Der besondere Fall mit CME

Zentrale Riesenzellläsion des Unterkiefers

Eine 15-jährige, ansonsten gesunde Patientin wurde zur weiteren Abklärung einer vor vier Wochen erstmalig aufgefallenen Raumforderung im Unterkieferfrontzahnbereich mit leichtem Taubheitsgefühl der Lippe links vorgestellt.

Eine 15-jährige, ansonsten gesunde Patientin wurde zur weiteren Abklärung einer vor vier Wochen erstmalig aufgefallenen Raumforderung im Unterkieferfrontzahnbereich mit leichtem Taubheitsgefühl der Lippe links vorgestellt. Klinisch präsentierte sich die junge Patientin mit einer asymmetrischen Auftreibung im Bereich der linken Kinn- partie sowie enoral mit einer nicht schmerzhaften, prominenten Raumforderung von regio 31 bis 34, die livide unter der Schleimhaut durchschimmerte (Abbildung 1). Die in diesem Bereich stehenden Zähne 31 bis 34 waren hochgradig gelockert und vitalitätspositiv. In der alio loco durchgeführten Panoramaschichtaufnahme präsentiert sich eine homogene, scharfe Osteolyse von regio 42 bis 34 mit zartem Sklerosesaum (Abbildung 2). In der Schichtbildgebung mittels Computer- tomografie und 3-D-Rekonstruktion sind die scharf abzugrenzende, ausgedehnte Osteolyse mit Auftreibung des Unterkiefers und teilweiser Perforation der Kortikalis sowie die Verdrängung der im Befund stehenden Zahnwurzeln nach vestibulär deutlich nachvollziehbar (Abbildung 3).

Über eine marginale Schnittführung wurde der Befund dargestellt und der rötlich-livide Tumor wurde mit bindegewebiger Konsistenz komplett auskürretiert (Abbildung 4). Die histologische Aufbereitung ergab ein spindelzellreiches, mesenchymales Proliferat mit neu gebildeten Knochenbälkchen, an denen Osteoblasten angelagert waren, sowie reichlich osteoblastäre Riesenzellen (Abbildung 5). Die Zähne 31 und 32 konnten nicht gehalten werden, die anderen im Befund stehenden Zähne wurden mittels einer Titan-Trauma-Schiene versorgt (Abbildung 6a). Unter Zusammenschau der klinischen Befunde mit laborchemischem Ausschluss eines braunen Tumors konnte die Diagnose einer zentralen Riesenzellläsion gestellt werden. Im Folgezeitraum mussten die Zähne 33, 41 und 42 wurzelkanalbehandelt werden. Es zeigte sich nach neun Monaten eine gute knöcherne Konsolidierung des Befunds (Abbildung 6b). Die Patientin befindet sich momentan in kieferorthopädischer Anschlussbehandlung zum Versuch eines kieferorthopädischen Lückenschlusses.

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Diskussion

Die WHO definiert die zentrale Riesenzellläsion als eine lokalisierte, gutartige, manchmal aggressive osteolytische Proliferation, bestehend aus Bindegewebe mit Einblutungen und Hämosiderin-Ablagerungen bei Vorliegen osteoklastärer Riesenzellen und reaktiver Knochenneubildung [Barnes et al., 2005]. Aufgrund der Diskussion in der Literatur hinsichtlich eines eigenständigen Krankheitsbildes und der Tatsache, dass das histologische Bild nicht dem eines Granuloms im eigentlichen Sinn entspricht, wurde 2005 von der WHO vorgeschlagen, den Begriff „Riesenzellgranulom“ durch „Riesenzellläsion“ zu ersetzen. Zentrale Riesenzellläsionen betreffen bevorzugt jüngere Patienten vor dem 30. Lebensjahr, wobei Frauen mit einem Verhältnis von 3:2 gegenüber Männern häufiger betroffen sind. Der Unterkiefer, hauptsächlich die Molaren und die Prämolarenregion, scheint häufiger befallen zu sein als der Oberkiefer [Barnes et al., 2005]. Aufgrund des meist schmerzlosen Wachstums werden zentrale Riesenzellläsionen als Zufallsbefund oder durch die Auftreibung des Kieferknochens oder durch Kippungen und/oder Lockerungen von Zähnen entdeckt [Driemel et al., 2006].

Radiologisch präsentiert sich in aller Regel meist eine scharf begrenzte uni- oder multizystische Osteolyse mit Auftreibung der Kompakta bis hin zur Perforation. Im Provokationstest sind die betroffenen Zähne im Befund stets positiv [Driemel et al., 2006]. Eine klinisch aggressive Form mit gesteigerter Rezidivrate (11 bis 49 Prozent) wird in der Literatur zusätzlich mit klinischen Symptomen wie Schmerzen und Parästhesien und radiologisch erkennbaren Wurzelresorptionen assoziiert [Lange et al., 2005]. Die differenzialdiagnostische Herausforderung der riesenzellhaltigen Läsionen ist der Tatsache geschuldet, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Krankheitsentitäten sich durch einen gleichartigen histologischen Befund auszeichnet. Das differenzialdiagnostische Spektrum beinhaltet den braunen Tumor, den Riesenzelltumor des peripheren Skeletts, den Cherubismus und das periphere Riesenzell- granulom mit Knochenbeteiligung, die sich alle durch das histologische Bild von mehrkernigen Riesenzellen in einem spindelzelligen Stroma auszeichnen. Ein ähnliches histologisches Muster kann sich jedoch auch bei aneurysmatischen Knochenzysten, bei der fibrösen Dysplasie oder seltener beim Osteosarkom präsentieren [Driemel et al., 2006; Neville et al., 2009].

Therapie der Wahl ist die sorgfältige Kürettage des Befunds, die auch nach mehrfachen Rezidiven noch indiziert ist. Bei großen Befunden mit ausgeprägter Osteolyse des Knochens und Frakturgefahr kann eine Kontinuitätsresektion indiziert sein. Weitere nichtchirurgische Therapieoptionen mit Verabreichung von Kalzitonin oder Glukokortikoiden werden als additive Therapie oder eigenständige Therapieform beschrieben. Aufgrund mangelnder prospektiver klinischer Studien können sie jedoch hinsichtlich ihrer Therapieerfolge noch nicht abschließend bewertet werden [Neville et al., 2009]. Im vorliegenden Fall wurde die Läsion aufgrund der Schwellung auffällig. Anamnese, Klinik und Radiologie waren hinweisgebend auf die Diagnose. Aber erst durch die Kombination von diesen mit der Histologie und den laborchemischen Parametern konnte eine definitive Diagnose gestellt werden.

Dr. Dr. Keyvan SaghebPD Dr. Dr. Christian WalterKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – plastische Operationen

Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität MainzAugustusplatz 255131 Mainzwalter@mkg.klinik.uni-mainz.de

Dr. Cristina CotareloInstitut für Pathologie der UniversitätsklinikLangenbeckstr. 155131 Mainz

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