Praktische Standards
Obwohl es fast auf der ganzen Welt Vorschriften gibt, wonach zahnmedizinische Produkte definierten Anforderungen genügen müssen, ehe sie für den Markt freigegeben werden, sind die gesetzlichen Regelungen oft unterschiedlich: So ist etwa eine elektrische Zahnbürste in den USA ein Medizinprodukt, in Europa ein Kosmetikprodukt. Allein um teure Mehrfachprüfungen zu vermeiden, sollten die Anforderungen und Testmethoden durch weltweit gültige Normen vereinheitlicht werden. Auf der ISO/TC-106-Tagung Ende August in Hongkong wurden stringente Zeitvorgaben für die Entwicklung und Revision von Normen nicht nur national (DIN), sondern auch international vonseiten der ISO vorgegeben: Neue Normungsprojekte müssen jetzt innerhalb von eineinhalb bis drei Jahren erfolgreich abgeschlossen werden.
Dass über 360 Dentalexperten aus vielen Ländern an der Konferenz teilnahmen, belegt die Wichtigkeit und Bedeutung der internationalen Normungsarbeit. Die fachliche Arbeit wird in neun Unterkomitees (Subcommittee = SC) und in über 50 Arbeitsgruppen (Working Group = WG) durchgeführt (siehe Tabelle). Materialien werden dabei ebenso behandelt wie zahnärztliche Geräte und Kosmetikprodukte. Über 80 Prozent der ISO-Normen für die Zahnheilkunde betreffen Medizinprodukte (zahnärztliche Materialien, Instrumente und Geräte). Etwa 10 Prozent betreffen Kosmetikprodukte. Die restlichen Normen decken andere Bereiche (unter anderem Arzneimittel) ab.
Was sind die Ergebnisse der ISO-Tagung in Hongkong?
Bei der biologischen Prüfung von zahnärztlichen Materialien wurde die Zulassung neuer Materialien erleichtert und eine Kostensenkung ermöglicht – natürlich ohne die Sicherheit zu beeinträchtigen. Außerdem wurde eine präklinische Prüfmethode für zahnärztliche Implantate unter Belastung aufgenommen, um die Sicherheit neuer Implantat-Systeme, zum Beispiel solcher mit bioaktiven Oberflächen, zu verbessern.
Bei den Füllungs- und restaurativen Werkstoffen wurden die Normen für Amalgam (ISO 20746 und TS 20749), insbesondere solches in Kapseln, überarbeitet. Amalgam wird in verschiedenen Teilen der Welt immer noch in größerem Umfang verwendet. Durch eine verbesserte Korrosionsprüfung soll die Langlebigkeit von Restaurationen aus neuen Amalgamen besser vorhergesagt werden können.
Struktur des ISO/TC (Technical Committee) 106 „Zahnheilkunde“
Komposit-Kunststoffe: Von besonderem Interesse für den Zahnarzt ist die Revision der Norm über Komposit-Kunststoffe (ISO 4049). Hier wurde insbesondere diskutiert, welche Angaben der Zahnarzt vom Hersteller zur Zusammensetzung erhalten soll, ohne dass er jedes Mal bei jedem Produzenten nachfragen muss. Denn natürlich ist es wichtig zu wissen, welche Bestandteile in dem von ihm verwendeten Material enthalten sind, nicht zuletzt, um Patienten mit Allergien entsprechend behandeln zu können. Manche Patienten sind auch durch Informationen aus den Medien verunsichert und fragen ihren Zahnarzt nach den Bestandteilen, insbesondere von Komposit-Kunststoffen.
Diese Angaben („Materialdeklaration“) wurden in der Vergangenheit von den Herstellern leider sehr unterschiedlich gehandhabt. Das soll nun vereinheitlicht werden. Alle Bestandteile von mehr als ein Prozent und solche, die als karzinogen, mutagen oder gentoxisch eingestuft sind und zu mehr als 0,1 Prozent vorhanden sind, sind anzugeben.
Dentalnormen - Ihre Bedeutung wächst, weil ...
Dentalnormen - Ihre Bedeutung wächst, weil ...
... der internationale Handel wächst,
... die Produktlebenszyklen kürzer werden,
... die Anzahl der auf dem Markt verfügbaren Produkte steigt
... die Zahl der Länder zunimmt, die sich eine moderne Zahnheilkunde (finanziell) leisten können.
... es mehr Länder gibt, die (neue) Gesetze für die Zulassung von Medizinprodukten einführen.
Eine weitere Neuerung betrifft den Einfluss des Umgebungslichts auf das Abbinden von Komposit-Kunststoffen – dieses soll besser als bisher geprüft werden, damit der Komposit-Kunststoff nicht vorzeitig aushärtet.
Prothetikwerkstoffe: Bei den Prothetikwerkstoffen wurden neue, klinisch relevantere Prüfverfahren zur Härte, Konsistenz und Detailwiedergabe von weichbleibenden Unterfütterungswerkstoffen für Prothesen (ISO 10139–1) aufgenommen. Die Norm über künstliche Zähne (ISO 22112) und deren Haftung an der Prothesenbasis (TS 19736) regelt nun alle Anforderungen (Bioverträglichkeit, Farbe, Farbbeständigkeit, Oberflächenpolitur, Verbundfestigkeit zu Prothesenkunststoffen), die an künstliche Zähne gestellt werden. Hinsichtlich der Verbundfestigkeit zwischen Kunststoffzähnen und Prothesenkunststoffen wurde eine verbesserte und realitätsnähere Prüfmethode aufgenommen. Die ISO 10477 betrifft Polymere, die im zahntechnischen Labor verarbeitet werden. Hier wurde die Indikation präzisiert, um eine Überschneidung mit provisorischen Kronen- und Brückenmaterialien zu beseitigen.
Realitätsnähere und verbesserte Prüfmethoden
Dentalinstrumente: Bei den Dentalinstrumenten wurden unter anderem Normen über Pulverstrahl-Handstücke und Pulver (ISO 20608), zahnärztliche Sonden (ISO 7492) und oralchirurgische Skalpellgriffe (ISO 20570) fertiggestellt. Auch wenn die Festlegung von einheitlichen Abmessungen, etwa von Skalpellen und Skalpell-Griffen trivial erscheinen mag, verursachen unterschiedliche Maße erhebliche Probleme der Passung von Klinge und Griff. Auch eine Vereinheitlichung der Biegung von Skalpellen zwischen den Herstellern erleichtert deren Anwendung – und vereinfacht im Ergebnis für den Behandler die Arbeitsabläufe. Die Reduktion auf wenige Formen erlaubt außerdem eine kostengünstigere Produktion.
Zahnärztliche Ausrüstung: Eine große Zahl von Normen wurde im Bereich „Zahnärztliche Ausrüstung“ verabschiedet. Dies betrifft Behandlungseinheiten, Absaugung, Kompressorluft und elektrische Sicherheit. Von praktischem Interesse ist die neue Norm über Polymerisationslampen (ISO 10650). Eingefügt wurde hier, dass der Zahnarzt bessere Informationen über die Bestrahlungsstärke und die Lichtwellenverteilung der einzelnen Geräte erhalten soll. Dies ist wichtig, da heute sowohl sogenannte LED-Monowave-Geräte (ca. 470 nm Wellenlänge) angeboten werden als auch solche mit zum Beispiel zwei Wellenlängen (420 und 470 nm, Polywave-Geräte). Das Anregungsspektrum der Polymerisationslampe sollte aber auf das verwendete Komposit abgestimmt sein. Die überarbeitete Norm für Hand- und Winkelstücke (ISO 14457) erlaubt nun die Herstellung kleinerer Hand- und Winkelstücke mit einem geringeren Gewicht.
CAD/CAM: Schließlich wurden im Bereich „CAD/CAM“ Anforderungen an intraorale Scanner (ISO 20896), die Interoperabilität von CAD/CAM-Systemen (Datenaustausch nach ISO 18618) und Prüfmethoden zur Bestimmung der Bearbeitungsgenauigkeit von Fräs- und Schleifmaschinen (ISO 18845) ausgearbeitet. Ziel ist, dass verschiedene digitale Bausteine (zum Beispiel Scanner und Fräser) miteinander kommunizieren können, auch wenn sie von verschiedenen Herstellern stammen. Dies erleichtert die Kombination von Geräten. Eine derartige Kommunikation ist nicht selbstverständlich. In Zukunft sollen daher die verschiedenen digitalen Geräte gegen eine standardisierte Schnittstelle getestet werden.
Dr. Hans-Peter Keller
Prof. Dr. Dr. h. c. Gottfried Schmalz
hans-peter.keller@din.de