Interview mit dem Bundesentwicklungsminister

„Wir investieren in Menschen, nicht in korrupte Kanäle“

Allein bei der Bundeszahnärztekammer sind über 60 zahnärztliche Hilfsorganisationen gelistet – rechnet man noch die privat organisierten Hilfseinsätze hinzu, steigt die Zahl schnell auf mehrere Hundert Initiativen pro Jahr. Jeder Einzelne leistet hier Großartiges. Und doch muss man sich die Frage stellen: Wie sinnvoll ist das überhaupt?

Herr Minister Müller, viele zahnärztliche Hilfsorganisationen beklagen Reibungsverluste, wenn nationale Behörden bei der Entwicklungshilfe integriert sind. So werden Spendengelder lieber zweimal im Jahr im Rucksack durch den Himalaya transportiert, als die offiziellen Strukturen vor Ort zu nutzen. Etwas provokant gefragt: Ist das Bundesentwicklungsministerium hier überflüssig? Kann echte Hilfe nur und ausschließlich im Kleinen zwischen zwei Hilfsvereinen geleistet werden?Gerd Müller:Die Arbeit von Hilfsvereinen und Nichtregierungsorganisationen ist ein unverzichtbarer Pfeiler der Zusammenarbeit – sie kommen an Zielgruppen heran, die wir mit der zwischenstaatlichen Entwicklungszusammenarbeit nicht erreichen. Das Ziel der staatlichen Zusammenarbeit muss es aber sein, nicht nur bei den Symptomen anzusetzen, sondern bei den Ursachen – also auch bei den Strukturen vor Ort. Jedes Land braucht eine leistungsfähige Verwaltung, die transparente und nachvollziehbare Entscheidungen trifft. Dies ist ein Kernbereich unserer Entwicklungszusammenarbeit – übrigens ebenso wie der Aufbau von Rechnungshöfen oder Steuerbehörden.

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Dazu kann auch gehören, dass wir uns bewusst für den arbeitsintensiveren Weg entscheiden. Ein Beispiel: Anstatt selbst eine Schule zu bauen, setzt die Verwaltung des Partnerlandes den Schulbau um und wir unterstützen sie beim gesamten Umsetzungsprozess – von der Planung über die Ausschreibung bis zum Bau und der Abnahme. Das dauert unter Umständen länger, legt aber wichtige Strukturen in dem Land.

Sie haben nun das neue Projekt der Klinikpartnerschaften ins Leben gerufen. Was versprechen Sie sich davon?Mit der Initiative wollen wir die Gesundheitsversorgung in Entwicklungs- und Schwellenländern verbessern. Schon in der ersten Förderrunde konnten wir zusammen mit der Else-Kröner-Fresenius-Stiftung 50 Projektideen in 27 Ländern unterstützen. Im Fokus stehen die Fort- und Weiterbildung und die Beratung von Fachkräften. Dieses Wissen kommt auch deutschen Fachkräften zugute – zum Beispiel durch neue Expertise zu bei uns seltenen Krankheitsbildern und alternativen Behandlungen.

Auslöser für das Projekt Klinikpartnerschaften war die Ebola-Krise in Westafrika im Jahr 2015. Sie sagten damals „die Krise hat uns gezeigt, dass wir in einer Welt leben“. Wie sieht diese eine Welt für Sie derzeit aus?Wir haben nach der Ebola-Krise schnell reagiert und investieren seither verstärkt in den afrikanischen Gesundheitssektor. Damit verbessern wir die Gesundheitsdienstleistungen und machen die Gesundheitssysteme fit, um den Ausbruch neuer Epidemien zu verhindern. Dafür haben wir auch eine schnell einsetzbare Expertengruppe aufgebaut. Dieses Einsatzteam hat zum Beispiel in Togo im vergangenen und in Benin dieses Jahr dazu beigetragen, den Ausbruch von Lassafieber-Epidemien zu verhindern. Das Engagement nützt sowohl den Menschen in Afrika als auch uns. In einer vernetzten Welt, in der man innerhalb von Stunden mehrere Länder überfliegen kann, machen Krankheiten vor Grenzen nicht halt. Nur gemeinsam können wir eine Welt gestalten, in der alle Menschen Zugang zu Basisgesundheit, Bildung und Nahrung haben.

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Ziel der Klinikpartnerschaften

Ziel der Klinikpartnerschaften ist es, die Gesundheitsversorgung in den Entwicklungs- und Schwellenländern zu stärken. Dies soll durch den gemeinsamen Austausch geschehen. Inwiefern unterscheidet sich das Projekt von denen der klassischen Entwicklungshilfe?Wir wollen die Entwicklungszusammenarbeit breit aufstellen. Dafür brauchen wir Partner, die ihr Wissen und ihr Engagement einbringen. Mit den Klinikpartnerschaften fördern wir dieses Potenzial und unterstützen den Austausch zwischen Fachleuten. Damit ergänzen wir unsere Entwicklungszusammenarbeit in einer ganz pragmatischen Weise.

Es geht aber nicht nur darum, die Gesundheitsversorgung in Entwicklungs- und Schwellenländern zu stärken, sondern es geht um Partnerschaften, von der beide Seiten profitieren. So kann eine deutsche Ärztin ihre Erkenntnisse zu Tropenkrankheiten nicht nur mit Ärzten in Kenia teilen, sondern diese vor Ort auch erweitern. Ich höre immer wieder, dass die Partnerschaften mit dem Ausland einen „Blick über den Tellerrand“ ermöglichen, der sehr hilfreich sein kann. Auf der Suche nach den besten Mitarbeitern können deutsche Gesundheitseinrichtungen auch mit den Partnerschaften werben. Mit den Klinikpartnerschaften wollen wir helfen, einen Stein ins Rollen zu bringen.

Anfang dieses Jahres haben Sie einen „Marshallplan“ vorgestellt – dieser soll der Zusammenarbeit mit Afrika eine neue Dimension geben. Ziel ist es, die Afrikaner selbst stärker zu fördern – vor allem durch private Investitionen. Ist die Entwicklungshilfe der vergangenen Jahrzehnte damit gescheitert?Gute Entwicklungszusammenarbeit hat schon immer die Fähigkeiten der Partner gefördert, sich selbst zu helfen. Sie kennen die alte Parabel: Schenke keinen Fisch, sondern lehre zu fischen. Die Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union haben sich mit der Agenda 2063 zu einer eigenen Entwicklungsvision verpflichtet. Der Marshallplan mit Afrika ist unser Unterstützungsangebot, um diese Vision umzusetzen. Das gilt auch für den Wunsch vieler afrikanischer Länder, viel stärker als bisher die Kräfte des Privatsektors zu mobilisieren, um Arbeitsplätze für die junge Bevölkerung zu schaffen.

Afrikanische Kritiker haben sich in großer Zahl gegen die gegenwärtige Praxis der europäischen und auch der deutschen Entwicklungshilfe ausgesprochen. Einer der bekanntesten ist der kenianische Ökonom James Shikwati, Direktor des IREN-Instituts in Nairobi. Seit 2000 plädiert er für eine radikale Abkehr vom Konzept der Entwicklungshilfe. Diese habe Afrika nur abhängig gemacht und Machtstrukturen verfestigt, von denen nur wenige profitieren. Die westliche „Hilfsindustrie“ stärke lediglich tyrannische Herrscher und Korruption. Wie sehen Sie das?Solche Gedanken begegnen mir auch immer wieder. Über Jahrzehnte haben wir Europäer unseren Wohlstand auf dem Rücken der Afrikaner errichtet. Unser Reichtum fußt auf den Rohstoffen, die wir gegen Hungerlöhne aus Afrika beziehen.

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Und genau das müssen wir ändern: Die Wertschöpfung, die Veredelung der Rohstoffe muss auf dem afrikanischen Kontinent passieren – beim Kaffee oder beim Kakao zum Beispiel. Wir müssen den Kaffeebauern und den Arbeitern auf den Kakaoplantagen faire Löhne zahlen – und unsere Märkte für Produkte und Waren von unserem Nachbarkontinent öffnen. Gleichzeitig müssen wir gerade die Regierungen in Afrika gezielt stärken, die sich klar zu Reformen bekennen, gegen Korruption kämpfen und die Menschenrechte achten. Genau das sieht unser Marshallplan vor. Wir haben im Rahmen der deutschen G20-Präsidentschaft mit drei afrikanischen Staaten Reformpartnerschaften vereinbart: Tunesien, Ghana und Côte d’Ivoire. Diese Länder werden wir verstärkt fördern und sie auf ihrem richtigen Weg unterstützen. Wir wollen weg vom Gießkannenprinzip. Und gleichzeitig gilt für unsere Entwicklungszusammenarbeit: Wir investieren in Menschen und Projekte, nicht in korrupte Kanäle.

Es gibt kritische Stimmen zum Marshallplan. Ein Kritikpunkt lautet: Die Hilfe werde dazu missbraucht, „die Menschen von Europa abzuhalten“. Was sagen Sie dazu?Wir bauen keine Mauern, sondern Schulen und Straßen. Niemand verlässt freiwillig seine Heimat, um sich auf eine lebensgefährliche Reise über das Mittelmeer zu begeben. Wenn wir den Menschen helfen wollen, müssen wir vor Ort ihre Lebensperspektiven verbessern. Das bedeutet: Bildung für Kinder, Ausbildung für Jugendliche, Jobs für Erwachsene. Der Großteil der fliehenden Menschen bleibt in der Nähe der Heimat, rund 90 Prozent der Flüchtlinge leben in Entwicklungsländern. Die aufnehmenden Länder leisten Beachtliches und stoßen oft an die Grenzen ihrer Kapazität, zum Beispiel bei der Wasserversorgung oder bei den verfügbaren Schulplätzen für Flüchtlingskinder. Wir fördern deswegen – nicht nur präventiv – Zukunftschancen in den Heimatländern, sodass sich die Menschen erst gar nicht auf die gefährliche Flucht machen müssen. Wir unterstützen auch die Aufnahmeländer, so dass sie mit den Herausforderungen nicht allein gelassen werden.

 Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass erneut Milliarden Euro von Europa nach Afrika transferiert werden. Verschiedene Ökonomen gehen davon aus, dass bisher 600 Milliarden Euro aus der Entwicklungshilfe in den Taschen afrikanischer Potentaten und korrupter Eliten gelandet sind. Wie wollen Sie dies verhindern?

Wir stellen keine Blankoschecks an irgendwelche Regierungen aus. Denn wir verfügen über ein breites Netz von Mechanismen, das sicherstellt, dass die Investitionen eine konkrete und nachhaltige Wirkung erzielen. Das reicht von der sorgfältigen Auswahl der Partnerländer, mit denen wir kooperieren, über die Prüfung von Partnerorganisationen, die Kontrolle unserer deutschen Durchführungsorganisationen bis hin zur Prüfung der Projektergebnisse und der Auszahlung nach Projektfortschritt und schlussendlich die Kontrolle durch unabhängige Evaluierungen oder den Bundesrechnungshof. Wir haben eine humanitäre Verpflichtung zu helfen – ich begegne diesen Menschen auf meinen Reisen: Kinder, die im Slum leben, mitten im Müll, aber mit wachen Augen und voller Hoffnung. Denen sind wir verpflichtet. Und am besten helfen wir ihnen mit Bildung, Ausbildung und Jobs. Daran arbeiten wir.

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