesundheitssituation vor Ort zu verbessern und eine zahnmedizinische Versorgung nachhaltig zu intensivieren. Um besagtes Ziel zu erreichen, sollte zunächst an vier ausgewählten Zentren in Ruanda jeweils ein Behandlungsraum eingerichtet werden, der den Anforderungen einer modernen Zahnmedizin Rechnung trägt.

Die Projektidee entstand im Winter 2012. Es folgten Spendenaufrufe, Gespräche mit dem Gesundheitsministeriums Ruandas, unzählige Konferenzen, Schreiben, und noch mehr E-Mails und Telefonate. Heute, zwei Jahre später, konnten drei Standorte bauseits fertiggestellt werden, die Behandlungszentren in Nyanza und Kigali wurden im Oktober 2014 offiziell eingeweiht.

Es ist nur ein Beispiel aus einer ganzen Reihe unterschiedlicher Hilfsprojekte. „Das soziale Engagement der deutschen Zahnmediziner ist umfangreich, den Globus überspannend“, erklärt der Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), Prof. Dietmar Oesterreich. 100 Millionen Euro Spendengelder wurden in den vergangenen zwanzig Jahren für Hilfsprojekte eingesetzt.

Auch Dr. Juliane Gösling, Referentin der BZÄK für zahnärztliche Berufsausübung, wagte das Abenteuer Hilfseinsatz (siehe Blogeinträge auf zm-online.de). Für zwei Wochen tauschte sie den Bürostuhl gegen ein Abenteuer mit der Organisation Zahnärzte ohne Grenzen in Namibia. Ihr Fazit fällt durchweg positiv aus: „Ich glaube, wir konnten besonders bei den Kindern viele Zähne retten. Insgesamt haben wir mehr als 300 Patienten gesehen, weit mehr als 100 Zähne gezogen und noch mehr Füllungen gemacht.“ Und das unter teilweise schwierigsten Bedingungen: „Man hat sehr deutlich gemerkt, wie gut organisiert das deutsche Gesundheitswesen ist. Von einem Notdienst, der in kurzer Zeit erreichbar ist, kann man in Namibia nur träumen“, erläutert Gösling. Interessant seien vor allem die unerwarteten Probleme gewesen. So hätte schon die Frage, woher man Wasser bekommt, häufig zu einer länger andauernden Suche geführt.

Doch nicht nur vor Ort kann es mitunter zu Schwierigkeiten kommen, die Improvisationstalent erfordern. Auch bei der Planung eines Einsatzes sehen sich viele Hilfsorganisationen mit Problemen konfrontiert, weiß Oesterreich: „In der Regel sind dies finanzielle und logistische Probleme. Ehrenamt-liches Engagement, sei es für notleidende Menschen vor der eigenen Haustür oder für den weltweiten Einsatz von Zahnärzten in Notgebieten, kostet Zeit und Geld.“ Da die verschiedenen Hilfswerke sich ausschließlich über Spenden finanzieren, brauche es bisweilen viel Geduld und Beharrlichkeit.

Zu wenig öffentliche Wirkung

Das soziale Engagement der deutschen Zahnmediziner sei dennoch bemerkenswert hoch und außerordentlich vielfältig, betont der Vorstandsreferent der BZÄK für Soziale Aufgaben und Hilfsorganisationen, Dr. Wolfgang Schmiedel. Das Problem: Es sei zu wenig bekannt. Der regionale und weltweite Einsatz von Kollegen, die Geld und Freizeit opfern, um weltweit und vor der eigenen Haustür Not zu lindern, verdiene Anerkennung und Respekt. „Das Engagement der deutschen zahnärztlichen Hilfsorganisationen wird in der breiten Öffentlichkeit aber leider viel zu wenig wahrgenommen“, betonen Schmiedel und Oesterreich.

Gösling berichtet nach ihrem Hilfseinsatz Ähnliches: „Generell ist die Bereitschaft der Kollegenschaft für ein derartiges Engagement wirklich beeindruckend“. Bei der Organisation, für die sie tätig war, werden die Plätze für die Einsätze am Anfang des Jahres vergeben – und innerhalb kürzester Zeit waren alle besetzt. Interessant sei jedoch die Reaktion von Außenstehenden, die sowohl vor Ort als auch in Deutschland von einer Art Vergütung für die Zahnärzte ausgegangen sind, berichtet Gösling. „Was natürlich nicht der Fall ist.“

Um solchen Missverständnissen vorzubeugen und die Aktivitäten der deutschen Zahnärzteschaft besser sichtbar zu machen hat die BZÄK 2009 die Koordinierungskonferenz „Zahnärztliche Hilfsorganisationen“ ins Leben gerufen (siehe Kasten auf der nächsten Seite). „Diese Konferenz bietet ein optimales und bislang einzigartiges Forum zum Austausch der weltweit aktiven zahnärztlichen Hilfsprojekte und hilft dabei, das gesellschaftliche Engagement der Zahnärzteschaft in den Fokus zu rücken“, betonte Schmiedel, anlässlich der letzten Koordinierungskonferenz im März 2013.

Mehr Vernetzung gefordert

Auch Dr. Klaus Winter, Vorsteher der Stiftung Hilfswerk Deutscher Zahnärzte (HDZ) fordert eine verstärkte Vernetzung: „Eine interaktive Zusammenarbeit zwischen den Hilfswerken wird bis heute unter den Teilnehmern nicht oder nur sehr selten wahrgenommen.“ Das HDZ verschreibt sich seit mehr als einem Vierteljahrhundert der Hilfe zur Selbsthilfe und ist auf vier Kontinenten im Einsatz. Die Projektarbeit ist dabei so vielfältig, wie die Länder in denen sie stattfindet: Sie reicht von der Katastrophenhilfe über Maßnahmen zur Verbesserung der Schul- und Berufsausbildung junger Menschen bis hin zum Bau von medizinischen Einrichtungen in den entlegendsten Winkeln der Erde. Seit der Gründung des HDZ im Mai 1987 wurden mehr als 200 Zahn-stationen errichtet. Der Gesamtwert der bisher geleisteten Projekte des HDZ beläuft sich laut Winter auf mehr als 33 Millionen Euro. Dabei wird immer eine enge Partnerschaft mit bestehenden Organisationen vor Ort angestrebt. Um die Vernetzung der deutschen Hilfsorganisationen untereinander zu verstärken, strebt Winter eine Art Holding unter Führung des HDZ und Schirmherrschaft der BZÄK an: „Wenn es gelänge, mehrere Hilfsorganisationen mit gleicher Zielsetzung zusammenzuführen, könnte die gesamte karitativ tätige, deutsche Zahn- ärzteschaft nicht nur eine Art Personalunion bilden und dabei Verwaltungskosten sparen, sondern auch die jeweils satzungsgemäßen Zwecke effektiver erfüllen.“

Außerhalb der Zahnärzteschaft pflegt das HDZ eine Zusammenarbeit mit gut zwanzig Hilfsorganisationen, von denen besonders der Lazarus Orden und die Salesianer Don Boscos hervorzuheben sind. „Es täte dem Berufsstand gut, wenn für ein nachhaltiges, wirkungsreiches Helfen die unterschiedlichen Stärken und Schwächen zahnärztlicher, karitativ tätiger Kolleginnen, Kollegen und Organisationen ausgeglichen werden könnten“, betont Winter. Erst wenn Synergien zwischen Hilfswerken unterschiedlicher Stärkeprofile realisiert werden, könnten nach innen und außen Vernetzungen zu einem Ganzen, auch in der Öffentlichkeit, sichtbar werden. Frei nach dem Motto: Einheit in Vielfalt.

So unterstützt die Bundesregierung

Die Bedeutung zivilgesellschaftlichen Engagements hat in der Entwicklungszusammenarbeit einen hohen Stellwert, da der Staat oftmals gar nicht in der Lage ist, als alleiniger Akteur zu handeln. Nichtregierungsorganisationen haben gegenüber der Bundes- regierung und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) den Vorteil, dass sie häufig schneller und flexibler helfen können. Jede Hilfsorganisation kann einen Förderantrag stellen. Die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) übernimmt im Auftrag des BMZ die Bearbeitung der eingereichten Anträge. Neben dem Transportkostenzuschuss gibt es sogenannte „Kleinstprojekte der deutschen Botschaften“, die mit 8 000 bis 13 000 Euro unterstützt werden. Die Organisation „Engagement Global“, die im Auftrag des BMZ tätig ist, betreibt eine Onlineplattform für soziale Projekte. Diese dient der zusätzlichen Vernetzung zwischen Hilfsorganisationen, um Synergieeffekte vor Ort zu erzielen. „In der Vergangenheit ist es bereits vorgekommen, dass bei Auslandseinsätzen zwei zahnärzt- liche Hilfsorganisationen nur wenige Kilo meter voneinander entfernt gleichzeitig tätig waren und beide nichts davon wussten“, berichtet Schmiedel. Während die einen bestimmte zahnärztliche Materialien in Hülle und Fülle vorrätig hatten, benötigten die anderen genau diese Materialien dringend. „Hier gilt es für die erforderliche Vernetzung zu sorgen“, fordert er.

Zahnis im Ausland

Um vor allem jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich sozial zu engagieren, bemüht sich der Zahnmedizinische Austauschdienst (ZAD). Er hat es sich zur Auf-gabe gemacht, Zahnmedizinstudenten bei der Vorbereitung und Durchführung von Auslandsfamulaturen zu unterstützen, und bieten ihnen die Möglichkeit, im Rahmen von internationalen Hilfsprojekten praktische Erfahrungen zu sammeln. Durch die Kooperation mit der International Association of Dental Students (IADS) ist der ZAD Teil eines Netzwerks von nationalen Austauschorganisationen, das auf internationaler Ebene den Austausch der Studenten fördert.

Hilfe vor der eigenen Haustür leisten

Die deutsche Zahnärzteschaft ist aber nicht nur im Ausland aktiv. Der 2001 gegründete gemeinnützige Verein „Berliner Hilfswerk Zahnmedizin“ richtet sich speziell an hilfsbedürftige Menschen in Berlin, die zahn-medizinische Unterstützung brauchen, weil sie selbst keinen Zugang dazu finden oder in normale Praxen nicht integriert werden können. Ein Kernprojekt ist die Unterstützung von Obdachlosen. Das Berliner Hilfswerk nahm sich des Themas an und unterstützt seit der Gründung bis heute die erste – und lange Zeit auch einzige – Obdachlosen-Zahnarztpraxis in Europa. Sie arbeitet an inzwischen zwei Standorten, in Berlin-Lichtenberg und in Berlin-Friedrichshain. Die zahnärztliche Versorgung bringt den Obdachlosen nicht nur Schmerz- und Infektionsfreiheit, sondern einfacher Zahnersatz – gespendet von einem Dentallabor – ermöglicht vielen Menschen erstmals seit Jahren wieder halbwegs normales Essen und Kauen und verbessert das Aussehen so, dass manche bereits wieder ansatzweise in die Gesellschaft integriert werden konnten, weil sie wieder Mut fassten.

Ein weiterer Kernbereich des Hilfswerks ist die zahnärztliche Versorgung von Drogenabhängigen sowie drittens von Patienten mit Behinderungen und von geriatrischen Patienten. Für diese Patientengruppe wurde erstmals eine Übersicht erstellt, welche Praxen in Berlin entsprechende Angebote haben und zur Verfügung stellen – vom rollstuhlgerechten Zugang über Intubationsnarkosen bis hin zu Hausbesuchen. Der entstandene „Zahnärztliche Praxisführer“ war Vorbild für viele ähnliche Übersichten bundesweit. Zudem wurde ein Modellprojekt initiiert, das evident die Gruppenprophylaxe in Heimen mit geistig behinderten erwachsenen Menschen verbessert hat.

Das Hilfswerk habe einen Symbolcharakter für die Zahnärzteschaft in Berlin, betont Schmiedel, der den Vorsitz des Hilfswerks sechs Jahre lang innehatte. „Die positive Wirkung der Arbeit des Vereins kommt den Randgruppen der Gesellschaft direkt, den Mitgliedern unseres Vereins indirekt zugute“, erläutert er. „Unser Engagement bringt jedem von uns, der das Hilfswerk als Mitglied unterstützt, nicht zuletzt Anerkennung in der Öffentlichkeit und auch bei der Politik ein. Wir stehen gemeinsam als ein Zeichen für unser gesellschaftliches Engagement und unser soziales Gewissen. Jeder bringt das ein, was er zu bieten hat.“

Erster Grundstein gelegt

Rund 6 200 Kilometer entfernt von Berlin gilt dasselbe Motto. In Ruanda konnte durch die neuen Behandlungszentren ein erster Grundstein zur Verbesserung der Zahngesundheit gelegt werden. Das Fazit von Dr. Raven: „Die Kooperation zwischen den Beteiligten in Rheinland-Pfalz und in Ruanda besteht und wird weiter optimiert. Weiter ist geplant, auch auf dem Sektor Aus-, Fort- und Weiterbildung aktiv zu werden, wobei hierfür erste Kontakte mit dem hiesigen Klinikum bereits stattgefunden haben.“ Eine flächendeckende zahnmedizinische Versorgung, ähnlich wie in Deutschland, wird allein durch Hilfsorganisationen nicht aufgebaut werden können. Die Bereitschaft der Zahnärzteschaft zu einer nach-haltigen Verbesserung der Zahngesundheit in Ruanda – und weltweit – ist aber weiterhin gegeben.

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